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2×5-Interview: Dirk Vielmeyer, Zukunftsaktivist, 47 Jahre

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Interview Dirk Fellinghauer. Foto Simon Hegenberg.

Beruf

Sie haben den offenen Brief „Verkehrswende jetzt – Mehr Raum für Radfahrer/innen in Wiesbaden“ mit initiiert. Ist die Lage wirklich so dramatisch?

Beim letzten Fahrradklimatest vor zwei Jahren landete Wiesbaden auf dem vorletzten Platz. Damals haben sich schon alle darüber aufgeregt. Und jetzt ist Wiesbaden sogar auf den letzten Platz abgerutscht. Das war für uns – die Ursprungsinitiative ging von dem Filmemacher Andrzej Klamt aus – der Punkt, zu sagen: Jetzt reicht´s! Es kann nicht sein, dass es so weiterläuft, dass wir es in zwei Jahren geschafft haben, uns noch weiter zu verschlechtern. Wir müssen die Politiker jetzt stärker antreiben, damit endlich wirklich etwas deutlich Spürbares umgesetzt wird.

Und was genau soll geschehen?

Wir fordern, dass das Radverkehrskonzept, das nun vorgestellt wird, auch wirklich und zügig umgesetzt wird. Es werden darin Straße für Straße Vorschläge vorgelegt, wie Wiesbaden radfahrerfreundlicher werden kann. Das darf nicht wieder jahrelang parteipolitisch diskutiert und zerrieben werden auf die Gefahr hin, dass tolle Pläne dann doch wieder in den Schubläden verschwinden.

Sie haben den Brief an die 81 Stadtverordneten und an den OB geschickt. Wer hat unterschrieben?

Wir wollten nicht den Eindruck erwecken, das sind immer nur diese merkwürdigen Radfahrfreaks, die meinen, dass sie mit fünfzig Leuten die Stadtgesellschaft repräsentieren. Wir haben bewusst auch Leute angesprochen, die sich bisher noch nicht öffentlich geäußert haben. Vertreter der Kirche, Künstler, Leute aus der Kreativwirtschaft, eben nicht so die typischen Aktivisten. Damit zeigen wir der Politik, es ist nicht nur ein kleiner Bruchteil von Wiesbadenern, der auf eine Verkehrswende drängt, sondern es ist wirklich ein breiter Wunsch der Stadtgesellschaft. Und es werden immer noch mehr Unterschriften.

Man hört immer wieder, die Diskussion um den Radverkehr werde sehr ideologisch und auch aggressiv geführt.

Ich kann alle Menschen verstehen, die sagen, ich habe wirklich Angst, weil ich als Fahrradfahrer in Wiesbaden als Fremdkörper wahrgenommen werde. Ich werde angehupt, Autos kommen mir sehr nahe, es wird keine Rücksicht auf meine Sicherheitsbedürfnisse genommen. Das hängt damit zusammen, dass die Wiesbadener es nicht gewohnt sind, dass Radfahrer selbstverständlich zum Verkehr und zum Alltag gehören. Wir merken aber auch, dass wir das Thema Radfahren in Wiesbaden mehr und mehr positiv an die Oberfläche holen, auch bei unserem monatlichen Fahrradkorso. Da winken Autofahrer, zeigen „Daumen hoch“, da kommt aus den Autos heraus immer mehr Zuspruch. Wir versuchen die Menschen davon zu überzeugen, dass wir als ehrenamtlich engagierte Bürger gemeinsam einen Ruck durch die Stadtgesellschaft auslösen können. Das kann weder die Politik allein noch die Bürger allein, das geht nur zusammen.

Von der Politik kommt ja nicht nichts. Geht es wirklich in die falsche Richtung, oder geht es in die richtige Richtung, dies aber zu langsam?

Es gäbe Maßnahmen, die wirklich etwas ändern würden, die aber den Konflikt zum Vorschein bringen, dass mehr Platz für ein Verkehrsmittel weniger für ein anderes bedeutet. Stattdessen werden dort Radfahrstraßen geschaffen, wo die Verhältnisse jetzt schon angenehm sind. Das will ich nicht schlechtreden, aber das ist kein wirklich großer Schritt. Da wäre es schon interessanter, mal über den Ring zu sprechen. Muss man wirklich einen sechsspurigen Ring haben? Muss man es zulassen, dass auf dem Seitenstreifen ständig Autos parken? Kann man hier nicht sagen, wir tauschen Parkplätze gegen Radwege ein?  Die Politiker sollten nicht das Gefühl haben, dass die Bevölkerung nicht hinter ihnen steht. Sie sollen merken, dass ein beachtlicher Anteil der Stadtbevölkerung es begrüßen würde, wenn sie sich mutig für eine Verkehrswende entscheiden. Es geht nicht darum, Autofahrern etwas zu nehmen, sondern darum, ihre Stadt positiv zu verändern: weniger Lärm, bessere Luft, mehr Raum für echte Lebensqualität, weniger Angst, dass Kinder überfahren werden. Es geht nicht nur darum, wie komme ich von A nach B, sondern auch darum, wie lebe ich insgesamt? Die Autos sollen sich nicht in Luft auflösen, sondern die Verhältnisse sollen sich weg von der Autozentriertheit, hin zur Zukunftsfähigkeit und Menschenfreundlichkeit verändern.

