Oberbürgermeister Sven Gerich hält es, wie er in seinem diesjährigen offiziellen Weihnachtsgruß schreibt, gerne mit Mark Twain, der einmal gesagt haben soll: „Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden.“ Einige – zumindest auf den ersten Blick und laut seiner Beteuerung rein private – Tage, die der SPD-Rathauschef in den letzten Jahren als besonders schön erlebt haben dürfte, holen ihn nun wieder ein – in Form heftiger Vorwürfe seitens der CDU und auch der Grünen. Doch Gerich, der in seinem Weihnachtsgruß auch schreibt „Ich finde, man sollte ein bisschen mehr die positiven Dinge im Leben sehen – und das gerade in der Vorweihnachtszeit“ lässt sich davon, zumindest bisher, nicht ins Schwitzen bringen.
Die CDU fährt, ungeachtet der Vorweihnachtszeit, in einer fünf Tage vor Heiligabend versandten Pressemitteilung schweres verbales Geschütz auf: „Gerich stellt Chefermittler kalt“ ist die Pressemitteilung überschrieben, die in einer brisant erscheinenden Botschaft mündet: Der Verdacht erhärte sich, dass bei der Vergabe städtischer Aufträge an den Gastronomen Kuffler bei der Vergabe des Caterings im neuen RMCC und der Kurhausgastronomie „getrickst wurde“. Die CDU fordert nun „schnellstmöglich“ eine Sondersitzung des Revisionsausschusses, die Grünen befürworten in einer etwa zwei Stunden später versandten eigenen Pressemitteilung eine solche „unverzüglich nach den Weihnachtsferien“. Wiederum zwei Stunden später reagierte der Attackierte am frühen Mittwochabend mit seiner „Klarstellung von Oberbürgermeister Gerich zur Pressemitteilung der CDU-Rathausfraktion vom heutigen Tag“. Am Donnerstag reagierte dann auch die SPD-Fraktion mit einer Pressemitteilung (siehe Update unten).
CDU: Korruptionsvorwürfe – OB: Rein freundschaftliche Besuche
Der aktuelle Aufhänger für die Aufregung von CDU – war der Dateiname einer früheren Pressemitteilung zur gleichen Thematik noch „Affäre“, ist sie nun bei „Skandal“ angelangt – und Grünen ist eine nicht unbedeutende Rathaus-Personalie. In der jüngsten Magistratssitzung hatte der OB die Versetzung des kommissarischen Leiters des städtischen Revisionsamts, Volker Löber, in das Amt für Grundsicherung und Flüchtlinge bekannt gegeben. „Offensichtlich hat dieser versucht, als Chefermittler Licht ins Dunkel der Korruptionsvorwürfe gegen Gerich zu bringen und dabei Belastendes entdeckt“, mutmaßt die CDU über die Hintergründe. Gemeint sind Reisen von Sven Gerich und seinem Ehemann auf Einladung von Roland Kuffler. Zwei Nächte in Südfrankreich, eine Nacht in Bayern, Frühstück und Abendessen hatte Gerich nach Publikwerden der Vorwürfe selbst eingestanden, außerdem noch die Begleitung beim Wiesn-Einzug des Münchener Oktoberfestes in einer Kutsche in den drei Jahren 2015, 2016 und 2017. Der OB hat mehrfach betont, alles sei rein freundschaftlicher Natur gewesen und habe nichts mit möglichen Geschäften und Aufträgen seitens der Stadt Wiesbaden zu tun.
Grüne sehen „haufenweise Merkwürdigkeiten“
Die revisionspolitische Sprecherin der CDU-Rathausfraktion, Renate Kienast-Dittrich, verweist nun auf „Vorwürfe, die in einem `Vorläufigen Sachstand zu den Auffälligkeiten bei der Ausschreibung und bei der Vergabe des Catering RMCC und der Kurhausgastronomie´ aufgeführt werden“. Bei der Vergabe des RMCC-Caterings an Kuffler kritisiere das Papier „Keine ausreichenden Kontrollen“, „Mangelnde Transparenz wesentlicher Entscheidungen“, „Verzicht auf EU-weite Ausschreibung“, „Verzicht auf Festlegung einer Mindestpacht“. In Sachen Kurhausgastronomie pickt die CDU den Verzicht auf eine „Anpassung der jährlichen Miete“ heraus. Diese betrage 4,3 Prozent des Betriebsumsatzes, angemessen seien laut Bericht acht bis zwölf Prozent. Für die Grünen konstatiert deren stellvertretender Fraktionsvorsitzender Felix Kisseler, das Revisionsamt habe „haufenweise Merkwürdigkeiten und schwerwiegende Ungereimtheiten zu Tage gefördert“.
