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Editorial Mai-sensor: Ich fordere eine Belebungsgebotszone für Wiesbaden

Ich fordere eine Belebungsgebotszone für Wiesbaden,

liebe sensor-Leserinnen und –Leser. Dieser Tage war ich im Rathaus auf einer Sicherheits-Pressekonferenz. Ordnungsdezernent Dr. Oliver Franz und Polizeipräsident Stefan Müller präsentierten ihr Konzept „Gemeinsam Sicheres Wiesbaden“ – ein entschlossen klingender Zehn-Maßnahmen-Plan mit dem erklärten Ziel, „durch die Reduzierung des Gefahrenpotenzials im öffentlichen Raum die Sicherheit der Menschen in der Stadt zu erhöhen“. Und: „Insgesamt soll sich für die Bürgerinnen und Bürger die Aufenthaltsqualität in Wiesbaden nachhaltig und spürbar erhöhen“.

Als die recht ausführliche Pressekonferenz beendet war – jede Menge möglicher Gefahren und zugehörige Gegenmaßnahmen waren an die Wand projiziert worden und Worte wie Bedrohungslage, Videoüberwachung, Beobachtungsbereiche, Amokfahrten, Sperrkonzept, Betonklötze, Gefahrenabwehrverordnung nur so auf mich eingeprasselt – traute ich mich kaum wieder aus dem Rathaus heraus. In einer solch gefährlichen Stadt leben wir?

Eben nicht!

„Wiesbaden ist eine sichere Stadt, auch im Bundesvergleich“, lautet der erste Satz der „Gemeinsam Sicheres Wiesbaden“-Pressemitteilung, gefolgt von: „Das belegen (!) die Fallzahlen und die Aufklärungsquote der Wiesbadener Polizei aus der Polizeilichen Kriminalstatistik“. Doch dann: „Die Diskussion (!) über Straftaten im öffentlichen Raum, die Verfügbarkeit von Messern und auffällige Personengruppen in der Innenstadt bleiben in der öffentlichen Wahrnehmung nicht ohne Wirkung.“ Es klang an, dass auch Diskussionen in den Sozialen Medien gemeint sind. Eine Idee könnte nun sein, dass Stadt und Polizei in die Diskussionen (!) eingreifen mit Argumenten und Belegen (!); dass sie den Menschen in aller Ruhe erklären, was gefühlt los ist und was tatsächlich los ist. Stattdessen lassen umgekehrt sie sich von Diskussionen und gefühlten Wahrheiten zu durchaus drastischen Maßnahmen treiben.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich will mögliche Gefährdungslagen gar nicht abstreiten oder ins Lächerliche ziehen, ebenso wenig die Existenz, offenbar auch die Zunahme von Kriminalität auf unseren Straßen. Ich halte zum Beispiel auch die gerade vollzogene und mit zurecht großem Tamtam gefeierte Verlegung der Stadtpolizei in die Mauritius-Galerie, mitten hinein in das (auch kriminelle) Geschehen der Innenstadt also, für eine ziemlich gute Idee.

Gefahrenlagen und Aktionismuslagen

Ich gerate nur ein wenig ins Grübeln ob der Verhältnismäßigkeit der Mittel und sehe neben Gefahrenlagen auch Aktionismuslagen. Der neueste Hit im Gefahrenabwehr-Repertoire also: Waffenverbotszone. In der Fußgängerzone und am Warmen Damm. Kann man kaum etwas dagegen haben, oder? Oder vielleicht doch? Zufällig und höchst aufmerksam lauschte ich Dr. Martin Rettenberger, Direktor der in Wiesbaden ansässigen Kriminologischen Zentralstelle, als dieser „hr iNFO“ ein Interview zu den aktuellen Plänen gab. Aus seinen differenzierten Äußerungen war durchaus Skepsis herauszuhören, er warnte vor „reflexartigen Schnellschüssen“ beim Thema Sicherheit.

Abgesehen von der Frage der – juristischen wie personellen – Durchsetzbarkeit: Ich bin mir auch nicht so sicher, ob der permanente Blick auf entsprechende Verbotsschilder während meiner zahlreichen täglichen und nächtlichen Wege durch die Innenstadt, die außerdem künftig an fest installierten Terrorabwehr-Betonklötzen vorbeiführen sollen, wirklich mein Sicherheitsgefühl erhöht – oder nicht vielleicht sogar das Gegenteil bewirkt. Weil mir ja unausweichlich vor Augen geführt wird, was hier passieren könnte. Wie wäre es denn stattdessen mit einer Belebungsgebotszone? Mit Schildern, die uns unübersehbar zeigen, was passieren sollte in einer Innenstadt, in unserer Innenstadt: Modern und ansprechend gestaltet, zum Beispiel von hiesigen Designstudenten. Nicht bedrohlich und angsteinflößend, sondern einladend und „anziehend“, als Ansporn, sich anzustrengen, Leben – und zwar im besten Fall ganz „automatisch“ kriminalitätshemmendes Leben – in die „Bude Wiesbaden“ zu bringen – im öffentlichen Raum.

Immerhin, als vorvorletzten Punkt seines Konzepts kündigte Dezernent Franz ein „Dialogforum zur Steigerung der Aufenthaltsqualität in der Innenstadt“ an. Mal schauen: Vielleicht schafft es ja meine kühne Belebungsgebots-Idee dort mal auf die Tagesordnung. Einen Versuch wäre es wert. Mit Sicherheit!

Dirk Fellinghauer, sensor-Sicherheitsbeauftragter

(Foto: Mustafa Albash)