Man hat das Gefühl, es ist schon Stadtgespräch, bevor es über die Bühne gegangen ist. Immer wieder hört man dieser Tage an ganz unterschiedlichen Orten, wie über „das Stück“ gesprochen wird, darüber, wie es wohl wird, wie provozierend, wie extrem, wie einzigartig … Von lauter nackten Männern auf der Bühne ist die Rede, von Gewalt, von Vergleichen mit Marina Abramovic. „Das“ Stück, das die Menschen schon im Vorfeld beunruhigt, verunsichert – und neugierig macht – heißt „The Scarlet Letter“ und wird im Rahmen der Maifestspiele am Dienstag, dem 21. Mai, im Großen Haus des Staatstheaters zu erleben sein – als Deutschlandpremiere, präsentiert von sensor.
Es ist das Stück, das bei den diesjährigen Maifestspielen “für den meisten Gesprächsstoff und große Kontroverse sorgen wird”, so die Einschätzung von Tanzkurator Bruno Heynderickx bei der Pressekonferenz: Die spanische Extremperformerin Angélica Liddell ist eine Ausnahmeerscheinung im europäischen Theater. Eine Grenze zwischen Leben und Kunst akzeptiert sie nicht, sie ist immer Kunstfigur und private Person zugleich.
Leidenschaftlicher Schmerzensschrei
Ihr radikales Körpertheater, das ihr inneres Leiden an der Gewalt der Welt spiegelt, schreckt mitunter selbst vor Selbstverletzung nicht zurück und sorgt international für Furore. Für ihre Performance “The Scarlet Letter” ließ sie sich von dem berühmten Roman “Der scharlachrote Buchstabe” von Nathaniel Hawthrone inspirieren. In dem Buch wird eine Ehebrecherin in einer puritanischen Gesellschaft gezwungen, ein scharlachrotes A auf ihrer Brust zu tragen. Liddell sieht den Puritanismus noch heute in einer einseitigen Vernunftherrschaft am Werk und setzt ihr einen leidenschaftlichen Schmerzensschrei entgegen.
„Sie scheut nicht das Abstoßende und auch nicht das Anstößige – und doch liebt man sie am Ende für diesen leidenschaftlichen, wagemutigen Kampf um die Freiheit der Kunst wie der Menschen“, war in der Ankündigung der Performance bei den Wiener Festwochen zu lesen.
Ein Abend in Erinnerung an Maria Magdalena Ludewig
Die Einladung dieser Produktion, die am 21. Mai als Deutschland-Premiere im Großen Haus aufgeführt wird, ist der an Silvester tödlich verunglückten Leiterin der Wiesbaden Biennale, Maria Magdalena Ludewig, gewidmet. Sie hatte dieses Gastspiel für die Maifestspiele „ins Spiel gebracht“. Sie hätte bestimmt ihre helle Freude daran gehabt, für wie viel Aufsehen der Abend schon im Vorfeld sorgt.
Bei der Programmvorstellung beeilte sich Staatstheater-Intendant Uwe Eric Laufenberg, die Worte von Heynderickx ein wenig zu relativieren, um das Wiesbadener Publikum nicht zu verschrecken. “Wiesbaden hat schon so viel erlebt, auch durch die Biennale”, beruhigte er, dass dieser Abend trotz seiner Radikalität natürlich durchaus verkraftbar – und auf jeden Fall absolut erlebenswert – sei.
„The Scarlet Letter“ von Angélica Lidell am Dienstag, 21. Mai, 19.30 Uhr im Großen Haus des Staatstheaters Wiesbaden. Karten im Vorverkauf an allen bekannten Stellen und hier. sensor präsentiert den Abend und verlost 5×2 Freikarten: Mail an losi@sensor-wiesbaden.de
(Dirk Fellinghauer, Fotos Bruno Simao., Simon Hegenberg)