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Das große 2×5-Interview: Katharina Schenk, Leiterin Schloss Freudenberg, 34 Jahre, 1 Tochter

Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Arne Landwehr

BERUF

Schloss Freudenberg ist ein „Gesamtkunstwerk“. Wie meint ihr das?

Unsere Grundidee und Einladung ist es, dass die Menschen, die ins Schloss kommen, Autor*in, Regisseur*in, Spieler*n, Zuschauer*in ihres eigenen Lebenstheaters werden – und dabei mit der Frage konfrontiert werden: Wo stehe ich? Wo will ich hin? Was ist mein nächster Schritt? Das ist eine Art Sozialkunstwerk: Menschen werden bei uns durch die Kunst an Dinge erinnert, die eigentlich schon da waren, die aber vergessen werden über den Tag, über Lebensabschnitte.

Wie hast du den Rollenwechsel von der Schauspielerin und Regisseurin zur Geschäftsführerin (an)gepackt?

Ich kann jedem empfehlen, ein Schauspielstudium zu machen. Es bereitet dich auf alles vor im Leben. Wie kommt jeder ins Licht, wie schafft man einen Ensemblegeist? Wie schaffen wir es einen Raum zu bilden, der mehr wird als die Summe aller Beteiligten? Natürlich ist die Geschäftsleitung hier ein Prozess. Ich habe großartige Eltern, die loslassen und gleichzeitig total supporten und sagen: Geil, mach mal, und wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid. Mein Bruder Johannes ist ein fantastischer Gegenspieler zu mir: Fantasie trifft auf Realismus, Möglichkeitssinn auf Wirklichkeitssinn. Wir haben großartige Mitarbeiter*innen. Und mein Mann Max, der mich hierher gebracht hat aus Berlin. Wir sind ein Superteam. Das ist auch einfach Rock´n´Roll – alle machen alles!

In diesem Jahr hat sich das Schloss pandemiebedingt neu erfunden, wurde fast auf den Kopf gestellt – wie?

Auf den Kopf gestellt auf jeden Fall. Als meine Eltern vor dreißig Jahren hierherkamen, mussten sie anfangen in einem komplett baufälligen Haus, ohne Wasser und Strom. Als ich jetzt anfing, wurde ich mit der Zeit konfrontiert, in der wir gerade sind. All das, was wir immer in die Welt gerufen haben – probier´ es aus, mach es selber, fass´ es an, rieche und schmecke dran – war nicht mehr möglich, nicht erlaubt, sondern „gefährlich“. Wir wurden komplett auf Null gesetzt und hatten ein weißes Papier: Was passiert jetzt?

Und – was passiert jetzt?

Wir können nur noch ins Jetzt schauen, alles andere ist Nebel. Durch die Null gehen, ist schmerzlich, wahnsinnig anstrengend, manchmal schön und leicht. Du musst auch durch das Tal der Unfähigkeit gehen. Meine fortwährende Sehnsucht ist: Ich möchte Menschen einladen und Dinge zusammenbringen. In dieser Zeit müssen wir die Kunst beschützen. Nur die Wirtschaft kann eigentlich Geld mit künstlerischen Dingen verdienen. Wenn man künstlerische Tätigkeiten an ein „Muss“ knüpft, an eine Wertschöpfung, dann ist es aus. Wir müssen uns auch an die Kunst wenden, weil sie die Fähigkeit hat, uns zu retten. Das muss Fluxus sein. Das hat mir als neue Geschäftsführerin ermöglicht, dass alles in Richtung „das haben wir aber schon immer so gemacht“ wie weggewischt war. Da ging es nur noch um die Tatkräfte: Ich pack was an, ich mach was. Dann ist plötzlich der Horizont viel größer.

Euer „Nacht-Wald-Kiosk“ war „der“ Ort dieses Corona-Sommers: Konzerte, Kunst, Performance, DJs, Kleider- und Pflanzentausch, spannende Leute, voller Überraschungen.

