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Die Kürstadt – Sport in Wiesbaden zwischen Meistertitel und Exotik

Von Hendrik Jung. Fotos Heinrich Völkel und Andrea Diefenbach.

Von Aikido bis Zumba, von Nordic Walking bis zu philippinischem Stockkampf reicht das sportliche Angebot in Wiesbaden. Auch in der Spitze hat die Kurstadt einiges zu bieten: Amtierende Welt- und Europameister sowie Olympiateilnehmer leben und trainieren hier. Ohne Unterstützung durch Sponsoren wären deren Leistungen jedoch kaum möglich.

Sechs Mannschaften auf einem Rasen: Auf dem Football-Feld in der Willy-Brandt-Allee herrscht Hochbetrieb. Die sieben- bis elfjährigen Flag Footballer üben Laufwege und Raumaufteilung. Die A-Jugend bereitet sich auf die „Wiesbaden Challenge“ gegen das amerikanische High School-Team vom Hainerberg vor, und die Cheerleader machen Dehn-Übungen. „Von anderen Sportvereinen unterscheidet uns, dass das Gros der 500 Mitglieder aus Aktiven besteht“, berichtet Pressesprecher Thomas Weinsheimer. Auch von anderen Football-Vereinen unterscheiden sich die 1984 – damals als Abteilung des 1. FC Nord – gegründeten Phantoms, deren erstes Herrenteam kürzlich den Klassenverbleib in der Bundesliga feiern durfte: „12 Mannschaften, das ist europäischer Spitzenwert. Es gibt niemanden, der mehr Teams unter einem Dach hat.“ Es wird eng auf dem Gelände der ehemaligen US-Kaserne: „Unser Traum ist ein eigenes Football-Stadion.“ Deshalb arbeite man an einem Konzept für ein Nachwuchsleistungszentrum, für das man aber finanzstarke Investoren benötige. Die Unterstützung des Nachwuchses liegt auch der Wiesbadener Sportförderung (Wispo) am Herzen. Davon profitiert etwa der 12-jährige Tischtennis-Spieler Niels Felder, der bereits für die 3. Herren-Mannschaft des TTC Biebrich aufschlägt. Förderungsgrundlage ist immer ein Antrag des Sportvereins. Oft, weil die Befürchtung besteht, dass man einen Sportler nicht halten kann.

Wispo-Netzwerk soll Top-Athleten in der Stadt halten

„Wir hatten das große Pech den Schwimmer Helge Meeuw zu verlieren, weil er gesagt hat, dass er in Frankfurt andere Möglichkeiten habe“, erinnert sich der Wispo-Vorsitzende Henning Wossidlo. Damit so etwas möglichst nicht mehr passiert, schaltet die Wispo ihr Netzwerk ein, wenn es darum geht Ausbildungsplätze oder Sportmediziner zu vermitteln. Jährlich verfügt der Verein über ein Budget von 50.000 Euro. Ein Tropfen auf den heißen Stein, könnte man meinen. Doch die Sportler sind dankbar. „Die Förderung bedeutet mir total viel. Ich kann damit meinem Ziel, Olympia 2016, näher kommen“, betont Judoka Alexander Wieczerzak. Der U21-Weltmeister nutzt das Geld für Lehrgänge und Wettkämpfe. „In meinem Sport kommt man nicht weiter, wenn man an einem Ort bleibt. Man lebt von der Vielfalt der Trainingspartner“, betont der 21-jährige. Und er will weit kommen: Olympiasieg und BWL-Studium strebt er an. Um das zu schaffen, geht er nun ans Bundesleistungszentrum nach Köln. Eine eigene Unterstützergruppe hat sich um Freiwasser-Schwimmerin Angela Maurer gebildet. Das „Team 2012“ besteht aus Fotograf, Friseur, Garderobe-Service und Agentur. Sie unterstützen die frisch gebackene Vize-Europameisterin bei der Suche nach Sponsoren, der Pflege der Web-Site und dem Outfit. Das spart Geld und Zeit. Schließlich schwimmt die 37-jährige, die sich anlässlich der Olympiade auch für den „Playboy“ auszog, vor Wettkämpfen 100 Kilometer pro Woche, absolviert die Ausbildung zur Polizeikommissarin und will ihrem siebenjährigen Sohn Maxim die nötige Aufmerksamkeit widmen. „Es ist wichtig, dass man sich das richtige Umfeld schafft, um Bestleistungen aus sich heraus zu holen“, ist sie dankbar für die Unterstützung, die über das erfolgreiche Jahr 2012 hinaus geführt werden soll.

