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Der große Test: OB-Kandidaten – Wir haben die Wahl!

Die Oberbürgermeister-Wahl am 24. Februar ist für die Wiesbadener der Auftakt zu einem Wahljahr, das es in sich hat. Weiter geht es – möglicherweise – mit der OB-Stichwahl am 10. März, es folgen Bundestagswahl und Landtagswahl (frisch zusammengelegt auf den 22. September). Im OB-Wahlkampf merkt man, dass die Beteiligten entsprechend mit ihren Kräften und Budgets haushalten. Bisher zumindest, mittlerweile schmücken ja jede Menge Plakate die Stadt, und in der heißen Phase dürften die Kandidaten noch ein paar Gänge zulegen. OB Müllers Wahlkampfverantwortliche waren jedenfalls auch nach mehrmaligem Nachfragen nicht in der Lage, uns für den sensor-Test wenigstens ein Foto ihres Kandidaten zu schicken. Sven Gerich und Peter Silbereisen reagierten recht prompt, Christiane Hinninger und Torsten Hornung immerhin auf Nachhaken. Unsere Testergebnisse in alphabetischer Reihenfolge, versehen mit Parteizuhgehörigkeit und persönlichem Wahlkampfslogan.

Sven Gerich, SPD, „Mittendrin statt über allem“

Erster! Keiner war so schnell wie Sven Gerich mit der offiziellen Anmeldung zu dieser OB-Wahl. Rasant verlief auch die bisherige politische Laufbahn des 38-jährigen. 2003 Eintritt in die SPD (der legendäre frühere OB Exner lockte ihn mit der Aufforderung „nicht einfach nur meckern“), 2006 Stadtverordneter, 2007 Mitglied Parteivorstand, 2011 Fraktionsvorsitzender, 2012/13 OB-Kandidat.  „Wiesbaden kann mehr“ findet er und meint damit auch, dass eine Stadt kein Konzern sein sollte, sondern ein Gemeinwesen, in dem alle – „ob alt oder jung, von hier oder zugezogen, wohlhabend oder weniger begütert“– in Entscheidungen einbezogen werden. In diesem Sinne stand am Anfang seines Daseins als OB-Kandidat eine ausgedehnte „Zuhörtour“ zu unterschiedlichsten Akteuren und Einrichtungen der Stadt.  Wer nun ihm zuhört, erkennt als Kernversprechen Schaffung von Wohnraum („In Wiesbaden fehlen 4000 bezahlbare Wohnungen“), Ausbau der Kinderbetreuung, ansiedlungsfreundliche Standortpolitik vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen und mehr Nachhaltigkeit (Ausbau von ÖPNV und Erneuerbaren Energien).

Der schwierige Spagat, im OB-Wahlkampf als Fraktionschef einer großen Koalition eigene Akzente zu setzen und sich gegen den CDU-Amtsinhaber zu positionieren, ist ihm recht gut gelungen. Dabei bewegt er sich souverän im etablierten daherkommenden Politikbetrieb, so richtig Unkonventionelles oder Überraschendes war nicht zu hören. Dass der sympathisch auftretende Biebricher Bub, der auch gerne feiert, sowohl mit Ehrgeiz als auch mit Emotionen ausgestattet ist, dürfte auch ein Resultat seiner Lebensgeschichte sein, die er offen schildert: „Einige Unordnung in der Familie führte dazu, dass ich vom 6. bis zum 17. Lebensjahr ohne meine Familie aufwuchs, sondern im Kinderheim der inneren Mission in Biebrich.“ Nach der mittleren Reife machte er eine Tischlerlehre. Nach der Adoption durch Gustav Gerich arbeitet er seit 1995 in der traditionsreichen Druckerei Gerich, lernte dort das Handwerk des Offsetdruckers und führt das Unternehmen seit 2000 gemeinsam mit seinem Vater. . Sven Gericht ist schwul, und das ist selbstverständlich so. „Verheiratet bin ich mit Helge Gerich und wohne im Künstlerviertel.“ steht in seinem Wahlkampfprospekt. Sport (Schwimmen, Radfahren, Klettern) Kochen und seinen Garten nennt er als Hobbies. www.gerich-wiesbaden.de

