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Editorial Mai-sensor: Nun hat auch das Westend Wiesbaden sein 9/11

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Nun hat auch das Westend Wiesbaden sein 9/11.

Entschuldigen Sie bitte, liebe sensor-Leser, eigentlich müsste ich diesen absurden Vergleich sofort wieder zurücknehmen. Er hinkt an allen Ecken und Enden, und Katastrophen zu vergleichen, gar zu „ranken“, ist größter und oft grober Unfug. Aber der Zweck heiligt die drastischen Mittel im Kampf um Aufmerksamkeit – um Aufmerksamkeit für Menschen in Not. Und die Menschen, die vom tragischen Brandunglück in der Goebenstraße 9 betroffen sind, sind in Not. In großer Not. Und sie drohen, wie es so ist in Zeiten, wo die Halbwertzeit der Aufmerksamkeit für Katastrophen immer kürzer wird, wieder aus dem Blick zu geraten – gerade mal 14 Tage nach dem Unglück, die schon wieder wie eine Ewigkeit erscheinen.

Der verheerende Brand in der Nacht vom 10. auf den 11. April hat einer hochbetagten Dame, in deren Wohnung das Feuer ausbrach aus einer Ursache, die nie geklärt werden wird, das Leben gekostet. Und er hat etwa neun Haushalten, überwiegend jungen Familien mit Schulkindern, ihr Zuhause genommen. Über Nacht. Für Wochen, Monate, zumindest manchen vielleicht für immer. Das klingt schon schlimm genug. Und vermittelt doch noch längst nicht das wahre Ausmaß des Unglücks für die Betroffenen. Sie haben kein Zuhause mehr. Sie haben keine Möbel mehr, keine Klamotten, keine Dinge des täglichen Bedarfs, keine Gegenstände der persönlichen Erinnerungen. Sie sind psychisch belastet, sind teilweise nicht versichert, und wenn, sind ist noch längst nicht geklärt, welche Versicherung wie für die verheerenden Schäden aufkommt. Und sie müssen in all dem Unglück ihren Alltag organisieren, improvisieren, irgendwie. Das Schöne im Schlimmen ist, dass die Bewohner zusammenrücken, und dass auch Anwohner mitfühlen, mitdenken, mithelfen.

Das Unglück hat das Westend ins Mark getroffen. Aus meiner Wohnung heraus schaue ich täglich auf das Unglückshaus, dem man das Ausmaß der Zerstörung von außen nicht ansieht, werde daran erinnert und denke ständig an die Menschen, die es aus dem Nichts getroffen hat. Ich höre die Gespräche auf den Straßen und bekomme fast täglich neue Nachrichten. Diese Nähe ist wohl auch, das muss ich ehrlicherweise sagen, der Grund, warum ich „dranbleibe“. Wäre es irgendwo an einem anderen Ende der Stadt passiert, würde meine Betroffenheit vielleicht auch nicht so lange anhalten. Traurig, aber so „funktionieren“ wir nicht nur reizüberfluteten, sondern auch leidüberfluteten Menschen nun mal. Nun bin ich aber nun mal ganz nah dran und nutze diesen Zufall, um auch Sie – alle sensor-Leser, alle Wiesbadener  – ganz nah heranzuholen. Ins Westend. In die Goebenstraße. Zu den Menschen, die jetzt unsere Hilfe brauchen, die Ihre Hilfe brauchen.

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Die Betroffenen brauchen auch Geld. Viel Geld, Deshalb meine große Bitte: Spenden Sie. Es muss ja nicht viel sein, kann oft nicht viel sein. Aber wenn viele wenig spenden, wird es auch viel. Das wissen wir spätestens seit der genialen „Menschen für Menschen“-Wette von Karlheinz Böhm. Vielleicht haben Sie auch Ideen für Benefizaktionen. So wie die Nachbarn, die kürzlich auf Initiative von Ferndanda Di Blasio (links) einen „Goebenstraße hilft Goebenstraße“-Flohmarkt organisiert haben, bei dem trotz ungünstiger Wetterbedingungen über 2.200 Euro zusammen kamen (Foto Erdal Aslan/Mensch Westend, ausführlicher Fotorückblick hier). Die Betroffenen brauchen auch Wohnraum. Es kann doch nicht wahr sein, dass viele der Familien immer noch von Hotel zu Hotel ziehen. Wohnraum auf Zeit muss doch in dieser Stadt, von dieser Stadt – mit ihren städtischen Wohnungsgesellschaften -, unbürokratisch organisiert werden können. Wo ist der berühmte „kurze Dienstweg“, wenn er wirklich gebraucht wird?

Dirk Fellinghauer, #ichbingoebenstraße9

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Spendenkonto: GLS Gemeinschaftsbank Bochum, IBAN: DE 60 43 0 60 9 67 6000 12 67 01, Kontoinhaber T. Grab, Stichwort: Spende Brand Goebenstraße (Treuhänderisches Konto – keine Spendenquittungen möglich). Ideen für, idealerweise möblierten, Wohnraum auf Zeit? Gerne per Mail an hallo@sensor-wiesbaden.de, Betreff „Goebenstraße“. Wir leiten die Angebote weiter. Es gibt auch eine Facebook-Gruppe, die Hilfe organisiert und aktuell informiert. Am 11. Juni ist ein Benefizfestival geplant, genauere Infos dazu gibt es demnächst.