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Wen wählen? Die zehn Kandidat:innen für die OB-Wahl im Kurzcheck

Text & Foto: Christian Struck.

„Es ist schon ein großer Trost bei Wahlen, dass von mehreren Kandidaten immer nur einer gewählt werden kann.“ Ja, da hat Mark Twain wohl schon einmal auf die OB-Wahl in Wiesbaden am 9. März vorgegriffen. Denn hier stehen aktuell zehn Kandidat:innen auf dem Stimmzettel – das Gendern hätte man sich fast sparen können. Mit Gesine Bonnet steht nämlich (leider) nur eine Frau für das Amt bereit. Immerhin hat man mit Erscheinen dieser Ausgabe des sensor noch reichlich Zeit, sich ein Bild zum Kreuz zu machen – vielleicht kommt es ja sogar zu einer Stichwahl Ende März. Wir werden sehen. Was wir hier jetzt schon sehen, ist Überblick über die hehren Ziele der zur Wahl Stehenden, mundgerecht verpackt und ohne besondere Reihenfolge.

Alte Idee der Wiesbadener Sozialdemokratie

Naja, das stimmt so nicht ganz. Wir fangen hier nämlich mal mit einem sehr aussichtsreichen Wahlprogramm an, und zwar dem von Lukas Haker (Die Partei). Jener 25-Jährige, der sich zum Sprachrohr der „jungen und verpeilten“ Generation erklären lässt, greift nämlich gleich mehrere Ideen der alten Sozialdemokratie in Wiesbaden auf. Ende der 1960er Jahre konnte sich die Wiesbadener SPD nämlich nur in allerletzter Sekunde von Jungsozialisten rund um die verdienten Wiesbadener Achim Exner, Michael von Poser und Jörg Jordan von der im wahrsten Sinne des Wortes bahnbrechenden Idee abhalten lassen, die Villa Clementine abzureißen, um an dieser Stelle eine U-Bahnlinie nach Frankfurt zu bauen. Da dieses Vorhaben, mit dem auch gleichzeitig die Villen der City-Ost, das Bergkirchenviertel und das Schiffchen für sozialen Wohnungsbau nach Plänen des damaligen Star-Architekten für sozialen Wohnungsbau, Ernst May, verschwinden sollten, damals in der Bevölkerung eigentlich mit Wohlwollen aufgenommen wurde, scheint es nur legitim, dass Lukas Haker diesen Punkt in sein Wahlprogramm aufnimmt. Damit ebenfalls abgedeckt sollte dann auch die Forderung einer „innenfreien Autostadt“ sein.

Baustellen und ÖPNV als zentrale Themen

Und damit kommen wir direkt auch mal zu dem, was eine pluralistische Demokratie offenbar auch noch aushalten muss: die AfD. Hier stellt sich Ralf Offermanns zur Wahl mit den Themen effizienteres Baustellenmanagement und besserer ÖPNV.

Attraktive Rahmenbedingungen schaffen

Nun zur einzigen Frau im Kandidat:innenfeld. Als Oberbürgermeisterin möchte Gesine Bonnet (Grüne) ihr Amt nutzen, um den Alltag für alle Wiesbadener:innen besser zu machen. Dazu gehöre auch ein neues Mobilitätskonzept mit attraktiven Alternativen zum Auto, um Engpässe im Innenstadtverkehr zu lösen. Diese Engpässe entstehen aktuell aber auch durch die zahlreichen Baustellen im Stadtbild, die laut Bonnet dem Sanierungsstau in der städtischen Infrastruktur geschuldet seien. Diesen wolle man sukzessive abbauen und in diesem Zuge für mehr Grün sowie mehr Möglichkeiten für Gastronomie und ÖPNV schaffen.  Dazu brauche es auch einen „neuen Nutzungsmix“ für Handel, Kultur und Gastronomie in der Innenstadt. Beim Thema „bezahlbarer Wohnraum“ will sich Gesine Bonnet dafür einsetzen, vorrangig auf bereits versiegelten Flächen systematisch Möglichkeiten der behutsamen Nachverdichtung, aber auch der Aufstockung zu nutzen – etwa auch auf flachen Supermarktbauten. Zudem möchte sie „qualitätvollen Geschosswohnungsbau“, wie ihn auch die Gründerzeitarchitektur der Innenstadt ausstrahle, noch konsequenter als Leitbild in die Zukunft führen, um zugleich flächensparend und urban-attraktiv zu bauen. Für den Wirtschaftsstandwort wolle sie attraktive Rahmenbedingungen für Unternehmen schaffen. Ziel dabei sei es, die Ansiedlungsstrategie zu schärfen – also zu klären, welche Unternehmen und Branchen für die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts besonders attraktiv seien.

