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Das große 2×5-Interview: Linda Zimmermann, Szene-Gastronomin, 45 Jahre

Interview: Dirk Fellinghauer. Foto Samira Schulz.

BERUF

Als eine der bekanntesten und umtriebigsten Gastronominnen der Stadt kennst du Wiesbaden durch und durch – welches „Wiesbaden-Bild“ hast du?

Ich bin super gerne Wiesbadenerin und fühle mich total wohl in der Stadt. Ich stelle mir allerdings immer wieder die Frage, ob Wiesbaden eine große Kleinstadt ist oder eine kleine Großstadt? In jedem Fall ist Wiesbaden eine sehr schöne Stadt. Schaut man genau hin, wird hier kulturell einiges geboten. Wir haben jede Menge Prestigeobjekte, die man Besuchern auch gerne zeigt, aber viel interessanter ist das Leben abseits des Mainstreams. Was wirklich ein Problem ist: Wir haben keine große Vielfalt an Nachtleben. Das führt auch dazu, dass die jüngere Generation, sobald sie mit der Schule fertig sind, schauen, dass sie in die Großstädte kommen. Mein Appell an die Stadt lautet: Eine Stadt ohne Jugend stirbt nach und nach aus. Deshalb ist es in meinen Augen sehr wichtig, dass die Stadt Räume schafft für die Jugend, wo sie sich entfalten kann. Es gibt allein einige Leerstände, die zu Freiräumen werden können. Traut euch!

Dein eigenes Szene-Lokal „Heaven“ am Sedanplatz hast du kürzlich nach 8 Jahren abgegeben – warum?

Ich hatte mit dem „Heaven“ eine wahnsinnig gute und aufre gende Zeit und möchte das nicht missen. Wir haben ja hinten im „Schwarzen Salon“ auch verschiedenste Veranstaltungen auf die Beine gestellt, sei es die beliebte Pingpong-Night oder die Kopfhörer-Disco. Aber auch ich werde nicht jünger. Als dann das Angebot kam, hat sich das direkt richtig angefühlt. Ich bin total froh, dass ich das „Heaven“ in gute, aber auch jüngere Hände übergebe, die es jetzt mit neuer Power und neuem Elan weiterführen werden. Parallel hat sich mit dem „Chateau Nero“ auf dem Neroberg ein neues kleines Baby aufgetan, das ich zusammen mit guten Freunden, mit Boris und Lara Royko vom „Caspar Garten“, betreibe. In meinem ersten „freien“ Winter werde ich mal etwas Luft holen und alles sacken lassen. In den letzten Jahren sind viele Ideen auf der Strecke geblieben, die ich aus Zeitmangel nicht umgesetzt habe. Es wird auf jeden Fall weitergehen.

Wie wichtig ist Wiesbadener Gastronomie für den Tourismus – und welche Rolle spielt der Tourismus für die Gastronomie?

In den letzten Jahren habe ich sehr viel Zeit rund um den Sedanplatz verbracht. Dorthin haben sich wenige Touristen verlaufen. Die Stadt hat dem Sedanplatz, der genauso zur Stadt gehört wie Staatstheater und Nerobeerg, auch nie Beachtung geschenkt, das ändert sich aber gerade. Seit ich oben am „Chateau Nero“ bin, merke ich plötzlich, wie viele Leute hierher kommen, die sagen, wir machen mal einen Wochenendtrip nach Wiesbaden und wollen die Stadt erkunden. Da habe ich ein ganz anderes Bild bekommen, wie wichtig ein vielfältiges kulinarisches Angebot ist, damit die Touristen kommen und auch wiederkom – men. Gerade für die gebeutelte Gastronomie nach Corona und mit dem akut zunehmenden Kostendruck ist umgekehrt jeder zusätzliche Gast extrem wichtig.

Wie empfindest du die touristische Vermarktung Wiesbadens?

Bisher kommt schon noch vor allem „50+“. Die Verjüngung der Tourismus-Zielgruppen durch ein neues Image ist ein Prozess. Aber ich bin zuversichtlich, wenn die Stadt den neu eingeschlagenen Weg konsequent weiter verfolgt, wird sich das bemerkbar machen und sich verstärkt Jüngere angesprochen fühlen. Die vielen neuen Weinbars sind ein Trend, der zu einem Markenzeichen werden kann.

Ihr wiederum wurdet vom Fernsehen angesprochen.

