Von David Gutsche. Foto Katharina Dubno.
Beruf
Was sind Ihre Aufgaben als Kardinal?
Die Aufgaben sind eigentlich eher auf Rom als auf Deutschland bezogen. Zum Beispiel die Papstwahl. So arbeiten wir in verschiedenen Kongregationen / Ministerien. Aber sonst unterscheidet sich das zum Bischof hin nicht allzu sehr. In Deutschland haben wir 27 Bistümer. Die Diözese Mainz liegt größenmäßig und territorial gesehen eher im mittleren Bereich. Trotzdem habe ich 17 Jahre gebraucht, bis ich alle Gemeinden hier genau kennengelernt habe. Dies hat aber mit dem „Kardinal“ wenig zu tun.
Was gefällt Ihnen an ihrem Job und was nicht so?
Ich unterscheide eigentlich nicht, ob mir etwas Spaß macht oder nicht. Ich denke eher in Kategorien wie Pflicht. Wobei mir das Kennenlernen der Gemeinden schon Freude gemacht hat und auch die Ausbildung des Personals. Ich war ja Universitätslehrer; auch mein Vater war Lehrer. Und wir sind ein Schul-Bistum, wir haben hier neben anderen Schulen zehn kirchliche Gymnasien.
Vor 3 Jahren wollten sie aufhören, ihr Gesuch wurde aber abgelehnt. Jetzt sind es noch 2 Jahre bis zu Ihrem 80. Geburtstag. Auf was freuen sie sich dann?
Die Päpste Benedikt XVI. und Franziskus baten mich, zu bleiben. Aber am 16. Mai 2016 bin ich 80. Dies ist die äußerste Grenze. Dann bin ich bestimmte Dinge los, Termine, Grußworte, Empfänge … Ich freue mich darauf, dann endlich wieder einmal Freunde und Verwandte zu besuchen. In meiner Heimat Sigmaringen in Baden-Württemberg war ich kürzlich wenigstens einmal. Ich werde sicher viel lesen und auch noch einiges schreiben. Ich habe über 4.000 zum Teil ungedruckte Manuskripte. Außerdem freue ich mich darauf, einmal außerhalb des Protokolls zu reisen und zu tun, worauf ich Lust habe – zum Beispiel nach Venedig, Israel oder einiges in Rom noch einmal ganz privat zu erforschen.
Steckt die Kirche in der Krise?
Wir sollten uns nicht zu viel vom Krisengerede beeinflussen lassen. Wir haben eine ganz wichtige Botschaft und müssen das Positive sehen. Es gibt natürlich schlimme Sachen wie den sexuellen Missbrauch oder den Fall Limburg, die uns als Kirche schaden. Deswegen muss man aber trotzdem kämpfen. Natürlich liegt vieles im Argen, auch in der Welt, hier vor allem, was Gewaltanwendung betrifft. Unsere Botschaft zielt auf die Beseitigung von Gewalt ab. Wir wollen auch in schlimmen Situationen da sein und mit den Menschen standhalten und nicht weglaufen. Zum Beispiel aktuell, was das Thema ehrenamtliches Engagement bei Flüchtlingen angeht.
Sind wir auf dem falschen Weg als Menschheit? Liegt die Gewalt in uns selbst?
Wer hätte bis vor kurzem noch an die Gefahr eines erneuten Kalten Krieges gedacht? Da wacht man schon auf aus seinen Träumen. Und ja, man muss sich bei Konflikten auch immer fragen: Was ist nicht nur im Anderen, sondern in mir selbst nicht in Ordnung? Wir können nicht mit dem Zeigefinger auf andere zeigen und gleichzeitig wenig Verständnis für andere aufbringen oder uns abgrenzen. Auch wir als Kirche haben da bei Themen wie zum Beispiel dem Islam noch nicht genügend Unterscheidungsvermögen gehabt. Die Erziehung zum differenzierten Urteil muss ausgebaut werden. Sonst gibt es auch keine plausible Toleranz.
