Ein Hoch auf die Ideensprudler in unserer Stadt,
liebe sensor-Leser:innen. Ist es Ihnen auch schon aufgefallen? In unserer Stadt poppt immer mehr auf. Ideen ohne Ende. Doch, mit Ende – das ist ja das Wesen von „Pop-up“.
Das Geniale am Pop-up ist, dass hier Momente genutzt, Chancen ergriffen, Potenziale gehoben, Dinge ausprobiert werden. Und sei es nur für ein Jahr, einen Monat oder gar nur einen Tag oder Abend. Genial am Pop-up ist, dass nicht gehadert, nicht endlos geprüft und überlegt und abgewogen und verworfen wird, sondern das gemacht wird.
In Wiesbaden mangelt es nicht an Ideen, die sprudeln. Ideen sprudeln zu lassen, ist das eine. Ideen auch wirklich sprießen zu lassen, das andere. Und hier hapert es schon eher in unserer Stadt.
Es geht erfreulich viel und immer mehr in Wiesbaden. So viel, dass wir in unserer Titel“story“ dieser Ausgabe zur Pop-up-Stadt Wiesbaden fast ausschließlich Bilder sprechen lassen. Und doch sollte, müsste, könnte noch viel mehr gehen. Klar: Es gibt Prozesse und Prozedere, Regeln und Vorschriften und Interessen(konflikte). Es gibt aber auch Wege, wo ein Wille ist.
Das durfte ich kürzlich in Hamburg erfahren. Kaum aus dem Hauptbahnhof herausgetreten, stolperte ich direkt in „Jupiter“ hinein – hineingezogen durch die Verheißung eines „Kreativplaneten“ und „Das einzige Kaufhaus, das dich reicher macht“.
Drinnen kam ich aus dem Staunen – 8000 Quadratmeter voller völlig unterschiedlicher Ideen auf sechs Etagen – nicht heraus und schnell ins Gespräch mit André Cramer (Foto oben). Der hat die komplette untere der insgesamt sechs Etagen angemietet, bespielt und kuratiert sie als Plattform für hochwertige Produkte aus der Black Community mit seinem Label „La Tribune Noire“.
Der Macher erzählt mir, wie gut die „Jupiter“-Sache läuft, unter Regie der Hamburger Kreativgesellschaft, mit einem Quadratmeterpreis von 1,50 Euro, und nun mit Verlängerung des Pop-up-Projektes. Ich lausche mit leuchtenden Augen – und denke etwas beschämt daran, was Wiesbaden bisher in Sachen Galeria-Nachnutzung auf die Reihe gekriegt hat: Schaufenster, die Vereine und Kultureinrichtungen gestalten dürfen …
Warum nur beschleicht einen bei aller Freude über gelungene Beispiele in Wiesbaden immer wieder das Gefühl, dass manches, was anderswo „einfach“ geht, hier nur sehr schwer oder gar nicht geht. Dass viele Ideen, die hier sprudeln, jeder Chance der Realisierung beraubt werden. Noch übler wird es, wenn nicht nur Entstehendes behindert, sondern Bestehendes gestört oder sogar zerstört wird.
In einer Art Langzeit-Pop-up bespielt das kuenstlerhaus 43 seit Februar 2021 das temporär angelegte „Theater im Palasthotel“ im einstigen Frühstückssaal des Palast-Hotels am Kranzplatz. Temporär, weil die Idee ist, dass dieses etablierte und wichtige Wiesbadener freie Theater nach erforderlicher und erfolgter Sanierung wieder in sein Stammdomizil in der Oberen Webergasse 43 zurückzieht. Verzeihung: weil das die Idee war. Die Idee wurde nun seitens der Stadt begraben.
Das kuenstlerhaus 43 steht plötzlich ohne belastbare Zukunftsperspektive da. Über die Gründe und Hintergründe, über das Handeln und Nicht-Handeln seitens der Stadt gibt es hitzige Diskussionen und einiges Kopfschütteln, nun aber auch wieder Hoffnungsschimmer (mehr dazu ab 29.10. auf www.sensor-wiesbaden.de).
Das fassungslose Theatermacherpaar drückte die Situation jüngst gegenüber dem Ortsbeirat Mitte so drastisch aus: „Wenn das Haus Obere Webergasse 43 nicht als Theater umgebaut wird, besteht die große Gefahr, dass 2025 das 20. Jubiläum des freien Theaters gleichzeitig seinen Tod bedeutet“. Bitte nicht!
Dirk Fellinghauer
sensor-Zwischenlösung