Ja, „Tobis Städtetrip“… Da wir im „Chateau Nero“-Team alle ka – merascheu sind, war die erste Reaktion: auf keinen Fall. Dann meinten Freunde, dieser Tobi ist total sympathisch und zeigt immer tolle Orte, macht das. Heute muss ich sagen, „Danke, Tobi“! Es kommen wirklich jeden Tag Leute und sagen, wir haben euch im Fernsehen gesehen und wollten diesen Ort unbedingt besuchen

MENSCH

Du bist ein echtes Gastronomenkind – erzähl´ mal …

Stimmt, es wurde mir quasi in die Wiege gelegt. Mein Vater Bernd, auch bekannt als Zimbo, war seit jeher in der Gastronomie schwer aktiv, teilweise mit Unterstützung meiner Mutter. Das ging schon in den 1970-er-Jahren los, mit Diskotheken, aber auch Gaststätten. Am bekanntesten war das „Flanell“ auf der Wilhelmstraße. Zu dieser Zeit gab es tatsächlich ein sehr florierendes Nachtleben. Mein Vater erzählt heute noch: Die Leute sind von nah und fern gekommen, um in Wiesbaden Party zu machen. Dass es mit dem „Flanell“ eine Diskothek gab, die sieben Tage die Woche offen hatte, ist heute unvorstellbar.

Und die kleine Linda ist buchstäblich unterm Tresen aufgewachsen?

Mein Vater hat erzählt, dass ich schon mal im Getränkekeller im „Flanell“ abgelegt wurde, wenn sie keinen Babysitter bekommen haben. Ich habe aber wohl keinen Schaden davongetragen (schmunzelt). Es war super aufregend, wenn wir als Kinder an das Lichtpult im „Flanell“ durften, es wurden auch Kinderdiscos veranstaltet,, da habe ich viele lustige tolle Erinnerungen. Vor allem aber war mein Vater sehr vernetzt, wir waren auch viel bei den anderen Gastronomen unterwegs. Ich habe schnell gemerkt, dieses Gastgeber sein, Gäste willkommen heißen, ihnen einen schönen Moment bereiten, begeistert mich. Und dann bin ich tatsächlich selbst in der Gastronomie gelandet.

Du wurdest aber nicht vom Start weg Gastronomin.

Ich bin ausgebildete Groß- und Außenhandelskauffrau und habe anschließend begonnen, Betriebswirtschaft zu studieren. Davon profitiere ich heute noch. Meine Mutter war nach ihrem Abschied aus der Gastronomie viele Jahre im Einzelhandel aktiv als Strumpfhosenfachverkäuferin. Sie hatte Wolford-Boutiquen in Wiesbaden, Mainz und Frankfurt. Dann ist meine Mama krank geworden, und ich dachte, ich unterbreche mal kurz mein Studium, um sie zu entlasten. Leider ist sie dann aber sehr schnell verstorben und schwuppdiwupp, habe ich die Geschäfte mit meiner Schwester Kathrin und meinem Vater geführt. Nach ein paar Jahren habe ich gemerkt, dass ich mehr möchte. Ich habe mich mit meiner Schwester selbstständig gemacht mit dem Streetwear-Laden „Ailaik“ in der Webergasse. Parallel haben wir die Partyreihe „Ailaik to Party“ an wechseln den Locations gestartet. Da habe ich richtig Blut geleckt und gemerkt, das macht mir total Spaß.

Du warst und bist immer ganz vorne dabei, wenn es darum geht, Angesagtes in Wiesbaden an den Start zu bringen –
woher das Gespür?

Vermutlich kommt es aus einem eigenen Bedürfnis heraus, dass ich Sachen umgesetzt habe, auf die ich selbst Lust habe. Ganz nach dem Motto: Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt. Und dann hatte ich das große Glück, dass es den anderen auch gefallen hat.

Hat es dich nie gereizt, ganz aus Wiesbaden wegzugehen?

Ich war mit 17 ein Jahr in London. Das hat mich sehr inspiriert. Ich war immer auf Achse, habe Ausstellungen, Flohmärkte und Konzerte besucht. Fast jedes Wochenende waren wir in einem anderen Club. Ich war dann aber auch froh, zurück nach Wiesbaden zu kommen, zu meiner Familie und meinen Freunden, und habe gemerkt, hier ist viel Spielraum.

2 responses to “Das große 2×5-Interview: Linda Zimmermann, Szene-Gastronomin, 45 Jahre

  1. Linda weiß, von was sie spricht, hat sie es doch von der Pike auf gelernt, wie auch im Bericht erwähnt wird.
    Zudem ist sie super vernetzt, hat ein gutes Gespühr für Veranstaltungen und Events, die bei den jungen Leuten in der Stadt ankommen. Außerdem hat sie die richtigen Freunde, mit denen sie künftige Projekte angeht.
    Zudem einen Lebensgefährten, der sich ebenfalls sehr gut mit der Gastronomie und Events auskennt und sie unterstützt auf dem gemeinsamen Weg und beide sympathisch und authentisch rüberkommen lässt.

    Das kann nur gut werden in Zukunft !

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