Wir haben in die Welt gerufen: Leute, wir haben wahnsinnig viel Platz, wir haben 15 Hektar, das sind fast 17 Fußballfelder. Wir können uns hier verteilen. Wir verkaufen charmant Getränke, machen Musik und spielen – kommt! Und das ist das ein Selbstläufer geworden. Dass das so krass angenommen wurde von Wiesbaden, oder auch von Mainz, das war eine eigene Dynamik. Es kamen immer mehr, es wurde immer fantastischer und schöner: Lass uns etwas zusammen machen und schauen, wie es gemeinsam geht. Da sind coole Leute am Start, da passiert immer mehr. Den ganzen Sommer über habe ich nur reagiert, jetzt geht es zur Essenz: Okay, was will da jetzt werden im Schloss?

MENSCH

Du bist auf Schloss Freudenberg aufgewachsen, hast lange in Berlin gelebt und bist nun wieder hier. Wie kam das?

Mit 7 Jahren bin ich ins Schloss gekommen, mit meinen Eltern, die bis dahin mit ihrem Wanderzirkus durch Deutschland und die Schweiz gereist waren. In dieser immerwährenden Baustelle, das war noch viel krasser als jetzt, bin ich aufgewachsen. Mit 19 wollte ich Malerei studieren, das war mir aber schnell zu einsam. 2007 bin ich nach Berlin und habe Schauspiel studiert und am Theater gearbeitet und das Ausprobieren, Scheitern, Wiederaufstehen gelernt – und meinen Mann Max kennengelernt. Als ich ihm Schloss Freudenberg gezeigt habe, hat er gesagt: Das ist mein Ort, ich bleib hier!

Jetzt lebt ihr zusammen mit eurer kleinen Tochter direkt am Schloss. Wie ist das?

Es ist verrückt! Es war natürlich ein Kulturschock. Ich bin auch nicht nach Wiesbaden gezogen, sondern auf den Freudenberg – in den Wald, ohne Späti oder auch nur irgendwas irgendwo in der Nähe. Da habe ich schnell gesagt, wir müssen hier eine Bar aufmachen – den Nacht-Wald-Kiosk. Man kommt schwer runter von diesem Berg. Es ist aber toll, die Eicheln hageln hernieder, für meine Tochter ist das großartig, wir sind viel draußen, haben einen super kurzen Arbeitsweg. Jetzt freue ich mich aber auch darauf, dass es nächsten Sommer hoffentlich anders ist und ich mal wieder runterkomme. Dann will ich ganz viel ins Theater gehen, zu Vernissagen, zu Freunden zum Essen.

Ihr habt den „Freudenberghain“ als Format erfunden. Hattest du in deiner Berliner Zeit Berghain-Erfahrungen?  

Na klar! Das Berghain ist so interessant – diese Musik, in dieser Qualität, mit dieser fantastischen Anlage. Und was da alles möglich ist – „no limits“ – was für Leute da sind, das ist alles wahnsinnig aufregend. Gleichzeitig finde ich die ganze Performance drumherum interessant. Dass Leute sich gefühlt jahrelang darauf vorbereiten, dort hinzugehen oder stundenlang in der Schlange stehen, schauen, was ist der Dresscode, dieser ganze Mythos,

Was fehlt der Welt?

(denkt lange nach) Dass wir lernen, einander zuzuhören, ohne sofort die eigene Erfahrung oder Ideen dem anderen überzustülpen. In diese Achtsamkeit zu kommen: Wir sind hier eine Gruppe von Menschen auf diesem Planeten, ich lasse meine Ängste, Vorurteile und Vorstellungen los. Das Gegenüber wahrzunehmen und nicht immer nur bei mir zu sein. Gleichzeitig aber auch achtsam zu sein, dieses Ich, das jeder von uns hat, gut zu schützen – dass wir das gut bilden, nicht nur per Schulbildung. Ich probiere mich aus, mache Erfahrungen, tue Dinge.

Auf welche Erfahrungen hättest du lieber verzichtet?

