Text Julia Bröder: Fotos Nele Prinz.
Mit einem charmanten Wortspiel feiert die Artothek in Wiesbaden ihr Jubiläum: „Art to take“ – Kunst zum Mitnehmen. Der Slogan bringt das Angebot der im Kunsthaus am Schulberg ansässigen Sammlung ziemlich genau auf den Punkt: Hier gibt es Kunst für jede und jeden.
Für 26 Euro pro Halbjahr können Privatpersonen Gemälde, Fotografien, Grafiken oder Skulpturen von regionalen, aber auch internationalen Künstlern und Künstlerinnen ausleihen. Studierende zahlen 10 Euro, Firmen 51. Eine Kaution muss niemand hinterlegen, lediglich einen Leihvertrag unterschreiben.
4000 Werke zum Ausleihen
„Die Sammlung umfasst rund 4000 Werke und ist sehr vielfältig“, erklärt Artothek-Leiterin Nicole Ahland. Darunter sei viel Zeitgenössisches – aktuelle Arbeiten, die sie und ihr Team direkt von den Schaffenden erwerben. „Wir sind am Puls der Zeit.“ Rund 100 Kunden und Kundinnen kommen im Monat. Vorkenntnisse seien nicht nötig, betont Ahland. Man richte sich an alle Interessierten aus Wiesbaden und der Region, die sich in den eigenen vier Wänden oder in ihrem Büro mit Kunst auseinandersetzen wollen. „Vor allem auch an diejenigen, die Schwellenangst vor der Kunst haben.“
sensor hat Artothek-Nutzer und -Nutzerinnen getroffen und mit ihnen über die „Gäste an ihren Wänden“ gesprochen.
Kein Richtig und kein Falsch
Von jemandem, der einem erklärt, was Kunst ist und was nicht, sollte man tunlichst einen Schritt zurücktreten, findet Simone Husemann, Leiterin Katholische Erwachsenenbildung am Bistum Limburg. Dass es in der Kunst kein Richtig und kein Falsch gibt, mache sie so wertvoll. „Über Kunst erreicht man die Menschen.“ Seit 2017 ist Husemann in der Erwachsenenbildung am Bistum Limburg tätig – in den Büros im Wiesbadener Roncalli-Haus hängen seitdem wechselnde Werke aus der Artothek. Aktuell etwa eine großformatige Fotografie von Gritt Reiss, die mit den Themen Geschlecht und Verhüllung spielt. Es sei kein einfaches Bild, meint Husemann. „Die Menschen, die es sehen, sind im positiven Sinne irritiert.“ Das gefällt ihr – Kunst darf eine Herausforderung sein.
Husemann selbst ist studierte Kunsthistorikerin. Aber es ist ihr wichtig, dass sie die Werke für die Büros nicht als solche aussucht. Oft geht sie mit einer Kollegin in der Mittagspause in die Artothek zum „Stöbern“. Die Sammlung ist hier nicht wie eine Ausstellung kuratiert, sondern wie ein Depot organisiert. „Das tut der Kunst gut“, so Husemann. Was ausgeliehen wird, entscheidet sie im Team und intuitiv – nicht nach „Etikett.“
Werke wie Mitbewohner
Heike und Marc Rüther, selbstständige Unternehmensberaterin und Beschäftigter im öffentlichen Dienst, gehören zu den Artothek-Kunden der ersten Stunde. Kontakt gab es schon, als die Sammlung nach der Eröffnung am 13. März 1999 noch Im Rad untergebracht war. Damals bewohnte das Ehepaar ein kleines Bauernhaus – großformatige Bilder aufzuhängen war eher schwierig. Das änderte sich nach dem Umzug in einen Altbau mit hohen Decken. „Plötzlich hatten wir riesige weiße Wände und die Lust, damit etwas zu machen, wurde größer“, erinnert sich Heike Rüther. Normalerweise ist es ihr Mann, der die Bilder aussucht – sie lässt sich überraschen. Nur einmal habe er eine Sache mitgebracht, mit der sie ein halbes Jahr gehadert habe, lacht sie.
Wenn ein neues Bild in die Wohnung kommt, ist es für die Rüthers wie ein Mitbewohner. „Es verändert den Raum, manchmal stellen wir dann auch um.“ Bei der Auswahl ist es Marc Rüther wichtig, dass die Werke eine gewisse Freude und Intensität ausstrahlen, sie müssen keiner bestimmten Stilrichtung angehören. Meist sind die Motive gegenstandslos, oftmals bunt – so wie die großen Formate der Wiesbadener Künstlerin Kerstin Jeckel.
Vielfalt ins Haus holen
Als Christian Schmitt, Pharmazeut und Quality Manager in der Pharmabranche, im April 2021 zum ersten Mal in die Artothek „tigerte“, tat er das relativ unbefangen. „Ich hatte am Anfang einfach den Wunsch, meine Wohnung zu dekorieren und mal etwas auszuprobieren.“ Er sei sehr freundlich beraten worden und habe mit Ölgemälden und Fotografien begonnen. Später kam eine Skulptur eines Waschbären von Christiane Erdmann hinzu. Die habe in Online-Meetings durchaus für Gesprächsstoff gesorgt. „Und als sie wieder weg war, sprachen mich Kollegen darauf an“, erinnert sich Schmitt mit Freude.
Insgesamt kann man ein entliehenes Kunstwerk bis zu 18 Monaten behalten, danach muss es zurück in die Artothek. Schmitt reizt die Vielfalt, die man sich so ins Haus holen kann. Im Moment zieren mehrere Fotografien von Nicole Ahland und Andreas von Weizsäcker, zwei Statuen von Birgit Helmy und ein temperamentvolles Gemälde von Christine Strawszewski seine Wohnung.
Ausstellung und Speeddating
sensor präsentiert: „Art to Take“ – 25 Jahre Artothek. Ausstellung mit Werken 40 Wiesbadener Künstler:innen vom 13. März – Vernissage am 13. März um 19 Uhr – bis 14. Mai im Kunsthaus Wiesbaden. Begleitprogramm u.a. „4 x Speeddating mit 3 Künstler/innen“, moderiert im Wechsel von Ann-Kathrin Hartenbach und Andreas Greulich, am 21.3., 28.3., 4.4., 11.4., 18-19 Uhr, anschließend 19-21 Uhr DJ „hurting toes“. www.wiesbaden.de/kunsthaus
Die Ausstellungseröffnung findet statt am Mittwoch, 13. März, um 19 Uhr im Kunsthaus auf dem Schulberg mit einem Grußwort von Jörg-Uwe Funk, Leiter Kulturamt. Die Einführung übernimmt Monique Behr, Leiterin Referat Bildende Kunst und für die „Jubiläumsmusik für die Kunst“ sorgen Uwe Oberg & Silvia Sauer – OFF SNGS. Die Eröffnung wird unterstützt durch PRUNK-Sekt.