Direkt zum Inhalt wechseln
|

Editorial Dezember/Januar-sensor: Mein Wort des Jahres ist „sisu“ …

So „sisu“ wie möglich lässt sich diese Zeit besser bewältigen. Foto: Ofer Moghadam

Mein Wort des Jahres ist „sisu“,

liebe sensor-Leser*innen. Das ist finnisch und eigentlich unübersetzbar. Es steht, so verrät Wikipedia, für „Durchhalten in einer augenscheinlich aussichtslosen Situation“. Es sei eine angeblich nur den Finnen eigene mentale Eigenschaft und als kulturelles Konzept für Finnland höchst identitätsstiftend. Aufgeschnappt habe ich den Begriff irgendwo irgendwann in diesem Jahr. In dem Jahr, in dem wir so oft zum „Durchhalten“ aufgefordert wurden. In dem Jahr, in dem so vieles so aussichtslos erscheint.

Wer sich „sisu“ zu eigen macht – ob bewusst oder unbewusst – kommt sicher ein wenig leichter durch diese schweren Zeiten. „sisu“ hin, „sisu“ her – dieses nun zu Ende gehende Jahr hat es nicht verdient, dass es als komplettes, man hört den Begriff allenthalben, „Scheißjahr“ in die Geschichte eingeht. 2020 hat uns nicht nur viel genommen, sondern auch manches gebracht.

Als eine Ministerin im Frühjahr von sich gab, dass die Folgen der Pandemie ja auch ganz wunderbare Ideen hervorbringen und Kreativität freisetzen würde, fand ich das erst mal ziemlich zynisch. Wer plötzlich nicht mehr weiß, wovon er seine Miete bezahlen, seinen Kühlschrank füllen, seine Familie ernähren soll, oder wem, von finanziellen Aspekten mal ganz abgesehen, sein Lebensinhalt genommen wird, dem braucht man nicht mit „toll, wie kreativ du aber bist“ zu kommen. Wenn ich dieses Jahr nun aber mal Revue passieren lasse, muss ich eingestehen: So daneben war das Statement der Ministerin dann eigentlich doch nicht.

Es wurden tatsächlich äußerst großartige – naheliegende, aber auch überraschende – Ideen entwickelt und realisiert, um durchzuhalten in dieser – für die Gesellschaft insgesamt und für unzählige Einzelne – augenscheinlich aussichtslosen Situation. So viele Hüte, wie ich dafür gerne ziehen würde, gibt es wahrscheinlich gar nicht.

Ich bin ehrlich zutiefst beeindruckt, wie viele Menschen – auch hier in Wiesbaden – sich einfach nicht unterkriegen lassen von all dem Mist. Wie sie sich Gedanken machen und das Beste draus machen. Wie sie auch dann nicht hinschmeißen, wenn die Bedingungen, nach denen man gerade mühevoll alles ausgerichtet und daran angepasst hatte, plötzlich wieder über den Haufen geworfen werden. Wie sie einfach „sisu“ drauf sind. Hut ab, Hut ab und nochmal Hut ab.

Nun steckt in der „sisu“-Definition auch das Wort „augenscheinlich“. „sisu“ funktioniert also wohl nur, wenn wir irgendwann merken, die Situation ist nicht wirklich, also nicht dauerhaft aussichtslos. Dass dieser Moment bald da ist, dass wir zumindest aus dem Gröbsten mal wieder rauskommen, das wünsche ich allen und ganz besonders all jenen, die am ärgsten unter all dem leiden, die also existenziell betroffen sind. Solidarität ist ein Gebot dieser Zeit. Ein Wiesbadener hat dazu ein Buch herausgegeben. Sie lesen darüber in dieser Ausgabe. Ich wünsche mir, dass wir alle, dass Sie alle, auch in diesem Buch lesen.

Und ich wünsche mir und uns allen, dass wir „nicht alles diesem bösen Winzling in die Schuhe schieben. Dass wir ihn nicht höher heben als er ist, sondern unser Bestes tun, kleine Großartigkeiten zu erkennen und zu erhalten.“ Hab´ ich bei Michi Herl im Journal Frankfurt abgeschrieben. Kann ich aber voll und ganz unterschreiben.

Haben Sie diesem Winzling zum Trotz eine so wundervoll wie nur mögliche Advents- und Weihnachtszeit, und rutschen Sie auch ohne große Böllerei geschmeidig in das neue, hoffentlich aussichtsvolle Jahr.

Dirk Fellinghauer, sensor-Mentaltrainer

PS: „Das“ Wort des Jahres hat die in Wiesbaden ansässige Gesellschaft für deutsche Sprache am Drucktag der neuen sensor-Ausgabe bekanntgegeben. Es lautet: Corona-Pandemie.  Welches ist Ihr persönliches Wort des Jahres? Schreiben Sie mir gerne an dirk.fellinghauer@vrm.de