MENSCH

Können Sie sich noch an ihr erstes Fahrrad erinnern?

Ich habe ein metallicglänzendes Fahrrad der Marke Bergsieger geschenkt bekommen. Radfahren habe ich zuerst im Innenhof gelernt. Als ich es dann konnte, bin ich durch die ganze Nachbarschaft gefahren und habe es stolz allen gezeigt. Ich kann mich noch erinnern, ein Nachbar hat mir sogar Schokolade geschenkt.

Wie begleitet Sie heute Ihr Fahrrad im Alltag?

Ich wohne zentral in der Nähe vom Dürerplatz. Mit dem Rad bin ich in der Stadt tatsächlich überall schneller. Manchmal bin ich selbst aber auch mit dem Auto unterwegs, somit verstehe ich beide Perspektiven. Mein Fahrrad hat vorne einen großen Korb, mit dem ich alles transportieren kann, auch die meisten Einkäufe. Dazu kommen Gesundheits- und Fitnessaspekte. Ich gehe jetzt auf die Fünfzig zu. Da geht es nicht nur ums Gewicht. Ich fühle mich einfach fitter, wenn ich mit dem Rad unterwegs bin, spüre weniger Zipperlein. Und ich bekomme einfach mehr von der Stadt und ihren Menschen mit, als wenn ich in einem Auto sitze. 

Ein Engagement kommt selten allein – wo sind Sie noch aktiv?

Ich bin auch beim Bündnis Energiewende. Da geht es um die Zukunftsfrage der Energieversorgung. Das Thema Verkehrswende gehört direkt dazu, weil ein Viertel des Energieverbrauchs mit Mobilität zusammenhängt. Außerdem bin ich Co-Gründer der Bürgerinitiative Wiesbaden im Wandel, die geht das Thema zukunftsfähiges, nachhaltiges Leben noch umfassender an.

Sind Sie ein Weltverbesserer?

Diese Bezeichnung hat merkwürdigerweise für viele einen negativen Unterton. Zukunftsaktivist und Netzwerker trifft es wohl besser. Ich versuche, viele Menschen zusammenzubringen, um zu schauen, wie man Zukunft gemeinsam positiv gestalten kann und weniger, um zu sagen tue oder lasse dies und jenes. Ich finde, wenn man sich die entsprechenden Fragen stellt, kommt man da ganz von alleine drauf. Ein Problem ist, dass viele Menschen so ausschließlich auf sich und ihren Alltag fokussiert sind. Sie denken an ihren Job und die Familie, fragen sich, was esse ich heute Abend, was kommt im Fernsehen, ist alles Persönliche geregelt? Man versucht gerne, unbequeme, grundsätzlichere Fragen – ist das alles wirklich so in Ordnung, wie es läuft? – zu verdrängen. Das heißt aber nicht, dass sie einen nicht beschäftigen.

Wie gehen Sie mit Frustration um, wenn ihr mühsames Engagement nicht die gewünschten Früchte trägt?

Ich habe eine große Frustrationstoleranz. Und wenn ich mal in einem Bereich frustriert bin, habe ich oft in einem anderen Bereich genug Grund zur Freude. Es gibt ja viele wichtige Bereiche, die geradezu nach Engagement rufen. Schön ist, dass man nicht alles selbst erfinden muss, sondern sich an vielen guten Beispielen Anderer orientieren kann. Hier wurde bisher nur ein Bruchteil der Möglichkeiten umgesetzt, Wiesbaden hat eine lange Zeit geschlafen. Ich habe aber das Gefühl, dass die Menschen in Wiesbaden jetzt immer mehr bereit sind, sich mit wichtigen Zukunftsthemen zu befassen und sich für eine gute, gemeinsame Zukunft zu engagieren. Überall ist eine Offenheit für neue Ideen und ein Drang zu neuen Entwicklungen spürbar.

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Mitfahrtipp: Das nächste „Radkorso – Zusammen durch Wiesbaden radeln“ findet am Donnerstag, 7. Mai, 18 Uhr ab Hauptbahnhof statt.