Der Wiesbadener Filmemacher Ingo Herbst reiste um die Welt und entdeckte dabei ein gigantisches Netzwerk, das den Welthandel auf den Meeren verändern wird. Sein 30-minütiger Film „Chinas Macht auf dem Meer“ wird heute um 21 Uhr auf 3sat ausgestrahlt. Im sensor-Interview berichtet er von seiner aufregenden, anstrengenden und erfüllenden Arbeit.
Der 50-jährige Ingo Herbst begibt sich seit Anfang der 90er-Jahre immer wieder auf Spurensuche. Dabei entdeckt er teils erschreckende, teils erstaunliche Tatsachen, zum Beispiel über das Voranschreiten der Wüsten in Europa, die er in preisgekrönten Dokumentationen verarbeitet. Sein auf Arte ausgestrahlter Dokumentarfilm „Wüsten im Vormarsch“ wurde mit acht internationalen Filmpreisen ausgezeichnet. Auch sein neuestes Projekt hat es in sich: in „Chinas Macht auf dem Meer“ (ZDF/3sat) zeichnet er die Bestrebungen des Reichs der Mitte nach, seine Seehandelswege weltweit zu sichern und auszubauen.
Bei den Recherchen stieß der promovierte Politikwissenschaftler und TV-Journalist zusammen mit dem Wiesbadener Kameramann Ulrich Andrée auf ein weltumspannendes logistisches Netzwerk, das vom indischen Ozean über die Karibik bis an die deutsche Küste reicht und einem einzigen Zweck dient: der Sicherung wirtschaftlicher Macht.
Wie kommt man auf so eine Filmidee?
Ursprünglich recherchierte ich über den sogenannten „Gran Canal“ in Nicaragua, eine geplante neue Wasserstraße, die das lateinamerikanische Land durchschneiden und parallel zum Panamakanal verlaufen soll. Ich fragte mich, was der für einen Sinn wirklich hat und entdeckte dass ein Chinese dahinter steckte. Mich beschäftigte die Frage, warum das sinnvoll sein könnte, wenn sich der Kanal doch finanziell für keinen Investor lohnen würde.
Und?
Ich stieß auf den Hafen Mariel in Kuba, der mit chinesischen Investitionen entsteht, auf Pekings Pläne in Lateinamerika, auf die weltweiten Hafen-Neubauten, die mit chinesischem Kapital umgesetzt werden und landete schließlich im Hamburger Hafen und an der norddeutschen Küste, in Wilhelmshaven, wo der JadeWeserPort, Deutschlands einziger Tiefwasserhafen, kurz vor seiner Vollendung steht. Vorher stolperte ich noch über einen gigantischen Hafen auf Sri Lanka und streifte Piräus…
Und wie wurde daraus ein Film?
Das Spannende daran war, die einzelnen Elemente miteinander zu verknüpfen. Das ist der Erkenntnisprozess des Filmes. Soweit ich sehe, hat das auch noch niemand in dieser Dimension zusammengefügt. In einer 45 Minuten Version für ZDFinfo stehen zusätzlich auch noch Deutschland und Europa im Mittelpunkt.
Sehen Sie die wirtschaftlichen Aktivitäten der Chinesen als Bedrohung an?
Nein, ganz und gar nicht. Die junge Weltmacht sichert sich seine Rohstofflieferungen und Seehandelswege. Das haben die Amerikaner, Briten, Franzosen, Deutschen, Spanier etc. früher auch gemacht. Aber es gibt einen Unterschied: die genannten Länder kamen mit Waffen, ermordeten und versklavten die Völker. China macht das so nicht. Es kommt mit Geld und macht Geschäfte. Das mag für böswillige Menschen perfide klingen, ist aber ein entscheidender Unterschied für die Betroffenen, die dann noch lebendig und nicht tot sind…
Was ist das Besondere an Ihrem Film?
Der Aufwand um überhaupt die erforderlichen Drehgenehmigungen zu bekommen, war unglaublich. Ich habe schon in der ganzen Welt gedreht, aber das hier übertraf doch alles Bisherige. Dazu muss man wissen, dass Häfen besonders gesicherte Areale sind, etwa wie Flughäfen, da braucht man immer eine Sondergenehmigung, zusätzlich zu den Drehgenehmigungen für die Länder selbst.
Hat sich der Aufwand gelohnt?
Im Ergebnis war es eine tolle Erfahrung und die Belohnung für die Bemühungen unseres gesamten Teams, dass wir in Kuba und in Sri Lanka das erste Kamerateam waren, das diese Projekte zu sehen bekam. Sri Lanka baut einen Hafen, wo allein ein Nebenbecken schon über 130 Fußballfelder groß ist. Das sprengt jede Vorstellungkraft.
Ihnen begegnet doch sicherlich immer wieder der Neid, dass Sie bei so einem Projekt viel rumkommen?
Ja, das höre ich immer wieder. Und da ist ja auch was dran. Das ist der beste Job der Welt für mich. Aber man muss das auch mögen. Sri Lanka sah so aus, dass wir über Nacht hinflogen, morgens landeten und unsere Drehgenehmigungen in zwei Ministerien holen mussten. Dort hatten wir einen einheimischen Mitarbeiter vor Ort, der uns half. Wir saßen nur in Wartezimmern herum, verstanden gar nichts und schliefen immer wieder ein. Am nächsten Morgen fuhren wir 400 Kilometer weiter zu dem Hafen auf der anderen Seite der Insel. Eine Fahrt über sieben Stunden, bei 35 Grad im Schatten und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. Dann war Drehtag.
Wie sieht so ein Drehtag aus?
Das bedeutete: gegen 6 Uhr aufstehen, das Frühstück hatte das Hotel vergessen…uns knurrte der Magen. Den ganzen Tag in der Gluthitze herumfahren, aussteigen, drehen, weiterfahren, von verwunderten Chinesen kontrolliert werden und schließlich mit mittlerem Sonnenbrand und verschwitzt zurück ins Hotel. Dort war zwischenzeitlich eine Flugameisenkolonie in meinem Zimmer geschlüpft und ich stand vor der Alternative: Moskitonetz enger ziehen oder den Einsatz einer Chemiekeule unbekannter Zusammensetzung. Ich verstopfte dann die Schlupflöcher mit nassem Klopapier und fegte Millionen Flugameisen per Hand aus dem Zimmer. Am letzten Tag ging es dann zurück zum Flughafen, nach sieben Stunden Fahrt in den Flieger und nach einer weiteren Nacht in der Holzklasse landeten wir morgens in Frankfurt.
Klingt nicht nur nach größtem Vergnügen.
Da ist man schon ganz schön durchgekaut… Aber immerhin produziere ich das, wofür andere den Fernseher einschalten, das ist schon ein Privileg. Immer im Büro zu sitzen wäre für mich der Horror! Lieber renne ich durch die Welt, bin durstig, ungewaschen, friere mir manchmal den Hintern ab, hole mir einen Sonnenbrand, improvisiere vor Ort, treffe tiefgehende Entscheidungen oder riskiere sonst etwas. So ein Job ist wohl eine Frage des Typs. Ich liebe ihn – je herausfordernder, desto besser. Mein Hobby ist Bergsteigen, vielleicht gibt es da ja einen Zusammenhang (lacht).