Bestleistungen erst nach dem 30. Geburtstag

Zwar habe sie dem Sport viel geopfert, aber auch Dinge erlebt, die sie sonst nicht erlebt hätte, wie das Schwimmen mit Riesenschildkröten bei der WM auf Hawaii. Die Pazifik-Inseln sind auch das Ziel von Triathletin Eva Böhrer. Dabei mag sie es eigentlich überhaupt nicht im Freiwasser zu schwimmen. „Es ist immer noch meine schlechteste Disziplin, aber langsam gewöhne ich mich daran“, berichtet die 27-jährige, die ihr Schwimmtraining bis jetzt noch absolviert, indem sie eine Eintrittskarte fürs Schwimmbad kauft. Vor zwei Jahren war die Ex-Mountain-Bikerin erstmals beim Wiesbadener Triathlon. Als Zuschauerin, weil ihr Freund dort gestartet ist. Im Jahr darauf hat sie gleich den EM-Titel in ihrer Altersklasse gewonnen. 2012 folgte nun der Sieg bei der Deutschen Meisterschaft über die Mitteldistanz in Immenstadt, bei dem sie schneller war als alle Profis. Spätestens 2014 will sie selbst mit einer Profilizenz starten. Denn im Ausdauersport erzielt man die besten Leistungen meist erst nach dem 30. Geburtstag. „Unter Profibedingungen zu trainieren und gleichzeitig noch zu arbeiten ist schwierig“, befürchtet die selbstständige Osteopathin. Zumal bei Wettbewerben über die Langdistanz Startgelder von bis zu 500 Euro fällig sind. Auf die Langstrecke will sie im kommenden Jahr auf jeden Fall wechseln. Für den Sprung ins Profilager hingegen benötigt sie erst noch Sponsoren.

Kickbox-Europameister mit eigener Sporthalle

Einen anderen Weg hat Kickboxer Thilo Schneider eingeschlagen, der seine eigene Sporthalle eröffnet hat. „Als ich Deutscher Meister geworden bin und in die Profiklasse aufgestiegen bin, habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, mehr zu trainieren“, berichtet der 35-jährige, der schon während seiner Ausbildung zum Schreiner sechs Mal pro Woche trainiert hat. Die Hälfte der Trainings hat er schon damals geleitet. Mit finanzieller Unterstützung von Freunden und Familie hat der Vater einer achtjährigen Tochter dann Ende 2005 unter dem Namen „Nubia Sports“ die Sporthalle in Mainz-Kastel eröffnet. Etwa 200 Mitglieder trainieren in dem Familienbetrieb auch Boxen, Mixed-Martial-Arts oder Zumba. Niemand ist dazu verpflichtet Kämpfe zu bestreiten. Diese Entscheidung bleibt jedem selbst überlassen. „Ich versuche den Menschen etwas mitzugeben. So lange ich merke, dass die Leute sich entwickeln, bin ich glücklich“, sagt der amtierende Europameister im K1, einer Mischform aus verschiedenen Techniken. Spätestens in zwei bis drei Jahren will er sich nur noch um seine Schüler kümmern und Kämpfe ausrichten. „Endziel ist eine große Gala in Wiesbaden. Ich würde gerne in meiner Heimatstadt abtreten“, blickt er voraus. Danach ist es dann an seinen Schülern, Meistertitel zu gewinnen.

Cross-Ski in Togo? Aber logo!

Nachhaltigen Aufbau wollen auch Ennio Herrgen und Steve Grundmann betreiben. Der Wiesbadener und der Münchener sind als Team Togo bekannt geworden, weil sie für den westafrikanischen Staat bei den kommenden olympischen Winterspielen im Cross-Ski an den Start gehen wollen. Was sie dafür brauchen ist klar: Sponsoren. „Wir wollen in diesem Jahr den Grundstein legen, so dass wir nicht mehr unter Qualifikationsdruck stehen, damit wir uns 2013 wie Profisportler auf die Olympia vorbereiten können“, berichtet Ennio Herrgen. Was sie dafür schon geleistet haben, ist die Gründung eines Skiverbandes in Togo. Demnächst wollen sie neben der deutschen auch die togolesische Staatsbürgerschaft annehmen und vor Ort den Wintersport fördern. Denn mit einem speziellen Kunststoff, der annähernd die Gleitfähigkeit von Kunsteis aufweist, braucht es wenig Aufwand, um auch in Afrika Eissport zu ermöglichen. „Es gibt viele Togolesen, die in Frankreich studieren oder arbeiten. Es wird eine Mannschaft geben, die auch aus anderen togolesischen Athleten besteht“, betont Hyacinthe Edorh, Vizepräsident des togolesischen Skiverbandes.

