Lassen Sie sich nicht kirre machen,
liebe sensor-Leserinnen und –Leser, auch wenn es immer schwerer fällt. Die Welt dreht am Rad. Was fällt uns denn ein, wenn wir auf dieses Jahr 2015 zurückblicken? Irgendwie plötzlich überall nur noch Bedrohung, oder? Manches durchaus real, anderes eher surreal. Es fällt immer schwerer, den Überblick zu behalten, Wahres von Halb- und Unwahrem, Quintessenz von Quatsch zu unterscheiden. Oder machen wir uns einfach nicht die Mühe, genauer hinzuschauen und nachzudenken? Oder ist genau dies gewollt, dass wir gar nicht mehr dazu kommen, genauer hinzuschauen und nachzudenken? Oh Gott – welcher auch immer – jetzt höre ich mich auch schon an wie ein Verschwörungstheoretiker.
Dabei wollte ich nur sagen: Atmen Sie tief durch. Bewahren Sie die Ruhe. Die Welt dreht am Rad, sie wird sich aber auch weiter drehen, und zwar wahrscheinlich im Großen und Ganzen ungefähr genau so wie bisher. Vielleicht wird es anstrengender, aber deswegen doch nicht gleich „unmöglicher“.
Atmen Sie durch, und denken Sie an meinen persönlichen Satz des Jahres: „Wir schaffen das!“ Was das „Urheberthema“ dieses Satzes angeht, der sich auch auf viele andere Themen wunderbar anwenden lässt: Die Frage ist nicht, ob wir das schaffen können oder wollen. Die Sache ist, dass wir das schaffen müssen. Gemeinsam! Zusammen! Miteinander! Das würde ich nun anders als vieles andere wirklich mal „alternativlos“ nennen. Dazu gehören, neben einem besonnenen und vernünftigen Angehen der ganz praktischen und grundsätzlichen Herausforderungen, auch Fantasie und Unvoreingenommenheit. Und natürlich auch weiterhin eine Willkommenskultur, die wir uns von niemandem aus- und kaputtreden lassen sollten.
Umso widerlicher ist es, mit anzusehen, wie sich die Schamgrenze bei manchen im Sinkflug befindet. Da erscheinen Leserbriefe und Kommentare, aus denen nicht Sorgen sprechen, für die man Verständnis haben könnte, sondern einfach nur Hass und Verachtung. Da teilt eine Wiesbadener Unternehmerin, die durch eine Buchveröffentlichung einen gewissen Bekanntheitsgrad in der Stadt erlangt hat, ungeniert ein Video der „Republikaner“ – und als ich sie darauf hinweise, erklärt sie lapidar, es gehe ihr doch nur um die „Fakten“, da sei ihr der Absender egal. Da löst ein grausamer Terroranschlag in Paris eine neue Lawine von keifenden Warnungen vor „den Flüchtlingen“ aus, und das überrascht dann schon längst nicht mehr.
Aus der Tatsache, dass die meisten Islamisten Muslime sind, zu schlussfolgern, dass jeder Moslem ein potenzieller Islamist ist, ist ein ebenso hanebüchener Umkehrschluss wie die gern bemühte Logik, dass alle Kiffer potenzielle Junkies seien, nur weil fast alle Junkies einmal Kiffer waren. Und aus der Befürchtung, dass jeder Flüchtling ein möglicher Attentäter ist, wird auch dann kein Schuh, wenn einzelne Attentäter Flüchtlinge waren.
Nun haben Anti-Flüchtlings-Fanatiker leider für Argumente und Fakten nicht viel übrig. Viel lieber lauschen und verbreiten sie Verschwörungstheorien. Nun aber genug von der – buchstäblich – verrückten weiten Welt, blicken wir nochmal kurz auf die verrückte Wiesbadener Welt im Jahr 2015.
Hier macht eine große Koalition im Rathaus, was sie will. Und dabei vieles, was viele Wiesbadener gerade nicht wollen. Mein Eindruck ist: Die Herren (Damen spielen bei den Spielchen keine vernehmbare Rolle) sollten sich nicht zu sicher sein, dass das einfach so weiter geht nach dem 6. März 2016, dem Tag der Kommunalwahl. Wohin ich höre, höre ich ein „es reicht“. Sogar der SPD-Fraktionsvorsitzende Christoph Manjura selbst sagt heute (26. November) im Wiesbadener Kurier über das Rathaus-Bündnis mit der CDU: „Wir sind einander nicht versprochen“ – und, so heißt es im Bericht, „macht deutlich, dass die Neuauflage des Bündnisses nach der Kommunalwahl nicht seine Wunschkonstellation ist.“
Widerstand formiert und vernetzt sich in der Stadtgesellschaft, an Alternativen auf dem Wahlzettel wird es nicht mangeln. Wem diese nicht reichen: Noch bis zum 28. Dezember, 18 Uhr, dürfen Listen und Parteien beim Wahlamt angemeldet werden, auch ganz neue. Es wird eine spannende Kommunalwahl werden. Genau diese machen wir zum Schwerpunktthema des nächsten sensor. Nach dieser Doppelausgabe melden wir uns im Februar zurück.
Bis dahin: Atmen Sie durch, und denken Sie nochmal ruhig nach, was das Jahr 2015 noch so alles gebracht hat außer Bedrohung. Ich bin sicher, Ihnen fällt eine Menge ein.
Dirk Fellinghauer – sensor-Atemtrainer