Verkehr als „Aufregerthema Nr. 1“

Thilo von Debschitz geht bei der OB-Wahl für CDU und FDP an den Start. Gerade beim Thema „Verkehr“ erhalte er in Wiesbaden überwiegend negative Rückmeldungen: Es gebe zu viele Baustellen zur gleichen Zeit.  Autofahrerinnen und Autofahrer fühlten sich bevormundet und gegängelt – auch die zahlreichen neuen Schilder zu Tempo 30 und Tempo 40 stifteten „Verwirrung und Unruhe“. Zahlreiche Menschen seien als Pendelnde auf das Auto angewiesen. Für sie sei es essenziell, sich in der Stadt zügig fortzubewegen und pünktlich zur Arbeit zu kommen. Mit dem Wegfall von Spuren für den motorisierten Individualverkehr und dem Ausbau neuer Fahrradspuren komme dem öffentlichen Personennahverkehr eine ganz besondere Bedeutung zu. Gerade in den weniger zentral gelegenen Stadtbezirken komme man sich in diesem Punkt vernachlässigt vor. „So klappt die Verkehrswende nicht, so steigt auch niemand vom Auto auf den Bus um“, so von Debschitz. Er wolle im Fall seiner Wahl den Vorsitz über ESWE Verkehr selbst übernehmen, um ein „deutlich verbessertes ÖPNV-Angebot“ zu machen. Ein weiteres prominentes Thema ist bei Thilo von Debschitz die Sicherheit in der Stadt. Hier werde ihm in Gesprächen immer wieder vermittelt, dass sich Bürger:innen an vielen Orten nicht mehr sicher fühlten. Dem wolle er mit einer Ausweitung der Waffenverbotszone und dem Ausbau von Videoanlagen entgegentreten. Zudem spreche er sich für eine erhöhte Polizeipräsenz und für eine bessere Ausrüstung der Stadtpolizei aus. Die Ausstattung mit Pfefferpistolen habe die Stadtregierung bislang noch nicht verabschiedet, diese Geräte sollten zumindest im Testbetrieb zur Verfügung gestellt werden. Ähnlich wie seine Mitherausforderin von den Grünen will sich von Debschitz mit einem Nutzungsmix für eine attraktivere Innenstadt einsetzen. Bei der jüngeren/junggebliebenen Wählerschaft könnte von Debschitz wohl auch mit folgendem Vorhaben punkten: Der 58-Jährige plädiert nämlich dafür, das Angebot von Märkten, Konzerten, Festen und Festivals auszubauen und Leerstände für Pop-Up-Stores, Galerien oder Start-ups zu nutzen. Messen wird sich Thilo von Debschitz im Falle seiner Wahl auch an dem in seinem Programm gegebenen Versprechen lassen müssen, die Vielfalt der lokalen Kunst- und Kulturszene zu sichern. Dies sei aber nur mit einem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt zu gewährleisten.

