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Bundesweit erster „Cannabis Social Club“ in Wiesbaden? Antrag im Stadtparlament, Kiff-In vor dem Rathaus

Wiesbaden könnte die wohl erste Stadt in Deutschland werden, die einen Ort für legales Kiffen schafft und betreibt. Mit ihrem sehr detailliert ausgearbeiteten Vorschlag zur Entwicklung eines wissenschaftlich begleiteten Modellprojekts für einen sogenannten „Cannabis Social Club“, den sie an diesem Donnerstag ins Stadtparlament einbringen und den sensor hier in aller Ausführlichkeit veröffentlicht, wollen LINKE und PIRATEN in Wiesbaden „den Weg für eine realitätsgerechte und verantwortungsvolle Drogenpolitik bereiten“. Vor der öffentlichen Sitzung, die um 16 Uhr im Rathaus beginnt, laden die Linken am 16. November um 15.30 Uhr zu einem „Kiff-In“ vor dem Rathaus. Motto: „Legalize it, Stupid“.

Bei dem Antrag „geht es nicht darum, Drogen zu verharmlosen oder gar zu verbreiten“, betont Ingo von Seemen, Sozialpolitscher Sprecher der LINKE&PIRATEN Rathausfraktion Wiesbaden (L&P): „Vielmehr ist es unsere Aufgabe als politisch Verantwortliche unsere Rechtsordnung weiterzuentwickeln und auch neue Lösungen für aktuelle Fehlentwicklungen zu finden.“ Es sei „längst an der Zeit Drogenpolitik, Kriminalitätsbekämpfung, Prävention und Jugendschutz beim Thema Cannabis in einer vernünftigen und effektiven Weise miteinander in Einklang zu bringen.“

Während Cannabis, wie Studien eindeutig belegen, heute längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei, würden Herstellung und Vertrieb in Deutschland weiterhin kriminellen Strukturen überlassen. „Für die Justiz ein doppeltes Dilemma: Von der Aufrechterhaltung des Status Quo profitieren am stärksten Kriminelle, die mit den Gewinnen zu ernsten Bedrohungen der inneren Sicherheit werden, und gleichzeitig werden Polizeiressourcen für die zumeist ergebnislose Strafverfolgung von Konsumenten verausgabt“, erläutern die Antragsteller ihre Überlegungen. Auch aus Polizeikreisen sei daher in den letzten Jahren der Ruf nach Reformen immer wieder laut geworden.

„Die Faktenlage ist einfach erdrückend“, findet von Seemen: „Die heutige Regelung ist teuer und fördert eindeutig kriminelle Strukturen. Durch eine Entkriminalisierung wäre es zudem möglich Jugendliche endlich glaubwürdig und effektiv für die Gefahren von Cannabis zu sensibilisieren, ohne sie dabei zu stigmatisieren.“ Die Erfahrungen aus ähnlichen Modellprojekten beispielsweise in einigen US-Bundesstaaten oder auch Barcelona sind vielversprechend. Ein Wiesbadener „Social Cannabis Club“ wäre nach Überblick von Seemens – hier eine Übersicht aller CSCs in Europa – der erste und bislang einzige in Deutschland. „Ob und wie ein solches Konzept auch bei uns in Wiesbaden sinnvoll sein kann, möchten wir im Rahmen eines solchen Modellprojekts wissenschaftlich klären lassen“, sagt er.

Kiff-In vor dem Rathaus als kleines Happening

Wer weiß, welche Allianzen bei diesem Thema entstehen. Zum „Kiff-In“ an diesem Donnerstag („Wir werden uns nicht strafbar machen, keine verbotenen Substanzen konsumieren oder dazu auffordern, sondern die regulierte Freigabe mit einem kleinen Happening fordern“) haben sich auf Facebook auch schon Stadtverordnete der Grünen und der FDP als „interessiert“ angemeldet …

(Dirk Fellinghauer/Foto Die Linke Wiesbaden)

Bereits 2015 hatte sensor hier die Cannabis-Legalisierung-Aktivisten in Wiesbaden und Mainz vorgestellt (Archivfoto Kai Pelka).

Das „Cannabis legalisieren“-Konzept für Wiesbaden im Detail

Wir veröffentlichen nachfolgend das schon detailliert ausgearbeitete Konzept zum L&P-Antrag in Auszügen:

„Ziel ist es eine Ausnahmegenehmigung für das Betreiben eines Cannabis Social Club (CSC) zu erhalten. Dieser soll nach folgenden Regeln betrieben werden:

– Mitglied werden kann jede Einwohnerin und jeder Einwohner der Landeshauptstadt Wiesbaden (LHW).

– Anbau, Ernte und Weiterverarbeitung des Cannabis erfolgt durch die Mitglieder.

– Die Abgabe des Cannabis erfolgt ausschließlich an Mitglieder gegen einen Unkostenbeitrag.

–  Jedes Mitglied erhält höchstens ein Gramm pro Tag.

– Mitgliedern ist der Besitz von bis zu 6 Gramm außerhalb der Räumlichkeiten des CSC gestattet.