Mensch
Ist die Ehe noch ein dauerhaftes Modell?
Jede Generation muss sie für sich neu entdecken, wenn auch nicht erfinden. Aber grundsätzlich halte ich die Ehe für alternativlos. Wir müssen mehr von den vielen geglückten Ehen reden. Man muss kämpfen und Durststrecken überstehen können, nicht, indem man sich duckt, sondern indem man auch geistig offensiv daran arbeitet. Aber man muss sich natürlich auch fragen: Warum haben wir so viele Brüche? Müssen wir nicht etwas ändern am Eherecht oder der Sexualethik? Damit ist keine billige Anpassung gemeint.
Sie selbst hatten nie einen Kinder- oder Familienwunsch?
Obwohl ich auch nette Mädchen kannte, war ich als junger Mensch viel zu angetan von der christlichen Botschaft, dem Evangelium. Mit 27 Jahren bin ich dann geweiht worden. Also hatte ich viel Zeit, war vom Beruf überzeugt. Ich hatte eine tolle Mutter, Tanten und Großmütter, also starke Frauen in meiner Familie. Und ich bin auch froh, dass ich privat mit Frauen befreundet bin, weil ich merke, dass die Gesichtspunkte von Frauen für meine Entscheidungen als Bischof wichtig sind. Ich muss für viele Einzelne und Familien dasein. Mit einer eigenen Familie könnte ich das in diesem Ausmaß kaum.
Worauf kommt es heute überhaupt im Leben an? Wie findet man Orientierung?
Wir leben ja in einer ungeheuer pluralen Welt, mit fast unendlichen Möglichkeiten. Jeder ist der Schmied seines eigenen Lebensentwurfes, der wiederum oft wechseln kann. Man hat viel Stress, um jedem Einzelnen entgegen zu kommen und ihn zu verstehen. Früher wurden wir ziemlich gleich behandelt. Heute ist jeder anders, alles individueller. Deswegen muss man auch bereit sein, wieder Gemeinsamkeiten einzufordern, bis zu gemeinsamen Grundwerten. Durch die vielen Möglichkeiten, die wir heute haben, ist auch die Möglichkeit des Scheiterns größer denn je. Das heißt, wir müssen auch lernen zu scheitern und mit dem Scheitern angemessen umzugehen. Und darin den Menschen beistehen und verständnisvoll zu sein. Die Zeit der Patentrezepte ist vorbei. Wir können nur noch einen groben Rahmen anbieten und dann die Menschen beraten, wenn sie es wünschen. Aber manche Dinge sind auch glasklar: Du sollst nicht lügen!
Was gefällt Ihnen an Mainz und was nicht so?
Ich lebe jetzt seit fast 35 Jahre in Mainz, länger als überall anderswo. Ich fühle mich daher sehr als Mainzer. Ich schätze die Freundlichkeit und die Empfangswilligkeit der Menschen. Wenn man hier mitmachen will, wird man schnell aufgenommen. Das ist sehr wohltuend. Das kann aber auch zu einer gewissen Gleichgültigkeit führen. Ich fühle mich hier sehr wohl. Hier ist auch viel Sinn für Geschichte und Kultur erhalten geblieben. Ich möchte nicht woanders leben.
Sie sind großer Katzen-Fan?
Ja, wir haben eine zugelaufene Katze hier im Garten, die wir gerne füttern. Die Leute sagen aber auch, ich sollte mir einen Hund zulegen, um mehr Bewegung zu haben. Ich freue mich aber auch an den Vögeln vor meinem Fenster und an den Eichhörnchen vor meinem Zimmer, wenn ich eine Nuss auslege ist sie bald weg. Meine Mutter kommt vom Bauernhof, und so ist auch ein Stück weit der Bauer in mir geblieben. Ich schätze Grund und Boden, Heimat in diesem Sinne.