Einzigartigen Charme der Stadt wertschätzen

Auch für Matthias Bedürftig, der für die Freien Wähler zur Wahl steht, haben die Themen Sicherheit, Verkehr und Einzelhandel obere Plätze auf seiner Prioritätenliste. Als Unternehmer kenne er die Probleme und Hürden für den Mittelstand genau und wolle mit Bürokratieabbau und Steuererleichterungen den Wirtschaftsstandort stärken und Arbeitsplätze sichern. Beim Thema Klima- und Umweltschutz müsse darauf geachtet werden, dass die Bürger aktiv in diesen Veränderungsprozess einbezogen würden. Dies erfordere „fundiertes physikalisch-technisches und wirtschaftliches Wissen, nicht jedoch strikte ideologische Vorschriften oder übertriebene Eingriffe“. Vermeiden will Bedürftig indes übermäßigen Flächenverbrauch durch große Neubaugebiete, die wichtige Frischluftzonen beeinträchtigten. Stattdessen solle die Stadtentwicklung den einzigartigen Charme Wiesbadens sowie seine besondere Topografie und Architektur wertschätzen. Beim Thema Bildung und Schulen wolle Bedürftig mehr auf Dialog mit den Eltern setzen, um so deren Anliegen in den Mittelpunkt zu stellen und die Schulpolitik zum Wohle aller Kinder zu optimieren.

Kultur nicht als Selbstzweck

Zum Thema Verkehr schlägt FWG-Kandidat Andreas Gutzeit vor, Park&Ride-Bereiche in den Außenbereichen der Stadt auszubauen, um dann mit Schnellbussen in die Innenstadt zu gelangen. Um hier zügig voranzukommen, will Gutzeit Baustellenkoordination und Baustellenmanagement verbessern sowie Verkehrsführungen entsprechend anpassen. Vor allem in dicht besiedelten Gebieten lehnt Gutzeit ab, dass noch mehr Parkplätze wegfallen – die Autos würden ja nicht verschwinden, nur, weil keine Parkplätze mehr da seien. Beim Thema Sicherheit plädiert Gutzeit für mehr Präsenz und eine bessere Ausstattung der Stadtpolizei sowie für mehr Videoüberwachung. Als „unverzichtbar“ bezeichnet Gutzeit das kulturelle Angebot der Stadt. Ziel müsse es demnach auch sein, Angebote zu schaffen, die die Menschen nicht überforderten.  Die aus Steuermitteln geförderte Kunst und Kultur dürfe kein Selbstzweck und nur für einen kleinen Kreis bestimmt sein. Dazu brauche es Zielvereinbarungen mit bezuschussten Kulturschaffenden auf Grundlage von nachvollziehbaren und fairen Parametern wie etwa der Anzahl der Veranstaltungen und einem Mindestanteil von Eigenmitteln wie Spenden oder Eintrittsgeldern. Dahingehend lehnt Andreas Gutzeit auch die städtische Zuführung leerstehender Gebäude an kulturelle Zwecke ab. In der Wirtschaftspolitik spricht sich Gutzeit für eine Förderung des Standorts durch Marketingaktivitäten aus, um potenzielle Investoren, Unternehmen und Fachkräfte anzulocken. Hinsichtlich der Wohnungssituation spricht Gutzeit sich gegen die Schaffung neuer Wohnquartiere aus, die Stadt brauche keinen zusätzlichen Wohnraum in diesem Umfang. Daher würde auch die Versiegelung von Ost- und Westfeld nur zu einem “Pull-Effekt” führen und Zuzugsdruck von außen erzeugen, anstelle Menschen, die in Wiesbaden wohnen und bezahlbaren Wohnraum suchen, mit Wohnungen zu versorgen.

Kampf gegen rechte Hetze

Ingo von Seemen will sich als Kandidat der Linken für bezahlbaren Wohnraum einsetzen und den Kampf gegen die Zunahme von Armut in den Mittelpunkt seines Wahlkampfes rücken. Man habe in der Vergangenheit beim Thema soziale Gerechtigkeit in der Stadtregierung bereits einige wichtige Maßnahmen in die Wege leiten können, daran wolle von Seemen anknüpfen. In der Diskussion um Asyl und Geflüchtete wolle er entschieden gegen rechte Hetze antreten und dieser solidarische Alternativen entgegenstellen.

