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Das große 2×5 Interview: Eva-Maria Winckelmann, Geschäftsführerin Mieterbund, 60 Jahre, 2 Söhne

Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Arne Landwehr.

Wie steht es um den Wiesbadener Wohnungsmarkt?

Bescheiden. Im Moment macht es sich besonders bemerkbar für Menschen, die altengerechte Wohnungen suchen, auch „fitte“ Senioren, die sich einfach verkleinern wollen. Studenten suchen wieder – im Grunde jetzt drei Semester gleichzeitig, weil viele während der Online-Semester nicht nach Wiesbaden gezogen sind. Generell fehlt vor allem preisgünstiger Wohnraum. Wiesbaden ist zwar ständig unter den Top-10-Mietpreis-Städten. Anders als etwa in Hamburg, Düsseldorf oder München sind hier aber die Gehälter nicht so hoch. Die Preise ziehen auch im Umland an, in Taunusstein, Niedernhausen, Idstein oder im Rheingau. Durch die Home Office-Situation haben Aspekte wie Balkon oder Garten größere Bedeutung bekommen. Ich würde es noch nicht als Stadtflucht bezeichnen, aber der Trend geht schon raus ins Grüne.

Wie können Fehlentwicklungen in Wiesbaden gestoppt werden?

Der Wohnungsbau muss angekurbelt werden. Wir brauchen eine Milieuschutzsatzung und definitiv eine Mietpreisbremse. Spekulationsgeschichten müssen unterbunden werden. Wir brauchen ein Umwandlungsverbot, die Bindungswirkung von Sozialwohnungen muss unbefristet sein. Hessenweit ist die Anzahl der Sozialwohnungen in den letzten 25 Jahren von fast einer Viertel Million auf jetzt nicht mal mehr 80.000 geschrumpft. Das ist eine schlimme Entwicklung.

In letzter Zeit fällt öfters das G-Wort. Erleben wir wirklich eine Gentrifizierung?

In Wiesbaden kann man das tatsächlich beobachten. Schleichend, aber es findet statt, etwa im Rheingauviertel, Mitte oder Bergkirchenviertel. Der klassische Weg: Ein neuer Eigentümer, der ein Haus als Kapitalanlage sieht, lässt Wohnungen modernisieren – was grundsätzlich ja zu begrüßen ist -, sie werden neu aufgeteilt und sofort teurer oder in Eigentumswohnungen umgewandelt. Leute, die viel Geld verdienen, finden es natürlich schön, da zu wohnen, die sollen auch da wohnen – aber es muss ein Mix bleiben. Solche Entwicklungen gefährden auch funktionierende Nachbarschaften, soziale Gefüge fallen weg. Ein buntes Viertel aus unterschiedlichen Personengruppen macht ja gerade den Reiz aus.

Wem gehört die Stadt, wenn es um Wohnraum geht? Wer sind die Player?

Bei den 140.000 Wohnungen in Wiesbaden haben wir das gesamte Spektrum. Es gibt das klassische Einfamilienhaus, die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die zum Glück im Moment einigermaßen sozial verträglich bauen. Es gibt auch private Investoren und Immobiliengesellschaften, die immer wieder andere Namen haben. Da wird für jedes Haus eine neue Immobiliengesellschaft gegründet, so dass es oft schwer zu durchschauen ist, wem was gehört. Wir haben Extrembeispiele mit zum Teil obskuren und subtilen Methoden, um Mieter loszuwerden. Es gibt aber natürlich auch solide und faire Vermieter.

Ihrem Verein Mieterbund Wiesbaden geht es laut Satzung um eine Verwirklichung nicht nur sozialer, sondern auch ökologischer Wohnungs- und Mietenpolitik und Wohnungswirtschaft. Was meinen Sie damit?

