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Bedrohte Wohnart – Wiesbadener Kult-WG kämpft um ihr Bestehen und bittet zur Benefizparty

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Von Dirk Fellinghauer. Foto Katharina Dubno.

Eine besondere Wiesbadener WG kämpft um ihre Existenz. Im Zwist mit der GWW, die heute den „1. Wiesbadener Wohnungsgipfel“ in den Kurhaus-Kolonnaden veranstaltet. geht es längst nicht mehr nur um die sieben Bewohner. Es geht um eine Grundsatzfrage.

Es ist nicht irgendeine WG, sondern „die“ Wiesbadener WG. Die 256-Quadratmeter-Altbauwohnung der „WG am Marktplatz“ ist Wohn- und Lebensraum für aktuell sieben junge Menschen, die gemeinsam – so wie seit dreißig Jahren Unzählige vor ihnen – mit viel Herzblut und Engagement eine bemerkenswerte Form des Zusammenlebens realisieren. Bereits 1983 wurde eine Vereinbarung mit der Stadt getroffen, diese Wohnung in exquisiter Innenstadtlage als gemeinnützigen „Verein zur Förderung des Wohnraumangebotes für Studenten in Wiesbaden e.V.“ zu nutzen. Diese WG fürchtet nun um ihre Existenz. Und die Stadt muss die Grundsatzfrage beantworten: Ist junges und studentisches Leben inmitten von Wiesbaden erwünscht?

Jahrelange Querelen um unhaltbare Mängel der Wohnung mündeten vor wenigen Wochen in einer Räumungsklage des Vermieters, der stadteigenen Wohnbaugesellschaft GWW. Auch wenn die einbehaltene Miete mittlerweile bezahlt und die Räumungsklage nun – nach öffentlichem Bekanntmachen der Situation durch die WG, einer Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft, vermittelnde Gespräche bis in den Sozialausschuss des Stadtparlaments – ruht, können die WG-Bewohner noch lange nicht ruhig schlafen. Sie werden das Gefühl nicht los, dass die GWW sie loswerden will.

GWW-Boss: „Offen, ob WG nach Sanierung als Mieter auftreten kann und will“ 

Wer die Statements von GWW-Geschäftsführer Xaver Braun im Ausschuss hörte, versteht die anhaltende Verunsicherung. Er sprach von einer notwendigen Komplettsanierung, die nicht im bewohnten Zustand möglich sei. Die Bewohner sollten sukzessive ausziehen, die GWW stelle Ersatzwohnungen. Die veranschlagten Kosten bezifferte er auf 190000 Euro. Anschließend müsse es „natürlich“ eine Mietsteigerung geben. Und dann sei es „offen, ob die WG wieder als Mieter auftreten will und kann“. Auch wenn alle Seiten von grundsätzlich guten Gesprächen miteinander berichteten: Bei diesem Szenario schrillen nicht nur bei den Bewohnern, die eigentlich nur auf selbstverständliche Instandsetzungsmaßnahmen pochen, die Alarmglocken. Auch Rathauspolitiker wie Christoph Manjura (SPD) oder Manuela Schon (Die Linke/Piraten) mahnten an, die Frage nach dem „Danach“ vor einer möglichen Sanierung zu klären.

Sozialdezernent: „Keine Luxussanierung“ 

Sozialdezernent Arno Goßmann sprach sich klar für studentisches Wohnen in dieser Lage aus, meinte, es dürfe „keine Luxussanierung“ geben und äußerte sich in Richtung der WG-Bewohner optimistisch: „Wir werden einen Weg finden, ihrem Anliegen Rechnung zu tragen“. Der qua Amt Aufsichtsratsvorsitzende der GWW sagte aber auch: „Im Detail setze ich auf den Sachverstand derer, die wissen, wie man Wohnungen saniert.“ OB Sven Gerich wiederum, der sogar nachts via facebook mit den besorgten WG-Bewohnern kommuniziert hatte, verweist nun auf die Verantwortung des Fachdezernenten Goßmann und will sich nicht mehr öffentlich zu dem Thema äußern.

Was uns die Bewohner wenige Tage nach dem Termin im Rathaus am Küchentisch ihrer WG, dem Dreh- und Angelpunkt ihres Zusammenlebens, schildern, klingt nicht unbedingt nach Sachverstand im Hause GWW. „Seit Jahren geht hier immer wieder etwas kaputt oder weist Mängel auf“, erzählt Seb und schildert die immer gleichen Abläufe: „Wir melden es schriftlich bei der GWW, darauf kommt meistens keine Reaktion. Dann drohen wir mit Mietkürzung, und dann tut sich was.“ Bereits vor zwei Jahren sei die GWW zu der Einsicht gekommen, dass die Wohnung komplett saniert werden solle. Die WG habe sich damals auf einen temporären Auszug in Ersatzwohnungen eingelassen, schon Umzugskartons gekauft und teilweise gepackt: „Und dann wurde vier Wochen vor dem Termin alles wieder abgesagt.“

Kein Wasser, schlaflose Nächte, Frieren – Mängel sind Dauerthema

Die Mängel blieben und wurden zum Dauerthema der genervten Bewohner, die mal kein Wasser haben, im Winter wegen laut knackender Heizkörper nicht schlafen können, mit undichten Fenstern leben und einiges mehr. Katharina bringt ein Holzstückchen in die Küche: „Vom Fensterrahmen abgefallen“, lacht sie. Mitunter halten sich die geplagten Bewohner mit Galgenhumor bei Laune. „Wir sind nach wie vor an einer Lösung interessiert, aber nicht an einer Lösung, die einfach nur gut für die GWW ist“, äußert sich Katharina versöhnlich und kämpferisch zugleich und stellt klar: „Wir wollen hier nicht ausziehen.“ Die Bewohner setzen auf eine Lösung, nach und nach Zimmer für Zimmer in Ordnung zu bringen und halten diesen Weg auch für möglich.

1 Tag Party, 364 Tage Alltag 

Von der jetzt plötzlich angekündigten Komplettsanierung des Hauses habe noch keiner der Nachbarn etwas gehört, wundern sich die WG-ler. „Im Haus ist alles cool“, widerspricht Seb bei der Gelegenheit der Darstellung, Beschwerden und Stress mit der Nachbarschaft seien an der Tagesordnung. Sie seien nicht „die Party-WG“, sondern feierten einmal im Jahr den Geburtstag ihres Vereins – die restlichen 364 Tage des Jahres herrsche ruhiger Alltag. In diesem Jahr verlegen sie die Kult-Party, auf der immer bekannte Bands auftraten und angesagte DJs auflegten, aus aktuellem Anlass in den Kulturpalast. Die „WG Benefiz Party“ zum 30-jährigen Vereinsbestehen am 29. November soll helfen, die rapide aufgelaufenen Anwaltskosten zu schultern. Es geht den Bewohnern auch längst nicht mehr nur um sich selbst: „Es geht um die Situation von Studenten in der Innenstadt. Studenten inspirieren eine Innenstadt und gehören hierher. Es gibt lauter neue Studiengänge, aber keinen Wohnraum, das ist doch widersprüchlich“, appelliert Katharina an die Verantwortlichen der Stadt, die gerade erst mit „Studentenfutter“-Aktionstagen demonstrativ zeigte, was für eine klasse Studentenstadt Wiesbaden doch ist. Verzeihung: sein will.

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