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Er starb lächelnd und mit Schalk in den Augen: Fluxus-Pionier Ben Patterson tritt von Wiesbaden aus seine weiteren Reisen an

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Ein großer Wahl-Wiesbadener hat sich von dieser Welt verabschiedet. Ben Patterson starb am Samstag im Alter von 82 Jahren in seiner Wohnung im Wiesbadener Westend . „Lächelnd mit Schalk in den Augen ist Ben Patterson am 25. Juni friedlich eingeschlafen, von hier wird er  seine weiteren Reisen antreten“, schreibt der Nassauische Kunstverein. Mit Ben Patterson verliert die hessische Landeshauptstadt ihren internationalen „Fluxus Botschafter“, der – zur Fortsetzung und Vollendung eines schon bis dahin aufregenden, ereignisreichen und bedeutenden Künstlerlebens – in Wiesbaden seine zweite Heimat fand und dessen weltweit beachtete künstlerische Arbeit aktuell von einer Einladung zur kommenden documenta nach Kassel geprägt war. Zuletzt wurde der am 29. Mai 1934 in Pittsburgh geborene Künstler, der zeitweise auch stellvertretender Kulturdezernent von New York war, 2012 aus Anlass der Aktionen zu 50 Jahre Fluxus mit einer großen Retrospektive im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden geehrt. die zuvor in Teilen im Contemporary Arts Museum Houston zu sehen war. Im gleichen Jahr installierte er den einzigen europäischen Zugang zu seinem Museum for the Subconscious / Museum für das Unterbewusstsein im Eingangsbereich des Kunstvereins.

Hier nimmt das 7 Tage die Woche und 24 Stunden geöffnete und mit freiem Eintritt versehene Museum jedes nach dem Ableben gespendete Unterbewusstsein an und gelangt über den Eingang des bronzenen, gravierten Gullideckel in der Stadt des Wassers und des Fließens in den Salzbachkanal unterhalb der Wilhelmstraße. „Negative Menschen mögen denken: Den Abfluss hinuntergespült und weg…! Aber ich denke, in den Rhein und von  dort in die Welt,“ so erklärte dazu seinerzeit Ben Patterson.

Der als Benjamin Anthony Patterson geborene US-Amerikaner zeigte von Kindheit an unersättlichen Lerneifer. Bereits als Teenager waren ihm klassische Musik (Oper), Literatur- und Naturwissenschaften vertraut; gleichzeitig war er ein hervorragender Sportler und aktiver Boy Scout. Von 1952 bis 1960 studierte er Musik an
der Universität von Michigan mit dem Komponisten Gordon Mumma und setzt Schwerpunkte bei Komposition, Dirigat und Kontrabass.

Kampf um Rechte als schwarzer Musiker

Während seiner gesamten Ausbildung kämpfte Ben Patterson darum, der erste Schwarze zu sein, der die „Hautfarben-Barriere“ in einem amerikanischen Symphonieorchester durchbricht, denn seine Hautfarbe machte ein Engagement in einem amerikanischen Orchester seinerzeit unmöglich. Dies hatte zur Folge, dass Patterson nach Kanada auswanderte, um Kontrabass im Symphonieorchester Halifax zu spielen. Es folgte der Dienst in der US-Armee; er wurde als Kontrabassist beim Seventh Army Symphony Orchestra in Stuttgart aufgenommen. Von Stuttgart aus gab er 250 Konzerte in 20 Monaten in ganz Europa und bezeichnete diesen Lebensabschnitt später als den Anfang seiner Karriere als „Travel Junkie“.

Desaster mit Konsequenzen: Die Begegnung mit Stockhausen

Es folgte ein Engagement als Kontrabassist und Assistent des Dirigenten des Ottawa Philharmonic Orchestra. Während einer Tour durch Europa war Ben Patterson mit der elektronischen Musik in Kontakt gekommen und zeigte großes Interesse an der experimentellen Musik. Er kam im Juni 1960 nach Köln, um bei Karl Heinz Stockhausen zu studieren. Ben Patterson selbst bezeichnete später die Begegnung mit dem Komponisten als „Desaster“, das allerdings richtungweisende Konsequenzen für seine künstlerische Entwicklung haben sollte. Es entstand die weltberühmte Performance Paper Piece, die erstmals seit dem Cabaret Voltaire 1916 die große Trennung zwischen Publikum und Auftretendem wieder in Frage stellte. Bei seinem Köln-Aufenthalt begegnete er auch Nam June Paik und John Cage. 1962 offenbarte ein kleines Sommerfest – Après John Cage in der Galerie Parnass – das grafisch-bildnerische und Performance–Talent des jungen, begabten Kontrabassisten. Dieser Auftritt in Wuppertal ging als erste Fluxus Performance in Europa in die Kunstgeschichte ein und hatte zur Folge, dass Ben Patterson und George Maciunas die Internationalen Festspiele Neuester Musik, das erste Fluxus Festival 1962 im Städtischen Museum Wiesbaden durchführten.

