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2×5 Interview: Dr. Manfred Beilharz, Staatstheater-Intendant, 73 Jahre, 5 Kinder

Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Simon Hegenberg

Beruf

Sie sind im Hessischen Staatstheater Herr im Haus. Sind Sie auch Herrscher im Haus?

Ein Intendant ist von der Struktur und Verfassung eigentlich eine nicht ganz zeitgemäße Figur, weil er die letzte Entscheidung hat über viele Sachen – organisatorische, künstlerische, personelle, finanzielle. Ein kluger Intendant wird aber die Machtfülle, die ihm rechtlich gegeben ist, nicht ausschöpfen. Ich umgebe mich gerne mit Leuten hoher Qualität und höre ihre Argumente. Am Ende muss nicht immer das stehen, was ich mir vorgestellt habe.

Mit welchen Gefühlen haben Sie im März den Kündigungsbrief an Ihre Chefin, Ministerin Eva Kühne-Hörmann, abgeschickt?

Das war kein Kündigungsbrief. Ich habe jetzt  mitgeteilt, dass ich für eine weitere Verlängerung meines Zeitvertrages über das Jahr 2014 hinaus nicht zur Verfügung stehe.  Wenn ich in zweieinhalb Jahren gehe, wird das die längste Zeit sein, die ein Intendant an diesem Haus zugebracht hat und es ist die längste Zeit, die ich an einem Haus zugebracht habe. Das soll nicht heißen, dass ich alles umgesetzt hätte, was ich mir vorgestellt habe. Ich habe aber den Wunsch, noch internationale Verpflichtungen, die an mich herangetragen wurden, wahrzunehmen, etwa in Peking, Tel Aviv und Istanbul. Ein Intendant gehört an sein Haus. Ich will ab 2014 die Chance wahrnehmen, ohne schlechtes Gewissen verstärkt international zu arbeiten.

Sind Sie schon einmal ausgebuht worden?

Nicht für meine Inszenierungen. Es gab aber in Wiesbaden, als ich einen neuen Ballettchef engagiert hatte, Teile des Publikums, die meinten, seine ersten Arbeiten ausbuhen zu müssen. Ich denke, diese Buhrufe galten ausschließlich meiner Entscheidung. Das ist aber angesichts der tollen Arbeit des neuen Ballettchefs Stephan Toss Schnee von vorgestern.

Was ist Ihnen wichtiger – der Applaus des Publikums oder die Anerkennung der Kritiker?

Am wichtigsten ist mir, dass ich selbst die Überzeugung habe, dass es gute Arbeit ist. Theatermachen ist eine sehr subjektive Geschichte. Man hat mit Menschen zu tun. Der Beifall der Verständigen im Zuschauerraum und das Lob der Medien ist schön als Zugabe, steht für mich aber nicht im Vordergrund.

Dem Theater geht es in Zeiten leerer Kassen verstärkt an den Kragen. Was würde der Welt fehlen, gäbe es kein Theater mehr?

Ziemlich viel. Theater ist von allen Kunstformen am ehesten in der Lage, öffentliche Debatten anzustoßen, selbst wenn diese nur am Küchentisch oder in der nächsten Kneipe geführt werden. Das Schauspiel zeigt Lebens- und Gesellschaftsentwürfe, die es experimentell zur Diskussion stellt. Neben seiner gesellschaftlich-demokratischen Funktion entfacht Theater eine befreiende Sinnlichkeit. 

MENSCH

Wer oder was gibt Ihnen Kraft?

Meine Arbeit. Die Freude an meiner Arbeit, die sehr intensiv ist, obwohl ich nicht verhehlen möchte, dass dieser vielschichtige Beruf nicht nur aus Freudenfesten besteht. Aber die Begeisterung überwiegt bei weitem. Sonst würde ich es nicht tun. Und die gelegentlich durch die künstlerische Arbeit erworbene Zuneigung von Menschen. Neulich kam eine Frau auf mich zu: Sie wolle mir die Hand küssen, weil eine  Inszenierung von mir sie so tief bewegt habe. Das kommt nicht jeden Tag vor, aber es ist mir lieber als wenn man mich ohrfeigen würde. Dann mein privates Umfeld. Meine Kids im Alter von 11 bis 48 Jahren.

Gibt es Situationen, in denen Sie Ihr Leben inszenieren?

Eigentlich nein. Aber manchmal bin ich gezwungen, mich je nach Gegenüber zu inszenieren, um etwa bei der Politik Gelder für das Theater rauszuschlagen. Obwohl Theatermacher ein eher extrovertierter Beruf ist, bevorzuge ich das Motto: Mehr Sein als Schein. Die Leute merken es ja doch, wenn nichts dahinter steckt. Als Theatermann kann ich nur überzeugend sein, wenn man mich für einigermaßen seriös und glaubwürdig hält.

Sie sprechen Türkisch als eine von fünf Fremdsprachen – wie kam es dazu?

Französisch ist meine erste Fremdsprache, außerdem spreche ich Englisch, Italienisch, Spanisch und Türkisch. Mein Bruder arbeitete als Arzt in Istanbul, wo ich ihn ein paar Mal besucht habe. Da es mir keinen großen Spaß macht, am Strand rumzuliegen, habe ich angefangen, mich mit der Sprache, auch mit ihrer Theorie, zu befassen. Ich kann mich jetzt nicht auf Türkisch über Heidegger unterhalten. Aber das könnte ich auf Deutsch auch nicht.

Ich habe einmal zufällig gesehen, dass Sie ein unglaublich dickes Portemonnaie haben – was ist denn da alles drin?

Dieses Thema wird auch immer wieder in meinem privaten Umkreis angesprochen und kritisiert, dass da so manche Gesäßtasche ausbeult. Ich bewahre viele Visitenkarten aus der ganzen Welt auf, von denen ich mich nicht trennen kann – auch weil sie sonst, wenn ich sie gerade brauche, nicht da sind. Dann sind noch zwei kleine Schlüssel drin – einer für das Fahrrad und einer für den Tennisplatz. Und, wenn ich rechtzeitig auf die Bank gekommen bin, auch Geld.

Sie sind nicht nur Gast in vielen Ländern, sondern auch Gastgeber für Besucher aus vielen Ländern. Welche Orte in Wiesbaden zeigen Sie Ihren Gästen am liebsten?

Die Besucher sind immer entzückt von Bowling Green und Kurhaus. Am Thiersch-Saal begeistert mich die ungeheuer gelungene Innenarchitektur. Natürlich zeige ich auch unser Theater, das immer Eindruck macht. Wenn es die Zeit erlaubt, auch noch den Neroberg. Wiesbaden kann sich auf jeden Fall sehen lassen.