– Die Räumlichkeiten sind nur für Mitglieder des CDC zugänglich.

– Ein Handel mit Cannabis oder eine Abgabe an Dritte, insbesondere Minderjährige, bleibt illegal und führt zum Ausschluss.

– Für Menschen, die Cannabis aufgrund einer ärztlichen Empfehlung konsumieren, können die Regeln bedarfsgerecht modifiziert werden.

Die Landeshauptstadt Wiesbaden sorgt für einen ordnungsgemäßen Betrieb, kontrolliert die Sicherheit, Qualität, den Wirkstoffgehalt und Verbleib des Cannabis. Zudem sorgt die LHW für
bedarfsgerechte Präventions-, Informations- und Hilfsangebote, u. a. durch die Förderung von Konsumformen ohne Verbrennung wie Vaporizer.

Das Modell ist so zu konzipieren, dass Menschen durch ihre Mitgliedschaft keine Nachteile – insbesondere kein Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung – entstehen.
Das Projekt sollte wissenschaftlich begleitet werden. Hierfür ist ein Vorschlag zu erarbeiten.

Begründung:
Die Mehrheit der Menschen in Hessen spricht sich laut einer EMNID-Umfrage (…) gegen die immer noch bestehende Kriminalisierung und für eine Liberalisierung in der Cannabispolitik aus. In keinem Bundesland waren die Menschen weniger zufrieden mit der aktuellen Drogenpolitik und in keinem Flächenland waren mehr Menschen für eine „Legalisierung von Cannabis“! Das Modell des CSC wird in Belgien und Spanien bereits seit mehreren Jahren erfolgreich betrieben.

Cannabis birgt für die Konsumierenden sowie für die Gesellschaft Risiken. Die Gesellschaft wird indirekt durch den Schwarzmarkt, auf dem Dealer wie Mafia aktiv sind, bedroht sowie durch die Kosten für die Strafverfolgung belastet.

Zweck und Ziel des geltenden Betäubungsmittelgesetzes ist (laut Regierungsvorlage des Betäubungsmittelgesetzes 1981, BTDrucks. 8/3551, S. 23 f.) der Schutz der menschlichen Gesundheit sowie eine Regelung des Verkehrs mit Betäubungsmitteln, um deren Sicherheit und Kontrolle zu gewährleisten, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicher zu stellen und den Missbrauch von Betäubungsmitteln sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit zu verhindern.

Das Modell des Cannabis Social Clubs liegt im öffentlichen Interesse und verfolgt Zweck und Ziel des BtMG, weil es im Vergleich zum bereits existierenden Schwarzmarkt für Cannabis folgende Vorteile bietet:
– Das Cannabis kann auf Qualität und THC-Gehalt geprüft werden und ist frei von gesundheitsgefährdenden Streckmitteln und anderen Verunreinigungen. – Die Förderung von tabak- und verbrennungsfreien Konsumformen mindert die Schäden der Atemwege durch Cannabiskonsum. – Durch eine Schwächung des Schwarzmarktes wird der Gewinn der organisierten Kriminalität geschmälert und das unkontrollierte Angebot eingeschränkt. – Die Präventions-, Informations- und Hilfsangebote in einem CSC können die Gesundheit fördern und besser vor Missbrauch sowie Abhängigkeit schützen, da sie die Konsumenten und Konsumentinnen direkt erreichen. – Die Polizei wird von der Verfolgung der Konsumenten und Konsumentinnen entlastet und kann sich verstärkt um andere Kriminalität kümmern. – Menschen, die Cannabis aus gesundheitlichen Gründen nutzen, wird über eine CSC ihre Medizin kostengünstig zugänglich gemacht.

Betäubungsmittelgesetz ermöglicht Ausnahmegenehmigungen

Der §3 (2) BtMG (Betäubungsmittelgesetz) erlaubt explizit Ausnahmegenehmigungen „zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken“. In einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Januar 2000 (AZ2 BvR 2382 – 2389/99) heißt es: „Die medizinische Versorgung der Bevölkerung ist danach auch ein öffentlicher Zweck, der im Einzelfall die Erteilung einer Erlaubnis (…) rechtfertigen kann.“

Über den §3 BtMG kann jede Person, aber auch jeder Verein und jede Gemeinde einen Modellversuch zur Abgabe von Cannabis beantragen. Das bundesdeutsche Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger lief beispielsweise ebenfalls über diesen Paragraphen. Ebenso besitzen ca. 150 Personen in Deutschland die Erlaubnis, Cannabis aus der Apotheke zu erwerben.

Schätzungsweise ca. 10.000 Kiffer in Wiesbaden

Laut dem jährlichen Bericht der Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) zur Drogensituation in Deutschland 2012 hatten circa 3 Millionen Menschen im Vorjahr Cannabis konsumiert. Jemals Cannabis konsumiert haben ca. 15 Millionen Menschen. Bezogen auf die Einwohnerzahl von Wiesbaden wären dies ca. 10.000 Konsumierende von Cannabis. Laut der Arbeitsgemeinschaft „Cannabis als Medizin“ könnten zudem 0,1 – 1% der Bevölkerung von Cannabis als Medizin profitieren, dies wären bis zu 2.500 Personen.