Recht exotisch ist auch der Sport, den Sebastian Damp betreibt. Der 21-jährige von den „Billy Bob’s Texas Rebels“ ist Line-Dancer. „Wenn ich Gegner habe, dann meistens nur einen. Auf vielen Meisterschaften tanze ich alleine“, berichtet der angehende Büro-Kaufmann. Dass er den deutschen Meistertitel in seiner Schwierigkeitsstufe inne hat, ist dennoch nicht selbstverständlich. Denn das Reglement besagt, dass man eine bestimmte Punktzahl erreichen muss, so dass man auch als einziger Teilnehmer auf dem zweiten Platz landen kann. Getanzt werden verschiedene Stile, vom Walzer bis zum West Coast Swing. Ein halbes Jahr vor Meisterschaften werden die Choreografien ins Internet gestellt. Dann kann jeder seine Variationen für Fußtechnik oder Armbewegungen austüfteln. „Ich treffe meine Entscheidungen am liebsten selbst“, erläutert Sebastian, warum auf die Unterstützung eines Einzeltrainers verzichtet, obwohl ihm sein Verein diesen bezahlen würde. Lieber feilt er am Wochenende mit befreundeten Tänzern an den Choreografien, die neben Kraft und Kondition vor allem auch Koordination erfordern.

Die richtige Technik war entscheidend für einen Weltrekord aus Wiesbaden. Mit 69,79 Meter erreichte das Team „Die Rückkehr der Teichfighter“ in diesem Sommer in Mainz vor 150.000 Zuschauern eine Weite, die noch nie mit einem selbstgebauten Fluggerät bei einem Red-Bull-Flugtag erreicht worden ist. Zwei Monate haben Schreinermeister Arne Krämer und Industrie-Designer Nico Hopp an der perfekten Konstruktion getüftelt. „Da ist kein einziger Nagel drin, wir haben alles geklebt, um Gewicht zu sparen“, berichtet der 34-jährige Nico. „Das ist völlig absurd“, ergänzt der zwei Jahre jüngere Arne, der den Nurflügler steuern durfte. Die anderen vier Team-Mitglieder mussten sich damit begnügen, den fahrbaren Untersatz anzuschieben, mit dem der nötige Schwung erzeugt worden ist. „Wir haben bei Facebook gepostet, dass wir alte Fahrradfelgen suchen. Gerade als wir Stahlfelgen einbauen wollten, haben wir dann ein Paket mit Carbon-Felgen erhalten“, erläutert Nico, warum am Ende das 120-Kilo-Limit für Flieger und Unterbau eingehalten werden konnte. Auch Folie, Holz sowie die Fräsarbeiten haben die beiden wegen ihrer überzeugenden Konstruktionspläne gesponsert bekommen. Ganz zu schweigen von der Holzwerkstatt, in der sie zwei Monate lang Tag und Nacht arbeiten konnten. „Das war das erste und das letzte Mal. Es ging nur um den Rekord“, sind sich die beiden Funsportler einig. Jetzt haben sie wieder Zeit, sich Canyoning, Wakeboarding witterungsbedingt aber vor allem dem Snowboarding zu widmen.

Auch die Slackliner sind Outdoor-Sportler und haben bald ihr Saisonende erreicht. Der 17-jährige Maurice Wiese ohnehin, denn bei seinem ersten Wettkampf in den USA hat er sich das Kreuzband überdehnt. Zwar hat er trotzdem noch den vierten Platz belegt, muss aber nun einen Monat pausieren. Bezahlt hat die Reise sein Sponsor, denn „Momo“ ist so talentiert, dass er ein halbes Jahr, nachdem er seine erste Slackline gekauft hat, bereits einen Finanzier gefunden hat. Das war Anfang 2009. Ein Jahr später gewinnt der Hofheimer den ersten WM-Titel in seiner Sportart überhaupt. Der vierte der Weltrangliste trainiert ausschließlich im heimischen Garten, in den drei Metallstangen einbetoniert werden mussten. Denn die Slackline kann beim Ausüben der Tricks eine Zugkraft von sechs Tonnen entwickeln. „Der Sport ist so neu, dass man sich immer wieder was Neues ausdenken kann“, erläutert Momo, was ihn so daran fasziniert. Seit er damit angefangen hat, fährt er nicht mal mehr sein Skateboard, auf dem er die Grundlagen für die heutigen Tricks gelegt hat. Dabei musste Mutter Andrea ihn mit elf Jahren immer zur Skate-Halle fahren. Nach Wiesbaden übrigens, womit vielleicht der letzte noch fehlende Beleg dafür erbracht ist, dass die Kurstadt durchaus ein guter Nährboden für erfolgreiche Sportler sein kann.