Mit den Worten „Die Versetzung des amtierenden Revisionsamtsleiters inmitten der Untersuchung über die Vergabeverfahren mutet wie ein Eingriff in die laufende Arbeit des Revisionsamtes an“ fordert Grünen-Fraktionschefin Christiane Hinninger OB Gerich auf, „die Versetzung zu unterlassen beziehungsweise rückgängig zu machen.“ CDU-Frau Kienast-Dittrich geht davon aus, „dass durch die Versetzung des Beamten Rechte des Stadtparlaments verletzt worden sind“, da dadurch die Funktionsfähigkeit des Revisionsamtes, das seit drei Jahren ohne Leiter auskommen müsse, beeinträchtigt werde, wenn nun auch noch einer der kommissarischen Leiter versetzt werde. Ihr stelle sich sich die Frage, „wer außerhalb der Stadt Wiesbaden berufen ist, die im Dunkeln liegenden Fragen zu beantworten.“ Die Grünen finden: „Angesichts dieser Sachlage ist es nicht akzeptabel, wenn nun die dringende Aufklärung unterbrochen und an externe Gutachter delegiert werden soll. Es kann nicht sein, dass man sich die Untersucher je nach Thema auswählt.“
OB kündigt Antworten im Januar an
In seiner „Klarstellung“ führt der OB Sachverhalte auf, die den Attacken den Wind aus den Segeln nehmen sollen – so auch den von der CDU geäußerten Vorwurf, „auf zahlreiche Fragen der CDU-Rathausfraktion im Revisionsausschuss wollte Gerich aber nicht antworten und widersetzte sich damit einer raschen Aufklärung“. Der Revisionsausschuss habe, so Gerich in seiner Erklärung, in seiner Sitzung am 28. November dieses Jahres den Zwischenbericht des Revisionsamtes zur Vergabe der Kurhaus-Gastronomie zur Kenntnis genommen. Er habe ebenfalls ohne Widerspruch oder Gegenrede zur Kenntnis genommen, dass die an Oberbürgermeister Gerich gerichteten Fragen in der Sitzung am 30. Januar 2019 beantwortet werden. Dabei handele es sich um eine Antwort, die der Oberbürgermeister bereits im August an den Magistrat zur Weiterleitung an den Revisionsausschuss gegeben habe, damit sie dort am 22. August diskutiert werden können. Der Magistrat habe die Antwort nicht weitergeleitet. „Festzuhalten bleibt, dass die Antwort – die inzwischen von anderer Seite öffentlich gemacht wurde – den Revisionsausschussmitgliedern seit langem schriftlich vorliegt, derzeit lediglich ein offizieller Weg der Weitergabe geprüft wird“, so die Gerich-Erklärung.
Der Oberbürgermeister habe „als erste Maßnahme“ aus seinem Budget eine Summe von vorerst bis zu 50.000 Euro zur Verfügung gestellt, die im Ermessen des Revisionsamtes zur Beauftragung externer Unterstützung bereitgestellt würden: „Da das Revisionsamt weisungsfrei arbeitet, steht es den prüfenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern frei, externe Unterstützung zu beauftragen, um Arbeitsspitzen abzufedern.“
Sozialdezernent Manjura: „Wir haben OB um Umbesetzung gebeten“
In der Frage der Umsetzung des stellvertretenden Revisionsamts-Leiters sei „darauf hinzuweisen, dass diese Umsetzung bereits seit Februar 2018 mit dem Fachbereich, der eine organisatorische Änderung beabsichtigt, besprochen wurde.“ Zu diesem Zeitpunkt sei das Revisionsamt mit keinerlei Prüfungen den Oberbürgermeister betreffend beauftragt gewesen. Dder Prüfauftrag sei erst im Juni 2018 erteilt worden, „vier Monate, nachdem die Umsetzung erstbesprochen und organisatorisch auf den Weg gebracht wurde“. Auch sei „der umgesetzte Beamte nicht der Prüfer in der Angelegenheit der Vergabe der Kurhaus-Gastronomie“ gewesen.
Sozialdezernent Christoph Manjura (SPD) hat auf Facebook zu der Personalie erläutert: „Der Kollege wird ins Amt für Grundsicherung und Flüchtlinge versetzt. Er soll dort die neue Abteilungsleitung Sozialhilfe übernehmen, nachdem wir dort eine Umorganisation vornehmen müssen, um Strukturen zu stärken. Hierfür benötigen wir einen erfahrenen Abteilungsleiter. Der Oberbürgermeister folgt damit einer Bitte, die wir bereits im Frühjahr an ihn gerichtet haben.“
Schließlich betont der OB erneut, dass er mit der Vergabe von Aufträgen an die Firma Kuffler nicht befasst gewesen sei. Die Betriebskommission TriWiCon habe das Catering für das RheinMain CongressCenter auf Vorschlag des damaligen Vorsitzenden der Betriebskommission, Stadtrat Detlev Bendel, vergeben.