Beim Bauen müssen auch klimapolitische Aspekte berücksichtigt werden. Es hat keinen Wert, alles zuzupflastern und irgendwann 45 Grad in der Stadt zu haben. Wir sind auch noch dabei, unsere Position zum Ostfeld zu finden. Wir brauchen die Wohnungen auf alle Fälle, aus dieser Sicht geht die Tendenz dahin, dass wir es unterstützen. Aber es sollte zum Beispiel möglichst wenig Fläche versiegelt werden. Es gibt immer noch Baulücken auch in Wiesbaden – wo kann man aufstocken, wo kann man Baulücken schließen, wo ist es sinnvoll, Gebäude zu sanieren, dass weniger Energiekosten entstehen?

MENSCH

Was bedeutet Wohnen für Sie?

Ein sicheres Zuhause, in einer adäquaten Umgebung, so dass man sich auch wohlfühlt, in einer Gegend, wo man Familie und Freunde um sich hat.

Womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Freizeit?

Ich interessiere mich sehr für rhythmische Sportgymnastik und modernen Tanz. Früher habe ich das auch als Leistungssport betrieben und Jugendgruppen trainiert, dazu fehlt jetzt leider die Zeit. Ich bin ein großer Fan von Reisen und ausländischen Märkten und lese gerne italienische Krimis. Mir gefällt die arabische Kultur sehr gut, mein Mann ist großer Afrikafan, das haben wir auch schon kombiniert. Wir sind im nordafrikanischen Raum gereist und im Mittleren Osten – Oman, Marokko, Gambia, Tansania, Namibia und europäische Länder. Immer wieder zieht es uns nach Italien, da sind auch, in Siena, unsere Zwillingssöhne geboren.

Sie sind selbst Juristin, haben in Ihrer Heimatstadt Frankfurt in einer Anwaltskanzlei gearbeitet und eine eigene Kanzlei in Wiesbaden geführt, Ihr Mann ist Oberstaatsanwalt in Wiesbaden. Können wir uns da spannende Feierabend-Gespräche im Hause Winckelmann vorstellen?

Mein Mann ist viel mit administrativen Sachen beschäftigt, weil er stellvertretender Behördenleiter ist. Aber wir reden schon über Fälle, natürlich immer ohne Namen. Oft aber auch gar nicht, weil wir beide keine Lust mehr haben, abends auch noch über irgendwelche Streitfälle zu reden. Hin und wieder gibt es Berührungspunkte, die juristische Arbeit unterscheidet sich nicht so sehr. Da ist es schön, wenn man einen Partner hat, dem man abstrakt etwas schildern kann und den das dann nicht langweilt. Früher wollte ich auch immer selbst im Strafvollzug arbeiten – bis mir irgendwann klar wurde, dass ich dann selbst den ganzen Tag eingesperrt bin.

Wie war Ihr eigener „Wohn-Werdegang“? In welcher Lebenssituation haben Sie wie gewohnt?

Ganz unterschiedlich. Ich bin in einem typischen Frankfurter Stadtteil großgeworden, in Bornheim, richtig schön multikulti. Während des Studiums wohnte ich dann eine Zeitlang im Vordertaunus, weil die Wohnungen dort günstiger waren. Das hat mir dann aber auch gereicht, ich bin ein Stadtmensch. Dann zog ich wieder nach Frankfurt, wieder nach Bornheim. Ich mag Frankfurt gerne. Als ich meinen Mann kennenlernte, haben wir gesagt: Wiesbaden oder Frankfurt, wo wir zuerst was Schönes finden … So bin ich in Wiesbaden gelandet. Ich lebe hier sehr gerne, und wenn es doch mal zu beamtenmäßig wird, ist man ganz schnell in Frankfurt.

Welches sind Ihre Wünsche zu Weihnachten und für das neue Jahr?

Ich wünsche mir tatsächlich, dass jeder ein vernünftiges Zuhause hat. Dass die Menschen ein bisschen toleranter werden und hilfsbereiter, dass wir weiterhin ein demokratisches Europa haben und dass die Medizin sich so entwickelt, dass wir nicht nochmal in eine solche Situation kommen, wie wir sie im Moment erleben. Und dass der Hunger in der Welt bekämpft wird.