Ostfeld als Fass ohne Boden

Als Oberbürgermeister möchte Christian Hill von der Initiative Pro Auto die herrschende Linkskooperation kontrollieren und mäßigen. Hier würden im Rathaus aktuell zu viele Beschlüsse gefasst, die den Bürger:innen schadeten. Als vorrangigstes Problem identifiziert Hill die seiner Meinung nach verfehlte und rein ideologisch geführte Verkehrspolitik. Straßensperrungen, Einziehung von Fahrspuren, fortgesetzter Parkplatzklau und Baustellenwahnsinn seien schädlich für die Stadt und die heimische Wirtschaft. Als Oberbürgermeister wolle Hill die Verkehrspolitik wieder autofreundlicher und pragmatischer gestalten. Zweites Problem sei die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme Ostfeld zwischen Erbenheim und Kastel. Es sei höchst bedenklich, dass direkt neben einem aktiven, wachsenden Militärflugplatz Wohnungen für 10.000 Menschen entstehen sollten. Bis heute gäbe es hierzu kein Lärmgutachten und keine Lösung für die geforderte Schienenanbindung. Hill spricht sich auch gegen die Versiegelung von wertvollen landwirtschaftlichen Flächen aus, die zur Versorgung der Bevölkerung benötigt würden. Das geplante Ostfeld sei ein Fass ohne Boden ist, dessen Defizit jetzt schon bei weit über 200 Millionen Euro liege. Für die Belebung der Stadtmitte werde Hill eine Arbeitsgruppe ins Leben rufen, die einen Generalplan zur Wiederbelebung und Zukunftssicherung entwerfen solle. Zudem werde er als erste Amtshandlung eine Dienstanweisung geben, die das Gender‘ in der Stadtverwaltung untersagt und verfügen, dass Sitzungsvorlagen und amtliche Schreiben in normal verständlichem Deutsch abgefasst würden.

An die Errungenschaften anknüpfen

Amtsinhaber Gert-Uwe Mende von der SPD will an den Erfolgen der letzten fünf Jahre anknüpfen und verweist auf die bisherigen Errungenschaften der „sozialen Stadt“. So habe man erreicht, dass mehr Sozialwohnung gebaut wurden als aus der Bindung herausgefallen seien. Zudem seien mehr als 9.000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im Zeitraum von 2019 bis 2023 geschaffen worden. Gleichzeitig wisse man aber auch um die Aufgaben, die in der Stadt noch anstünden. So sei ihm bewusst, dass es beim Verkehr in unserer Stadt noch an vielen Stellen hake, dass man beim Klimaschutz noch eine Schippe drauflegen müsse und auch die Kultur nicht vernachlässigen dürfe. Das alles will natürlich bezahlt werden – daher fordert Mende von Land und Bund eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen.

Mit Shuttle-Service die Innenstadt entlasten

Problem 1: Lärm, Verkehrschaos, Dreck und schlechte Luft – das will ULW-Kandidat Elmar Krebber ändern. Dazu will er als OB mehr finanzielle Mittel in die dicht besiedelten Stadtbezirke fließen lassen. Als mögliche Lösungswege schlägt Krebber etwa eine City-Maut nach Londoner Vorbild sowie große, begrünte Parkhäuser an den Einfallstraßen vor, die mit einem eng getakteten Shuttle-Service die Innenstadt entlasten sollen. Zur Erhöhung der Aufenthaltsqualität sollen auch weitere autofreie Zonen eingerichtet werden. Gegen die Spaltung der Gesellschaft will Krebber mit mehr „Wir-Gefühl“ antreten. Die Menschen in Wiesbaden benötigten mehr Selbstbewusstsein und Heimatgefühl. Um das Haushaltsdefizit auszugleichen, plädiert der ULW-Kandidat für einen Fokus auf das lokale Gewerbe sowie eine Senkung des Krankenstands durch mehr Wertschätzung, gesundes Essen und Sport. Zudem soll in Zusammenarbeit mit der Hochschule Rhein-Main die lokale Start-up-Szene gestärkt werden. Nachholbedarf sieht Elmar Krebbe beim ÖPNV und bei der Versorgung mit bezahlbaren Wohnungen.  Als Oberbürgermeister will Krebbe sein Augenmerk auch auf die Vororte richten und dort mit den Menschen ins Gespräch kommen, um ihre Anliegen direkt aufzunehmen.

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