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Das große 2×5-Interview: Irene Fromberger, 69 Jahre, Initiatorin „Omas gegen Rechts“ Wiesbaden

Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Nele Prinz.

BERUFUNG

Warum braucht Wiesbaden die „Omas gegen Rechts“?

Wir stehen wie alle Regionalgruppen im gesamten Bundesgebiet für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für Toleranz, ein respektvolles Miteinander und die Vielfalt der Kulturen. Wir widersetzen uns rechtspopulistischen und rechtsextremen Strömungen jeder Art, also Ausgrenzung, Rassismus sowie allen Formen von Hass, Hetze und Gewalt. Wir sind hier eine Gruppe von mittlerweile etwa hundert Omas, und auch Opas, davon gut dreißig Aktive. Diese sind bei Stammtischen dabei, gehen mit auf Demos und Mahnwachen, betreuen die Infotische. Gegründet haben wir uns in Wiesbaden im Herbst 2019 mit damals nur einer Handvoll Frauen. Im Lauf der Zeit sind wir größer geworden, haben Bündnisse geschmiedet. Wenn man sich zusammentut mit gleichgesinnten demokratischen Kräften, bekommt man größeres Gewicht. Wir sind Mitglied im Bündnis gegen Rechts und im Bündnis für Demokratie und werden mittlerweile auch als ernstzunehmende Kraft seitens der politisch Verantwortlichen wahrgenommen.

Sie sind regelmäßig mit einer „Brandmauer gegen die AfD“ in der Wiesbadener Innenstadt präsent. Was hat es damit auf sich?

Wir sind vor Wahlen immer auf der Straße. Wir sind überparteilich und fordern auch jetzt die Bevölkerung auf, a) geht wählen und b) wählt demokratisch. Und sucht euch unter dem Angebot dasjenige aus, das euch und euren Bedürfnissen am ehesten entspricht. Die Brandmauer ist eine Idee der Frankfurter „Omas“. Ich fand die Idee so klasse, dass ich gesagt habe, die wird geklaut. Unsere Mauer ist beschriftet mit Aussagen aus unseren Statuten, mit antifaschistischen Aussagen, oben drüber haben wir unser Logo und die Pride-Fahne. Die Brandmauer kommt richtig gut an, das ist einfach ein toller Hingucker. Ab dem 2. September sind wir die sechs Wochen bis zur Landtagswahl immer mittwochs und samstags von 10 bis 14 Uhr in der Innenstadt auf der Straße.

Meinen Sie wirklich, Sie können damit AfD-Wähler davon abhalten, dieser Partei ihre Stimme zu geben?

Wir sind auf der Straße, um die Ambivalenten zu überzeugen, wählen zu gehen und demokratisch wählen zu gehen. Man hört ganz viel à la „nein nein, mit der AfD weiß ich auch nicht so recht, aber …“ Und dann kommt der entscheidende Satz nach dem Aber – „wir haben doch zu viele Ausländer“ oder „dieses Heizungsenergiegesetz“ oder oder. Das sind die Kandidaten, die man im Gespräch eventuell überzeugen kann. Mit Hardcore-AfD-lern braucht man nicht zu sprechen, das hat die Erfahrung gezeigt, das ist vergebliche Liebesmühe, vergeudete Energie. Da brechen wir auch Gespräche ab. AfD-ler kommen schon, natürlich sind da auch Beschimpfungen inklusive. Ich wurde auch mal angespuckt von einem, aber der war nicht ganz bei sich. Das sind Kollateralschäden, das passiert.

Wie verkraften Sie Anfeindungen?

Ich kann mich da gut schütteln und weitermachen. Da geht aber jede anders mit um. Eine in unserer Gruppe ist ausgebildeter Coach. Sie bietet an, wenn jemand Schwierigkeiten hat, mit solchen Situationen umzugehen, eine kleine Supervision zu machen. Es wird auch niemand von uns gezwungen, an den Infotischen zu stehen, es gibt auch einfach Leute, die sagen, das kann ich nicht. Dann muss man das auch respektieren.

Oft wird gesagt, auch wenn man gegen die AfD sei, könne man für Ihre Wähler:nnen Verständnis haben. Haben Sie das?

Da tue ich mich sehr schwer. Es kann mir heute keiner mehr erzählen, er hätte nicht gewusst, was die AfD wirklich will. Ich verlange von niemandem, dass er das Höcke-Buch liest oder das Wahlprogramm oder sich einen kompletten AfD-Parteitag auf Phoenix antut. Wir machen all das – wir teilen uns dabei auf, sonst wird der Brechreiz für die Einzelne zu groß – und exzerpieren daraus. Alles ist zugänglich. Da habe ich dann schon wenig Verständnis für Menschen, die sagen, die wählen wir halt mal aus Protest. Aus Protest Nazis zu wählen, Entschuldigung, das ist für mich kein Protest, das ist Dummheit.