Was Gesellschaft mit dir macht, wenn du schwanger bist. Wie das ganze Gesundheitssystem uns Frauen Angst macht, kleinmacht, demütigt, panisch und unmündig macht. Wie sich Menschen ab dem Moment, wo du Mutter bist, einmischen in deine Geschlechtsteile, in deine Arbeitsweise, ob du stillst oder nicht stillst, wo du dein Kind lässt. Dass Frauen panisch gemacht werden – Kaiserschnitt, PDA schnell entbinden … – wo du einfach denkst: Hallo!? Wir sind fantastische Wesen und vollbringen Wunder und bekommen so wenig Respekt dafür!

 www.schlossfreudenberg.de 

 

10 responses to “Das große 2×5-Interview: Katharina Schenk, Leiterin Schloss Freudenberg, 34 Jahre, 1 Tochter

  1. Ich kann mich noch erinnern, den „Wanderzirkus“ kennen gelernt , vor „ewigen“ Zeiten, mit Schenks auch gesprochen zu haben. Ich sehe auch noch den Zustand auf dem Freudenberg vor mir, und wie Schenks gleich auch die Provisorien genutzt und es verstanden haben, Besucher zu ermutigen und ihr/unser Interesse zu wecken.

  2. Ich wünsche Katharina und allen Schlossbewohnern ganz viel Glück und Freude für Ihre wichtige Arbeit! Wer noch nicht dort war: Besucht den Freuden-Berg und genießt Euch und den Ort!

  3. Vielen DANK für das offene, interessante Gespräch! Alles GUTE Euch allen auf dem Freudenberg von Herzen Waltraud R.

    1. Ganz toll, dass der Generationswechsel tatsächlich auch bei euch klappt. Macht Euer eigenes Ding in einer sich verändernden Zeit. Als Begleiter aus den ersten Stunden bin ich begeistert, dass es bei euch immer weiter geht.
      Ich wünsch euch immer viele Kinder und jung gebliebene Erwachsene Begleiter auf dem Weg übers Eis!
      Gruß an die Eltern
      Erich Colsman

  4. Ihr lieben Freudenberger,
    liebe Katharina,
    da kommt
    FREUDE
    auf – typisch für den Freudenberg –
    über so viel Mut, Vertrauen und
    Kraft!
    Meine guten Wünsche begleiten Euch!

  5. Liebe Katharina,
    herzlich gratuliere ich Dir und Max zum gelungenen Generationenwechsel im Schloss Freudenberg.
    Ja, Du hast großartige ,liebe Eltern, die nun üben können, Ihr Lebenswerk Stück für Stück in Eure Hände zu
    übergeben.
    Ich vermisse die wöchentlichen Umarmungen des gesamten Schloss-Teams.
    Altersbedingt muss auch ich nach 16 Jahren das Loslassen üben, innerlich werde ich immer mit Euch
    verbunden bleiben.
    Herzliche Grüße von Rolf

  6. Liebe FreudenbergerInnen,

    das Interview habe ich gerne gelesen – danke dafür!
    Nachdem ich schon in Biebrich im Schlosspark damals erste Berührungspunkte mit dem Erfahrungsfeld hatte, kamen noch später viele andere schöne Erfahrugen dazu, z.B. mit Frauengruppen aus dem Bildungsbereich. Wir waren immer sehr begeistert, „euch da oben“ zu erleben!
    Wie gut, dass es jetzt – trotz allem – so spannend weitergeht!
    Mit guten Wünschen – Regina Graminski

  7. Ja, ich freue mich mit Euch allen mit…es ist ein wunderbares Projekt in dieser Zeit
    Sehr eindrucksvoll war für mich die Vorstellung der Ideen Deines Vaters an einem Elternabend
    in der Waldorfschule in Mainz. Sinneserfahrungen standen im Raum und manche konnten damit nicht viel anfangen, später haben einige sich getraut den Freudenberg „auszuprobieren“ und bis heute ist es spannend das immer wieder zu tun…wie das Leben.
    Von ganzem Herzen DANKE für Euren und Deinen Mut
    Beate Körsgen

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