Christiane Hinninger, Bündnis 90/ Die Grünen, „Zuhören. Verstehen. Handeln.“

Die einzige Frau im Kandidatenkarussell trat schon 1997 bei der OB-Wahl an. Sie holte rund 9% der Stimmen und wurde dann Wiesbadener Umwelt- und Verkehrsdezernentin. Nach ihrer Abwahl sammelte sie zwischenzeitlich Erfahrung in der Marketingbranche. Bis 2011 war die prinzipienstarke   und schlagfertige Vollblutpolitikerin, die sich als linke Grüne sieht, Vorstandssprecherin ihrer Partei, seit 2011 ist sie, wie schon 1996/97, Fraktionsvorsitzende und zudem finanzpolitische Sprecherin der Rathaus-Grünen. Als OB-Kandidatin zeigt sie nicht nur Sinn für einprägsame und plausible Programmatik mit „6 Projekten für 6 Jahre“: Diese reichen von „Entschieden für die Energiewende“, „Moderne Mobilität“ und „Bildung von Anfang an für Alle“ über „Mehr bezahlbare Wohnungen schaffen – neue Wohnformen unterstützen“ und „Mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben“ bis zu „Demokratische Stadt und Bürgerbeteiligung“.

Hinninger tritt auch als die Kandidatin mit einigen sehr konkreten thematischen Vorstellungen hinter den Schlagworten auf. So ist sie für eine entschiedene Umsetzung der Energiewende, für ein vernetztes Radwegesystem, für die Stadtbahn, für eine aktive Zusammenarbeit mit den Hochschulen jenseits „aufgesetzter Marketing-Aktionen“, sie will sich einsetzen für die Förderung von Mehrgenerationen-Wohnformen und Wirtschaftsförderung durch Lebensqualität. Auch die grüne Kandidatin kritisiert den amtierenden OB dafür, dass er die Stadt wie ein Unternehmen führe. Die studierte Biologin ist 1961 in Steinau an der Straße geboren und dort aufgewachsen. Seit über zwanzig Jahren lebt sie in Wiesbaden und wohnt mit ihrem Mann, dem Stadtelternbeiratsvorsitzenden Christoph Leng, der ebenfalls bei den Grünen ist und auch ihren Wahlkampf managt, und ihrem zehnjährigen Sohn, in Kloppenheim. www.christiane-hinninger.de

Torsten Hornung, Die Mitte, „ich binmittedrin!“

Der in der Stadtpolitik bislang unbekannte Kandidat tritt für die von ihm mitbegründete neue Partei „Die Mitte“ an, die Humanismus als Basis von Politik versteht und bundesweit aktiv werden möchte. Für seine OB-Kandidatur hat er drei Hauptthemen ausgemacht: 1. „Fairer und sachgerechter Umgang mit allen Beteiligten!“ (Parteispielchen sollten ausgedient haben, anderer Umgangsstil, Politik mit Augenmaß, Erfahrung und Begeisterung), 2. “Umgehendes Erreichen eines mindestens ausgeglichenen Haushalts“ (nur so viel ausgeben wie Einnahmen zur Verfügung stehen), 3. „Attraktivität von Wiesbaden“ (umfassende und kluge Entscheidungen vor allem in den Bereichen  „Kinder“, „Bildung“, „Senioren“, „Verkehr“, „Kultur“ und „Wirtschaft“). Im Detail springen Ideen ins Auge wie Hilfe zur Selbsthilfe bei Schulsanierungen, „Aufnahme von Lebensunterricht  in Schulen (Stichworte: Verschuldung der Bevölkerung – Finanztraining im Kindesalter, Vertragsentscheidungen trainieren)“, Mobilitäts-Alternativen wie taxmobil.de und Echtzeit-Mitfahrzentralen, Förderung von Mehrgenerationenhäusern, Ausweitung und Förderung des Breitensports durch „7-Minuten-Sport“ in allen Lebensbereichen und unabhängig vom Geldbeutel, die Gründung eines Start Up-Campus mit Ausbau zur Existenzgründer-Akademie, schnellstmögliche Installation eines kostenlosen WLAN-Netzes in ganz Wiesbaden. Gerade mit Letzterem dürfte er die Wiesbadener Kreativ- und Digitalszene ansprechen.

