Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Arne Landwehr.
BERUF
Jeder kennt die FSK, kaum jemand weiß, was genau die FSK macht – und wie. Klären Sie uns doch mal auf.
Die Hauptaufgabe der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft ist die Altersfreigabe von Filmen. Dabei ist die Frage: Welches sind Inhalte, die Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung beeinträchtigen? Die FSK besteht seit 70 Jahren in Wiesbaden. Deswegen haben wir zurückgeblickt, wie sich FSK und Jugendschutz entwickelt haben. Das Ergebnis: Die Werte haben sich im Laufe der 70 Jahre verändert und mit ihr auch die problematischen Inhalte Gewalt, Drogen und Sexualität. Was früher im Vordergrund stand, ist heute eher unproblematisch. Aktuell spielen Gewalt, Diskriminierung und Sprache eine viel größere Rolle. Hate Speech etwa, auch Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Das Thema Nacktheit ist nicht mehr so kritisch im Jugendschutz. Das war früher anders. Denken wir an Hildegard Knef und „Die Sünderin“: Da wurde allein der Wille einer Frau, aus ihrer Beziehung auszubrechen, kritisch beurteilt.
Wer entscheidet über die Altersfreigaben?
Die FSK ist ein Brainpool für Jugendschutz. Das Besondere: Wir arbeiten in plural besetzten Gremien, damit es „demokratische““ Freigabeentscheidungen sind. Die Prüfer*innen kommen aus allen gesellschaftlichen Bereichen und aus ganz Deutschland. Sie wohnen dann eine Woche hier in Wiesbaden. Wir schauen ab 9 Uhr morgens drei Filme pro Tag. Nach jedem Film diskutieren wir offen und oft kontrovers, um zu einem guten Ergebnis zu kommen. Der Film wird in seiner gesamten Wirkung und anhand einzelner Szenen beurteilt.
Kinder und Jugendliche kommen heute über das Internet an alles, was sie wollen. Sind damit Ihre Altersangaben und Ihre Arbeit nicht sinnlos?
Im Kino wird das Alter kontrolliert, das ist Jugendschutz zu 110 Prozent (lacht). Aber gleichzeitig können die Kinder auf ihren Abspielgeräten fast alles erreichen und sehen. Zu Pornographie hat heute jeder Heranwachsende Zugang, wenn er danach sucht. Das weiß man. Ja, das ist ein Problem, damit umzugehen. Dazu sind wir aktuell in einer Diskussion über ein modernes Jugendschutzgesetz. Und Medienkompetenz muss von klein auf geübt werden – im Elternhaus und im Kindergarten schon.
Ihre Entscheidungen haben Tragweite nicht nur für Kinogänger, sondern auch für die Filmwirtschaft. Wird versucht, auf Sie Einfluss zu nehmen bei den Bewertungen?
Ob du eine 0 oder eine 6 hast bei einem Disneyfilm oder eine 12 oder 16 bei James Bond, das bedeutet Millionenunterschiede im Umsatz. Aber trotzdem hat niemand von der Filmwirtschaft Zugang oder Einfluss auf die Bewertung. Das ist total abgeschirmt. Bei Blockbuster-Produktionen kann der Verleiher Berufung einlegen, wenn er mit einer Altersfreigabe nicht einverstanden ist. Dann folgt ein komplett neues offenes Verfahren. Übrigens werden große Filmproduktionen von Bodyguards zu uns begleitet. Früher haben starke Männer die Filmrollen gebracht. Heute verbringen sie die komplette Vorführung im Vorführraum, um sicherzustellen, dass es niemand außer uns sieht.
Sie arbeiten auch über die Prüftätigkeit hinaus. Eines Ihrer Herzensprojekte ist „Lernort Kino“.
Das ist ein Projekt seit 2016 mit jungen Geflüchteten und Berufsschüler*innen der Schulze-Delitzsch-Schule zwischen 16 und 18 Jahren. Dort ist eindrucksvoll zu sehen, was ein Film schaffen kann – Er spricht die jungen Leute emotional sinnlich und intellektuell an. Und sie können dieses Erleben in die eigene Lebenswelt übertragen. Dabei bringen alle ihre eigene Geschichte und Kultur mit. Denn wir wollen ihnen nicht unsere Vorstellungen überstülpen. Wir wollen Türen für sie öffnen – dass sie sagen: Was bringe ICH mit, was finde ich hier, wo verknüpfe ich es mit dem, was ich hier an Möglichkeiten finde?
MENSCH
Hat das Kino Zukunft?
Das ist mein größter Wunsch, ich kämpfe dafür wie eine Löwin, mit vielen anderen. Man muss das Kino erhalten, dieses gemeinsame kulturelle Erleben. Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat gesagt: „Kinos sind Tankstellen, an denen man Zugang zum Kulturgut Film kriegt“. Das ist auch unsere Stoßrichtung, auch über die Projekte mit Jugendlichen und Geflüchteten. Sie müssen auch in schönen Kinos sitzen dürfen. Sie würden da nicht von sich aus hingehen, weil sie denken, diese Räume sind für andere reserviert. Auch die Festivals, goEast oder Exground, öffnen sich für die junge Generation, etwa durch Kinder- und Jugendjurys. Das ist genau der richtige Weg. Aber Kinder und Jugendliche in die Kinos zu bekommen, ist noch eine Zukunftsaufgabe. Ich fände es schön, wenn man mit den Jüngsten anfangen würde. Wir müssen uns mehr darüber auseinandersetzen, wie unsere Gesellschaft aussehen soll. Und dafür ist Kino ein wichtiger Ort.
Wie haben Sie selbst Kino als Kind und Jugendliche erlebt?
Als Kind war ich so gut wie nie im Kino. Heute ist Film für mich eines der idealsten Medien. Spannend sind Filme auch über die Länder, wo Flüchtlinge herkommen – da öffnet sich ein ganzer Kosmos.
Welches ist heute Ihr liebster Kinder- oder Jugendfilm?
„Lilo & Stitch“ ist mein absoluter Lieblingsfilm für Kinder. Da zeigt man das erste Mal im Mainstreamkino, dass eine Patchworkfamilie auch wertvoll ist. Es ist eine richtig gute Geschichte. Da sind Kinder plötzlich im Mittelpunkt, die sonst am Rande stehen.
Schauen Sie privat auch noch Filme?
Absolut. Ich bin wahrscheinlich mehr im Kino zu sehen als andere. Dann habe ich nullkommanull Jugendschutzblick. Sehr gerne sehe ich auch Blockbuster. Auf die Berlinale gehe ich jedes Jahr, nur um mal ein paar Filme einfach so sehen zu können.
Sie sind ein wandelndes Energiebündel. Wie entspannen Sie sich?
Im Kino! (lacht) Und ich bin seit fünf Jahren mit einer großen Gruppe von Flüchtlingen verbunden. Dieser Einsatz macht wirklich viel Spaß. Auch zu zeigen, was alles gut klappt. Ich werde bestimmt bald mal nach Äthiopien fliegen, da kommen die Menschen, die ich begleite, überwiegend her.