Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Arne Landwehr.
Was verbirgt sich hinter „Wiesbaden Engagiert!“?
Der Gedanke, dass Unternehmen und gemeinnützige Organisationen auf ganz vielfältige Art und Weise zusammenarbeiten und Verantwortung übernehmen können und dabei alle profitieren. Aus der Idee wurde eine Strategie, in der sechs Formate zusammenspielen: als Flaggschiff die Aktionswoche „Wiesbaden Engagiert!“, das Patenprogramm „WiesPaten“, die Auszeichnung „Goldene Lilie“ für engagierte Unternehmen, „Du bist BERUFen“, um Jugendliche für Ausbildungsberufe zu interessieren, die Stadtteilpartner und das CSR RegioNet, in dem es um verantwortliche Unternehmensführung insgesamt geht.
20 Jahre „Wiesbaden Engagiert!“ wurde mit einer großen Feier im Rathaus-Festsaal gefeiert. Dort klang alles nach einer einzigen Erfolgsgeschichte – was ist das Geheimnis?
Da fallen mir fünf, sechs, sieben Sachen ein. Das Geheimnis ist, dass das allen guttut. Klar ist es Aufwand für alle, die mitmachen. Aber man kriegt so viel raus. Und es ist offen und flexibel für alle, jede:r kann entsprechend der eigenen Kapazitäten, Vorlieben und Talente einsteigen.
Wie engagiert ist Wiesbaden?
Wir sehen Wiesbaden als die europäische Hauptstadt des Unternehmensengagements. Wiesbaden ist hier ganz, ganz weit vorne. Wir haben Kontakt zu Kollegen in ganz Deutschland, die sind schon beeindruckt. Es liegt auch daran, dass das Feld seit dem Start kontinuierlich beackert wurde. Trotzdem gibt es viele, die noch nie davon gehört haben. Wichtig ist ein wirklicher Anlass, etwas zu machen. Die gemeinnützigen Institutionen sollen ja nicht Bespaßungsprojekte für Unternehmen erfinden, sondern einen tatsächlichen Bedarf an konkreter Unterstützung haben. Dann hat es auch den Mehrwert, den es braucht, um die Ressourcen zu investieren.
Wie verändert sich das Engagement?
In den Unternehmen macht es gerade Schule, grundsätzlich eine Regel einzuführen, dass man sich engagieren darf im Rahmen seiner Arbeit, mit bestimmten Kontingenten. Die Unternehmen haben verstanden, dass ihre Leute dies wertschätzen. Es geht auch um das Thema Zusammenhalt. Es klingt etwas abgedroschen in der heutigen Zeit, aber was wir da machen, bedeutet, dass die Leute spüren, dass man zusammen etwas erreichen kann. Das ist heute wichtiger denn je. Die Idee zu „Wiesbaden Engagiert!“ ist 1995 entstanden, damals war das Buch „Risikogesellschaft“ des Soziologen Ulrich Beck sehr aktuell. Da stand drin, die Gesellschaft driftet auseinander, wir müssen Lebenswelten zusammenzubringen. Das ist heute wieder so. Es ist wichtig, nicht übereinander zu reden, sondern miteinander zu reden, zu machen, zu erleben, dass man gemeinsam einfach besser ist als gegeneinander. In Zeiten von drohendem Sozialabbau müssen wir auch die Fahne hochhalten, dass Unternehmensengagement nicht soziale Leistungen ersetzt, sondern sie flankiert, um Dinge zusätzlich möglich zu machen.
Gibt es rund um die Erfolgsstory „Wiesbaden Engagiert“ trotzdem Wünsche und Herausforderungen?