Vorboten auf harte Bandagen im OB-Wahlkampf?
Zweifelsfrei sind in der Angelegenheit einige Fragen offen und müssen (auf)geklärt werden. Einiges am Timing und Wording der aktuellen CDU-Pressemitteilung deutet aber für Beobachter darauf hin, dass es sich um einen Vorgeschmack auf den bevorstehenden OB-Wahlkampf (die Wahl ist im Mai 2019) und um eine Art Retourkutsche für die aktuellen Entwicklungen in der Sache Lorenz/Schüler handelt. Der bisher mächtige Mehrfach-Geschäftsführer städtischer Gesellschaften, Ralph Schüler, wurde am Tag der CDU-Pressemitteilung nach einer Aufsichtsratsentscheidung als GWI-Geschäftsführer abberufen, so wie zuvor schon als WJW-Geschäftsführer (18.12.) und als WVV-Geschäftsführer (12.12.): „Nach langer Diskussion und ausführlichen Würdigung der internen Sachverhaltsermittlung, hat der Aufsichtsrat auf Antrag des Aufsichtsratsvorsitzenden, Oberbürgermeister Sven Gerich, Ralf Schüler als Geschäftsführer der WVV abberufen. Gleichzeitig wurde eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund, hilfsweise eine ordentliche Kündigung, ausgesprochen“, lautete die Pressemitteilung zu dieser Entscheidung. In ihrem nun gestellten Antrag auf eine Sondersitzung des Revisionsausschusses schreibt die CDU-Fraktion: „Mitarbeiter des Stadtkonzerns werden von Herrn OB Gerich aufgefordert, binnen weniger Tage auf zum Teil viele Jahre zurück liegende Vorgänge verbindlich zu antworten. Es darf daher erwartet werden, dass er den selbst gesetzten Maßstäben gerecht werden nunmehr die mehr als ein halbes Jahr zurückliegenden Fragen beantwortet“. Eine klare Anspielung auf den Fragenkatalog, den OB Gerich an Ralph Schüler gerichtet hatte.
UPDATE Stellungnahme SPD-Fraktion
Am 20. Dezember hat die SPD-Rathausfraktion mit einer Pressemitteilung reagiert, Überschrift: „Billige Retourkutsche – Konstruierte Vorwürfe gegen den OB“ Der revisionspolitische Sprecher der SPD-Rathausfraktion, Urban Egert, kommentiert die erneuten Vorwürfe der CDU gegen den OB: „Einmal mehr scheint die CDU-Fraktion mehr von Wut und Rachegelüsten geleitet zu sein, als von ernsten Aufklärungsbemühungen.“ Er führt an, „dass im Revisionsausschuss ein Zwischenbericht zur Vergabe der Gastronomie im RMCC gegeben wurde. Es wurde dementsprechend nichts unterdrückt und nichts verheimlicht.“ Man habe sich einvernehmlich darauf geeinigt, dass der Oberbürgermeister am 30. Januar seine Antwort offiziell vorlegen solle. Die Behauptung der CDU, der OB habe die im Juni gestellten Fragen in Sachen Kuffler nicht beantwortet, nennt Egert „besonders heuchlerisch“ und führt aus: „Der Antworttext liegt seit 20. August allen Revisionsausschussmitgliedern vor, es war die CDU, die eine offizielle Weiterleitung im Magistrat verhindert hatte.“ Gleichzeitig sei seit September bekannt, dass alle Vorwürfe, die gegen den Oberbürgermeister und sein Büro erhoben worden sind, in Amtshilfe von seinem allgemeinem Vertreter im Amt, Bürgermeister und Rechtsdezernent Dr. Franz (CDU) bearbeitet würden, „um eine vorurteilsfreie und unabhängige Aufklärung aller Vorwürfe sicherzustellen“. Zur beantragten Sondersitzung meint der SPD-Mann: „Es geht im Zuge der derzeitigen Aufarbeitung darum, dass nichts offen bleibt und deshalb verwehren wir uns auch nicht gegen eine Sondersitzung des Ausschusses, auch wenn wir den Aktionismus angesichts einer regulären Sitzung zwei Wochen später etwas verwunderlich finden.“
(Dirk Fellinghauer/Archivfoto Landeshauptstadt Wiesbaden)