Aus sieben Tagen wurden 18 Monate

Aus einem für sieben Tage geplanten Aufenthalt in Europa wurden damals 18 Monate,
In Paris entstand eine enge Zusammenarbeit mit Robert Filliou und Patterson performte in Europa bei den verschiedensten Fluxus-Konzerten und –Festivals.  Zum Jahreswechsel 1962/ 63 zog es Ben Patterson zurück in die USA: Die erstarkende Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King – er wohnte dessen epochaler Rede „I have a Dream“ bei – und letztendlich auch die Gründung einer Familie motivierten ihn zum Beginn eines, wie er es selbst nannte, Ordinary Life (eines normalen Lebens). Ben Patterson hat drei Kinder und zwei Enkelkinder. In New York entstanden wenige Puzzle-Gedichte und einige Künstlerbücher. Mit collagierten Drucksachen reflektierte er die Politik der Zeit und den Pulsschlag der Kunstszene der sechziger Jahre in New York. Mit Humor und Ironie forderte er die Kunsthierarchie heraus, die den Gebrauch von Alltagsmaterialien bisher nicht in solch konsequenter Form kannte.

Vize-Kulturdezernent von New York

1963 wurde Patterson Referenz-Bibliothekar für Musik in der New York Public Library
und entwickelte sich vom „Travel Junkie“ zum „Information Junkie“. Beide Eigenschaften
behielt er Zeit seines Lebens bei. 1965 begann er das Studium der  Bibliothekswissenschaften an der NY Columbia University und schloss 1967 mit dem Master-Degree ab. Es folgten das Engagement als General Manager des Symphony of the New World, einem Ensemble das sich der Förderung von ethnischer und Gender-Diversität in Symphonieorchestern annahm, 1972-74 war er stellvertretender Kulturdezernent von New York . Er wurde Direktor der Pro Music Foundation, Präsident der Gesellschaft Schwarzer Komponisten und gründete ein eigenes Plattenlabel. Während dieser New Yorker Zeit, seinem selbsternannten „Künstler-Ruhestand“, war Ben Patterson außergewöhnlich engagiert bei der Schaffung einer neuen, kulturellen Infrastruktur, die Afroamerikanern und anderen Minderheiten neue Möglichkeiten der Verwirklichung ihres kreativen Potentials geben sollte.

1988 Rückkehr nach Wiesbaden – mit Ruhe und Konzentration

1988 kehrte er nicht nur offiziell auf die Kunstbühne zurück und setzte den Fokus –
„fluxus konform“ – auf das Alltägliche Leben, sondern zog im gleichen Jahr auch nach
Wiesbaden, der Ursprungsquelle seiner künstlerischen Ausrichtung zurück. In Wiesbaden gehörten zunächst das Sammler-Ehepaar Ute und Michael Berger sowie der Nassauische Kunstverein Wiesbaden zu den engen Begleitern der Fluxus-Bewegung
und von Ben Patterson. Freunde, Verbündete und Neugierige waren in seinem Schaufenster und Wohnatelier stets willkommen. Material und Ideen für die farbenfrohen
Werke fand er auf seinen weltweiten Reisen aber besonders auch in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, die er liebevoll „Art Supply Shop Wellritzstraße“ nannte. In seiner Wahlheimat Wiesbaden fand der international gefeierte Künstler die konzentrierte Ruhe
und den künstlerischen Freiraum, Quellen seiner künstlerisch spielerischen und gleichzeitig hochkonzentrierten Arbeit.

Im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden liegt in seiner dort installierten Ben’s Bar ein Kondolenzbuch aus und gibt damit den Freunden von Ben Patterson Gelegenheit zum Abschiednehmen. Ab sofort wird eine von Ben Patterson initiierte Lotterie als Edition stattfinden. Der Erlös dient dem Buchprojekt A Family Album. 25 year of Fluxus portraits and performances photographed by Wolfgang Traeger. Die Ziehung der Gewinne und die Abschiedsfeier für Benjamin Patterson findet am 54. Jahrestag des Beginns der Internationalen Festspiele Neuster Musik am Freitag, dem 2. September um 14:30 Uhr in Wiesbaden mit abschließender Abschiedsfeier statt.

(dif/ Foto Heinrich Völkel und Andrea Diefenbach)