Hornung paart unkonventionelle und frische Ideen, die durchaus durchdacht erscheinen, mit einem seriösen, fast pastoral wirkenden Auftreten. Der Politikneuling wurde 1961 in Hannover geboren und lebt seit 1968 – unterbrochen durch ein kurzes Gastspiel in Berlin –  in Wiesbaden. Er ist verheiratet und hat einen Sohn – und er hat den vielleicht originellsten Beruf der Bewerberriege: Numismatiker (Münzkundler). Er betreibt ein Münz- und Briefmarkengeschäft in der Wilhelmstraßen-Passage und ist auch als Sachverständiger für Briefmarken und als Auktionator tätig. www.die-mitte-partei.de

Dr. Helmut Müller, CDU, „Unsere Stadt in guten Händen“

Doktortitel sind ja gar nicht mehr so wirklich imagedienlich,  schon gar nicht bei Politikern aus Unionskreisen. Vielleicht deshalb nennt sich der einzige promovierte Kandidat in diesem Wahlkampf einfach „Müller“. Sicher will der 60-jährige aber auch suggerieren, dass er keineswegs so abgehoben und technokratisch agiert, wie es ihm manchmal vorgeworfen wird. Viel entscheidender für seine Wiederwahlchancen ist ohnehin der Amtsbonus. Müller, der 2002 erst recht spät in die Kommunalpolitik einstieg, ist seit März 2007 im Amt und macht seine Sache im Große und Ganzen gut. Das sehen sogar weite Teile seiner politischen Konkurrenz so. Er bietet wenig Angriffsfläche, keine Aufreger, nichts, was Otto Normalwähler dazu bringen könnte zu sagen – nicht noch einmal. Wer genauer hinschaut, findet natürlich durchaus Felder für Kritik und Vorwürfe. Da ist die Sache mit der EBS, da ist die Vorliebe des Kämmerers für die Gründung städtischer Gesellschaften, mit der er auch seinen eigentlich per Gemeindeordnung stark beschränkten Handlungsspielraum geschickt ausweitet und ein recht undurchsichtiges Unternehmensgeflecht schuf – eben das, was seine Gegner als „Stadt als Konzern“ kritisieren.

Der Volkswirtschaftler ist freundlich in der persönlichen Begegnung, fast schüchtern mit leiser Stimme am Rednerpult, dabei aber ein strategisch versierter Machtmensch. Zu seinen Methoden mag man stehen, wie man will – zumindest vermittelt der mit einer Journalistin verheiratete dreifache Familienvater das Gefühl, dass ihn auch die ehrliche Lust am Gestalten einer Stadt mit viel Potenzial  treibt. Ein besonderes Faible hat der mit großem Fachwissen ausgestattete Rathauschef dabei für prestigeträchtige Großprojekte. Für die anstehende Wahl münden seine  Themen wie bürgerschaftliches Engagement, Bildung, Kultur und Sicherheit im Schlagwort „eine tolle Stadt für alle“. Frei von Berührungsängsten begibt er sich in einige einstige  thematische und stadtgeografische No-Go-Zonen seiner Partei, seien es Schlachthof, Multikulti-Wellritzstraße oder das Thema Radfahren. Ein klares Pfui gibt´s für uns allerdings für Putin auf seiner Wahlkampfhomepage.  www.mueller2013.de