Die Ausgaben des Staates zur Verfolgung von Cannabisgekonsumierenden betragen umgerechnet auf die ca. 290.000 Bürger*innen der LHW 3.000.000 Euro jährlich, während laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen umgerechnet nur ca. 100.000 Euro insgesamt in die Suchtprävention für alle legalen und illegalen Drogen fließen. Die Kommune sollte eine Vereinbarung mit dem Land anstreben, um an den Einsparungen bei den Kosten für die Strafverfolgung beteiligt zu werden.

Die Landeshauptstadt Wiesbaden hat alleine bei den Genusskonsumierenden das Potenzial für bis zu 50 Cannabis Social Clubs (bei angenommenen 200 Mitgliedern pro CSC). Für jeden dieser Clubs ist eine halbe Stelle für die Präventions-, Informations- und Hilfsangebote einzuplanen. Dies entspricht einem finanziellen Umfang in diesem Bereich in Höhe von ca. 1.600.000 Euro – ohne dass die LHW dafür einen Euro ausgeben muss.

Überschlagsrechnung
Die folgenden Berechnungen sind bewusst konservativ gehalten und sie beziehen sich auf nur einen Cannabis Social Club. Mit jedem weiteren CSC sinken die Kosten pro Club, da die Ausgaben für die Sicherung des Anbauraums nicht linear steigen und der Aufwand für die Initiierung des Projekts nur einmal geleistet werden muss.

Die Produktion von Cannabis unter legalen Bedingungen ist sehr viel günstiger als unter illegalen Bedingungen. Experten aus den USA gehen von einem Produktionspreis von deutlich unter einem Euro pro Gramm aus.

Die Firma Bedrocan in den Niederlanden produziert Cannabis als Medizin in Arzneimittelqualität für 3 Euro pro Gramm bei einer Jahresproduktion von 150 kg. Im CSC dürften die Produktionskosten trotz der geringeren Menge kleiner ausfallen, weil kein klinischer Standard eingehalten werden muss und der Anbau selbst ehrenamtlich durch die Mitglieder erfolgen kann.

Bei einem Anbau durch die Mitglieder des CSC und Kontrolle durch städtisches Personal wird der Preis damit sicher 2 € pro Gramm nicht übersteigen.

Der Schwarzmarktpreis von Cannabis für Kleinmengen schwankt innerhalb von Deutschland zwischen 6 und 15 Euro, die DBDD geht von 9 Euro als Mittelwert aus. Der Großhandelspreis auf dem Schwarzmarkt liegt bei etwa 4.300 € pro kg. Für sauberes und hochwertiges Cannabis sind Konsumierende in der Regel bereit, mindestens 8 Euro pro Gramm zu zahlen.

Der durchschnittliche regelmäßig Konsumierende verbraucht 1-2 Gramm Cannabis pro Woche. Ohne Gelegenheitskonsumierende kann man von einem Konsum von 20-40 Gramm pro Monat ausgehen.
Ein Cannabis Social Club mit ca. 40 regelmäßig Konsumierenden hätte einen Verbrauch von circa 15 kg pro Jahr.

Die Differenz zwischen dem Produktionspreis und dem Abgabepreis an die Konsumierenden liegt bei 6 Euro pro Gramm. Damit wären pro kg Cannabis und Jahr 6.000 € für den Betrieb des Cannabis Social Clubs und die Unkosten der Kommune nutzbar. Bei einem Jahresverbrauch von 15 kg wären dies 90.000 €.

Bei mehreren oder größeren Clubs würden die Produktionskosten für das Cannabis deutlich sinken, während die Ausgaben nicht proportional steigen.

Ausgaben der Kommune
Verwaltung des CSC 29.000 €

Personalkosten für eine halbe Stelle nach E08 6.000 €

Sachkosten für eine halbe Stelle.
Präventions-, Informations- und Hilfsangebote im CSC 34.000 €

Personalkosten für eine halbe Stelle nach E12 6.000 €

Sachkosten für eine halbe Stelle
15.000 €

Umbaukosten für die Sicherung des Anbauraums wären 3.000 € pro Jahr bei 5 Jahren Betrieb.

36.000 + 6.000 Euro für eine halbe Stelle E13 für die Initiierung des Projekts und dem Antrag beim BfArM wären 8.400 € pro Jahr.

In Summe wären dies Ausgaben in Höhe von 86.400 € pro Jahr.

Bei Patientinnen bzw. Patienten sollte ein reduzierter Preis angestrebt werden. Eine Quersubventionierung zwischen Genusskonsumierenden und Patientinnen bzw. Patienten wäre erstrebenswert. Da Patientinnen bzw. Patienten durch ihren Arzt betreut werden, sind hier Präventions-, Informations- und Hilfsgangebote weniger notwendig.“