„Know when to stop“ (Schild im Studio des Fotokünstlers Wolfgang Tillmans)
Manchmal träume ich von einem 9-to-5-Job,
liebe sensor-Leserinnen und –Leser. Morgens zur immer gleichen Zeit ins Büro, Arbeit erledigen, Mittagspause, Feierabend. Kein Stress, nichts „mitnehmen“. Abends nicht. Und am Wochenende schon gar nicht. Gute alte Arbeitswelt.
Meine Arbeitszeiten, und meine Arbeitswelt, sehen etwas anders aus. Unorthodox könnte man es nennen. Ohne festgelegten Anfang, ohne definiertes Ende. Als Leiter eines Magazins, das seinen Slogan „Fühle deine Stadt“ ernst nimmt, ist man irgendwie immer im Dienst. Das ist manchmal etwas anstrengend, insgesamt aber super so. Ohne all diese Begegnungen und Gespräche, Informationen und Inspirationen, über die eigentlichen Arbeitszeiten hinaus, über den eigentlichen Arbeitsplatz hinaus, wäre der sensor vielleicht ein x-beliebiges Blättchen und nicht – sofern ich die Resonanz und den Zuspruch nicht völlig fehl- und überinterpretiere – das, was er ist.
Super ist auch, dass ich nicht an meinen Schreibtisch in der Redaktion gebunden bin. Ich kann mich von überall, also auch von zuhause, also aus dem „Home Office“, in meinen sensor-Desktop einwählen. Das gibt mir Freiheiten, verführt aber in Wirklichkeit natürlich auch dazu, kein Ende zu finden. Also dass man sich abends nochmal ganz kurz an den Rechner setzt, um gerade mal ein, zwei Mails zu checken und dann … Sie ahnen, wie – und wann – es mitunter endet. Diese eine Mail noch, dieser eine Artikel noch, dieser eine Facebook-Post noch.
Nicht immer weiß man, wann man aufhören sollte. Und wie.
Als ich irgendwann, viel später als viele andere, stolzer Smartphone-Nutzer wurde, dachte ich: Prima, dann bekomme ich jetzt auch die Mails direkt aufs Handy, kann sie mal eben schnell checken, ohne dafür ständig am Rechner hocken zu müssen. Sie ahnen, wie das ausgeht …
Abends, oder auch nachts, wird es manchmal später als gedacht. Dafür nehme ich mir dann aber auch die Freiheit, in der Mittagspause nicht hektisch mit der Stechuhr im Nacken irgendeinen Mist in mich reinzuschlingen, sondern ganz in Ruhe Gutes zu essen und mir am liebsten auch noch den Espresso danach zu gönnen. Manche, die mich dann entspannt rumsitzen sehen, mögen denken: „Hat der nichts zu tun?“. Andere nutzen die Gelegenheit, mir schon wieder etwas total Wichtiges zu erzählen, was unbedingt im nächsten sensor stehen sollte. Ein bisschen anstrengend manchmal, aber unterm Strich super so. Siehe oben.
Die schöne neue Arbeitswelt, die uns so mobil, so flexibel, so ortsunabhängig sein lässt, hat auch ihre Tücken. Sie gibt uns Freiheiten, keine Frage. Aber mit Freiheit muss man auch umgehen können. Die schöne neue Arbeitswelt gibt Arbeitnehmern mehr Verantwortung, verlangt Arbeitgebern mehr Vertrauen ab. Für die neue sensor-Ausgabe sind wir eingetaucht in die „Arbeitswelt 4.0“. Mein Eindruck ist: Trotz mancher Tücken und Punkte, die man immer wieder kritisch hinterfragen sollte, sind die neuen Gegebenheiten summa summarum für viele tatsächlich das absolute Glück.
Ich träume manchmal von einem 9-to-5-Job.In Wirklichkeit will ich den Spirit, den ich jenseits von 9 to 5 genieße, natürlich nicht mehr missen und nicht mehr gegen starre Stechuhr-Arbeitsmodelle eintauchen. Aber wenigstens so ein 9-to-5-Tag in der Woche, das wäre vielleicht mal ´ne Idee. Während ich – an einem Sonntag – dieses Editorial schreibe, nehme ich mir fest vor: Ich werde es ausprobieren. Sobald meine To-Do-Liste es zulässt.
Dirk Fellinghauer, sensor-Malocher 4.0