MENSCH

Welche konkrete Angst macht Ihnen die AfD?

Ich möchte nicht übermorgen im Faschismus aufwachen. Wir haben alle irgendwann mal Geschichtsunterricht gehabt. Einige von uns, die älteren Datums sind, haben noch die Auswirkungen der NS-Zeit mitbekommen. Jede von uns weiß, was passiert ist, keine möchte das nochmal. Das ist schon eine beängstigende Situation im Moment, wenn man sich die Zahlen anschaut. Und wenn man sich auch diese Ignoranz der Menschen anschaut, die sich an irgendeinem Thema festbeißen und eigene Unzufriedenheiten und Unzulänglichkeiten der Regierung in die Schuhe schieben oder den politischen Parteien und Mandatsträgern. Also mir macht das Angst. Angst kann zweierlei machen: sich zurückziehen oder sagen, ich halte dagegen. Ich entscheide mich für Letzteres.

Sie engagieren sich seit Ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben. Wie sah dieses aus?

Den Löwenanteil verbrachte ich in der PR-Branche, für Unternehmen in den Bereichen Bauen, Wohnen, Design, Architektur. Die letzten neun Jahre meines Berufslebens hatte ich in der Taunusstraße ein Geschäft, die Villa Bianca.

Eigentlich kommen Sie aus München. Vermissen Sie Ihre Heimatstadt?

Seit 2007 lebe ich in Wiesbaden, ich bin also noch ein Frischling in der Stadt. Aber wenn man etwas auf die Beine stellt, dann kann man das überall. Man muss nur die richtigen Leute finden. Anfangs habe ich München sehr vermisst. München ist eine Stadt mit 1,4 Millionen Einwohnern. Mir hat erstmal in Wiesbaden ein bisschen die Anonymität gefehlt, die ist nämlich manchmal ganz nett. Die Anonymität einer Großstadt hat auch Vorteile. Natürlich hat das weniger anonym sein auch Vorteile – aufs Weinfest kannst du im Prinzip alleine gehen, du triffst ja immer Leute. Es ist aber ein anderes Lebensgefühl, eine andere Mentalität. Wir Bayern sind manchmal ein bisschen derber, da muss man sich anpassen. Mittlerweile fühle ich mich hier superwohl.

Was gönnen Sie sich im Leben?

Reisen! Als Freiberufler kam ich immer nur zu ganz kurzen Reisen. Große Reisen holen wir jetzt nach. Im Januar habe ich eine Rundreise in Thailand gemacht. Im Juni war ich rund um Spitzbergen, und jetzt im Herbst geht es in die Antarktis. Das sind so Sachen, die macht man einmal im Leben, so große Träume, nach dem Motto „Die Pinguine und ich“. Diese Träume erfüllen mein Mann und ich uns jetzt. Man muss ja auch schauen, dass man es macht, solange man noch gesund ist.

Sie taugen mit Ihrem unermüdlichen und unerschrockenen Engagement selbst zum Vorbild. Haben Sie Ihrerseits Vorbilder?

Ich habe mir nie ein Vorbild ausgesucht. Es gibt Menschen, die haben mich sehr bewegt, dazu gehört sicherlich damals Willy Brandt, das Misstrauensvotum gegen ihn, das war auch für mich nochmal ein Impuls damals als junge 17, 18-Jährige. Ich habe aber nicht so den Nelson Mandela oder wen auch immer in der Weltgeschichte, den ich als Vorbild bezeichnen könnte. Es gibt jedoch viele Menschen, deren Verhalten finde ich vorbildlich. Das ist der berühmte aufrechte Gang, den ich sehr schätze.

Aktuelle Aktion: „Brandmauer gegen die AfD“ bis zur Landtagswahl

Die Wiesbadener „Omas gegen Rechts“ stehen bis zur Landtagswahl am 8. Oktober jeden Mittwoch und Samstag in der Wiesbadener Innenstadt mit einer selbst errichteten „Brandmauer gegen die AfD“ und laden zur Aufklärung, Information und Diskussion – jeweils 10 bis 14 Uhr:

30.09.23 Marktstraße Ecke Kirchgasse
04.10.23 Kirchgasse Ecke Schulgasse
07.10.23 Marktstraße Ecke Grabenstraße

Ihre Botschaft: „Das Fazit für alle wahlberechtigten Demokraten in Deutschland kann nur lauten: GEHEN SIE WÄHLEN! Setzen Sie sich mit Ihrem Votum ein für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für die Vielfalt der Kulturen, für Toleranz und ein respektvolles Miteinander. Wenden Sie sich gegen Faschismus, Rassismus, Antisemitismus, jegliche Ausgrenzung von Minderheiten sowie alle Formen von Hass, Hetze und Gewalt.“