Die Herausforderung ist, dass alles noch gemanagt zu kriegen mit den Ressourcen, die wir haben. Es ist ein Teil der Erfolgsgeschichte, dass sich immer wieder etwas verändert hat, ständig etwas angepasst wurde. Das ist eine Dauer-Herausforderung, der Bedarf ändert sich die ganze Zeit. Wenn du aber schon total ausgelastet bist, dein Standardprogramm umzusetzen, wird es schwierig. Weil gute Betreuung und auch konzeptionelle Gedanken superwichtig sind. Die Unternehmen bringen viel mehr Menschen an den Start. Sie wollen alle schöne und sinnvolle Projekte haben. Diese Projekte zu finden und die gemeinnützige Seite dabei zu begleiten, ist eine Herausforderung.
MENSCH
Andere für Engagement zu begeistern, ist Ihr Beruf, wohl auch Ihre Berufung. Schaffen Sie es, sich darüber hinaus auch selbst zu engagieren?
Mein Job selbst ist auch ein Großteil meines Ehrenamtes. Seit ein paar Jahren bin noch Kassenwartin des ADFC Wiesbaden-Rheingau-Taunus. Das ist der Fahrradclub, der Fahrradfahren in Wiesbaden und die Fahrradinfrastruktur fördert und die Lobby für Radfahrer:innen. Ich bin selbst auch viel mit dem Fahrrad unterwegs, düse mit dem E-Bike durch Wiesbaden und komme immer schneller an als jemand, der mit dem Auto unterwegs ist. Ich profitiere von dem, was diesbezüglich in den letzten Jahren entstanden ist an Radfahrinfrastruktur. Da ist zwar immer noch Luft nach oben, aber man kann auch stolz drauf sein, dass sich hier so viel bewegt hat in den letzten Jahren.
Sie bezeichnen sich selbst als Perfektionistin. Wo hilft Ihnen das, wo behindert es Sie?
Ich bin stolze Perfektionistin. Es hilft mir dabei, die Dinge wirklich gut zu machen. Es behindert mich insofern, dass man auch mal Fünfe gerade sein lassen muss, und das fällt mir schwer. Es kostet auch Zeit und Kraft, perfektionistisch zu sein. Und man muss aufpassen, dass man das nicht von allen anderen um einen herum auch noch erwartet.
Sie haben eine Obsession für Firmenautos.
Ich mache tatsächlich reflexartig Fotos von Firmenautos, weil ich in jedem einen potenziellen Kooperationspartner für „Wiesbaden Engagiert!“ sehe. Wenn ich dreißig Unternehmensautos fotografiert habe, und eines davon ist später dabei, dann ist doch sehr viel gewonnen. Ein bisschen crazy ist es, das gebe ich zu. Manchmal passiert es sogar, dass ich in anderen Städten den Impuls habe, ein Handwerksauto zu fotografieren und dann merke ich, nee, das bringt jetzt nicht so viel.
Eine andere spezielle Leidenschaft von Ihnen ist die Detailtypografie.
Ich habe als Korrektorin in einer Druckerei und einem Verlag – Hermann Schmidt – gearbeitet, in dem es genau darum ging, dass es eben besonders auf die Gestaltung von Büchern ankommt. Ich habe Fachbücher zu diesem Thema, die dort gedruckt wurden, Korrektur gelesen und lektoriert. Das ist ein Thema, das heute nicht mehr mit so viel Liebe bedacht wird, die Gestaltung von Schriftstücken und Drucksachen im Detail. Es macht aber ganz viel, wenn etwas schön gemacht ist.
Haben Sie eine Pop-up-Idee für Wiesbaden?
Eine Box mit Livecam auf einem zentralen Platz, in der die Menschen nur erzählen dürfen, was sie gut finden in und an Wiesbaden. Wir können Wiesbaden auf so vieles stolz sein. Wiesbaden ist erheblich besser als ein Ruf, besser im Sinne von weniger spießig, wir sind auch an ganz vielen Stellen total innovativ und ganz weit vorne mit vielen Themen. Aber es wird lieber gemeckert. Es ist wichtig, dass man auch auf die Sachen schaut, die funktionieren und stolz darauf ist. Klar muss auch kritisiert werden, aber man sollte nicht immer nur den Fokus darauf richten.