Peter Silbereisen, Silbereisen, „Oberbürgermeister für Wiesbaden(er)“

Hauptberuf  Schauspieler, erfrischend bunte Vita, Typ lustiger Vogel – Peter Silbereisen, 1954 in Wiesbaden geboren, scheint als einziger Kandidat ohne Partei im Rücken (und im Nacken) am entspanntesten an die Sache heranzugehen und bringt wenigstens ansatzweise Vergnügen in die weitgehend humorfreie Zone der Stadtpolitik. Dabei kommt das erneute Antreten des politisch Engagierten und Motivierten keineswegs als Spaßkandidatur rüber. „Zur  Oberbürgermeister-Wahl 2007 haben mich 2.445 Wiesbadenerinnen und Wiesbadener gewählt, das waren 5% der Stimmen! Jetzt trete ich wieder an, diesmal allerdings unabhängig und mit nur einem einzigen Ziel, der Förderung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in dieser Stadt!“. Wiesbadener sollten über ihr Lebensumfeld selbst entscheiden, findet er Kandidat und beklagt: „Viele Beschlüsse in Wiesbaden (und Hessen, Deutschland, Europa…) finden noch immer unter Ausschluss des Souveräns statt: Allein in dieser Stadt scheiterten während der letzten zwei Jahre drei Bürgerbegehren vor allem an der Ignoranz von Parteien, Politik, Presse sowie fehlender logistischer Unterstützung aus dem Rathaus.“

Mit seiner Kandidatur wolle er erreichen, „dass sämtliche anstehenden Bürgerbegehren und -entscheide umgehend in allen geeigneten örtlichen Behörden mit Publikumsverkehr an zentraler Stelle offen und gut beschildert ausliegen und während der Betriebszeiten rasche Unterschriftenleistung sowie ständige Betreuung durch die Initiierenden optimal möglich sind.“ Dem Kandidaten ist dabei bewusst, dass ein OB einen so ermittelten Mehrheitswillen nicht einfach so durchsetzen könne, aber: „Nach dem Willen des Souveräns fragen kann er  immer.“ Ach ja, wir hatten eingangs die bunte Vita erwähnt. Dazu gehören politische Arbeit (mit Obdachlosen), Zivildienst u.a. im Krankentransport, Arbeit als Rettungsschwimmer, Schwimmmeister, Taxifahrer (1972-1992), Studium Politik und Geschichte, Studienreisen Portugal, Spanien, England, Frankreich, Schweiz, Äthiopien und Kamerun. Privat hat Silbereisen nach eigenen Angaben 1999 seine Traumfrau gefunden und geheiratet, ist aber „leider kinderlos geblieben“. www.ob-silbereisen.de

Hans-Jörg Tangermann, Piraten

abgemeldet

Fazit: Fünf Kandidaten stehen auf dem Wahlzettel am 24. Februar. Wählbar sind sie alle. Sie vermitteln allesamt das Gefühl, dass sie persönlich große Lust drauf haben, diese Stadt zu gestalten. Ohne wirklich große kontroverse Themen  ist die Entscheidung am Ende wohl vor allem eine Sympathie- und Stilfrage. Auch wer  „experimentieren“ und doch nicht zu viel „riskieren“ möchte, kann dies am 24. Februar ohne größere Bedenken tun. Es gibt ja, vielleicht, noch eine Stichwahl. Unsere eindeutige  Wahlempfehlung: wählen gehen!

Und vielleicht vorher nochmal die Kandidaten persönlich kennenlernen, zum Beispiel bei den öffentlichen Kandidatenrunden heute um 19.30 Uhr Wiesbadener Kurier-Forum im Kulturforum am Schillerplatz, beim Kommunopoly des DGB Wiesbaden am 4. Februar oder bei der Podiumsdiskussion der IHK Wiesbaden am 19. Februar.

www.wiesbaden.de/wahlen

(Dirk Fellinghauer)