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„Sie hat so viel Sonne ins Leben gebracht“: Ergreifend-schöner Abschied von Maria Magdalena Ludewig in Berlin

Von Dirk Fellinghauer (Text und Fotos).

Was für ein Leben. Was für ein Tod. Was für ein Abschied. Und was für eine einzigartige Person, was für eine unglaubliche Persönlichkeit. Hunderte Trauernde haben am letzten Samstag in Berlin Abschied genommen von Maria Magdalena Ludewig. Die Kuratorin und Theaterregisseurin war am Silvesternachmittag auf dramatische Weise tödlich verunglückt, von einer Welle auf Fuerteventura aus dem prallen Leben gerissen, mit gerade mal 36 Jahren. Hunderte haben am Samstag getrauert, sie haben aber auch diese besondere Frau und ihr besonderes Leben gefeiert. Es wurde geweint, aber auch gelächelt, geschmunzelt und gelacht. Der Abschied – zuerst eine Trauerfeier in der Kirche St. Elisabeth, dann ein Trauerzug durch die Straßen von Berlin Mitte, dann die Beisetzung  – war traurig, emotional, bewegend. Und wunderschön. Er hätte Maria Magdalena Ludewig gefallen – als große, spektakuläre „larger than life“-Inszenierung, für die, wie durch sie selbst regelmäßig in ihrem Leben, auch Unmögliches möglich gemacht wurde.

Der rundum mit bunten Blumen bestückte Sarg schwebte unter einem Blumenregen – eine ergreifend schöne Installation von Maria Magdalenas Bruder, der in London ein von ihm begründetes international erfolgreiches Architekturbüro leitet. Rechts und links davon entzündete jeder Trauergast eine Kerze für die Verstorbene. In der bis über den letzten Platz hinaus besetzten Kirche St. Elisabeth würdigten in mehreren Redebeiträgen familiäre, private und berufliche Weggefährten, darunter ihr Bruder, der Schauspieler Niklas Kohrt, der Künstler Rabih Mroué und Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard in sehr persönlichen, liebevollen und bei aller Trauer auch von Humor und Leichtigkeit getragenen Reden eine bemerkenswerte, wirklich einzigartige Persönlichkeit voller Facetten.

„Sie hat so viel Sonne ins Leben gebracht“, zitierte die Pastorin, die Patentante von Maria Magdalena Ludewig, die Mutter der Verstorbenen. Dass sie das Leben, beruflich wie privat, auch ordentlich aufwirbeln konnte mit ihrem Temperament, ihrer Entschlossenheit und Unbedingtheit, oft auch mit ihrer Radikalität, wurde ebenfalls gewürdigt. „Sie wollte das Leben ausloten“ wurde gesagt, oder „Sie hat sich den Dingen ausgesetzt“. Musikalisch umrahmt wurde die Feier von dem Solistenensemble Kaleidoskop – unter anderem mit Werken von Bach, dessen Musik Maria Magdalena Ludewig, die selbst Cello spielte, so sehr liebte.

Choräle von Bach begleiteten den Sarg aus der Kirche hinaus, der draußen von ganz anderen Klängen erwartet wurde. Die Brass Connection und die Berlin Pipe Company begleiteten den  imposanten Trauerzug unter der Berliner Wintersonne durch die Straßen von Berlin Mitte. Mit Polizeigeleit führte die Prozession zum Dorotheenstädtischen Friedhof. Hier wurde Maria Magdalena Ludewig, nun unter goldenem Konfettiregen, im Grab 1.1.4.-024 – „turn right at Brecht, turn left towards Jürgen Gosch, stop when you reach Inge Keller“ lautete die Wegbeschreibung auf dem Programm – beigesetzt.

Es bleiben unendlich viele Erinnerungen – in den Köpfen und Herzen derer, die Maria Magdalena Ludewig kannten und liebten. Und in dem Buch „This Is Not Maria Magdalena“.  Dieses wurde, mit einem Cover in Anlehnung an Maria Magdalena Ludewigs erste „Wiesbaden Biennale“ mit dem Motto „Bad News“, „in Eile erstellt“ und auf der Trauerfeier verteilt. Ein Buch voller Fotos aus dem viel kurzen, unendlich reichen Leben von Maria Magdalena Ludewig – aber auch mit einer eindrucksvollen Zusammenstellung ihrer künstlerischen Arbeiten, natürlich auch der zweifachen „Wiesbaden Biennale“.  Und mit einer Botschaft aus dem Bad ihrer Wohnung in der Greifswalder Straße, in der sie noch im Dezember einen „Houswarming & Wiesbaden Biennnale Afterglow“-Salon unter dem Motto „It´s done! Time to Celebrate!“ veranstaltet hatte:

„The Show must go on!“ … Auch wenn es schwer fällt: irgendwie schon.

Die Berauschende

Mit der „Wiesbaden Biennale“ hat diese einzigartige Frau unsere Stadt aufgemischt, geprägt und verändert. Der Verlust ist schwer zu begreifen. Ein persönlicher Abschied.

Worüber können Sie lachen? Über und mit den Wiesbadenern, die sich dauernd entschuldigen, weil sie glauben, sie wären so spießig, obwohl sie sich dauernd für die wildesten Abenteuer begeistern lassen. Diese Stadt ist wirklich eine dauernde Überraschung.“ (Maria Magdalene Ludewig im „10 Fragen“-Interview des Wiesbadener Kurier) 

Liebe Maria.

Ich erinnere mich noch an eure allererste Wiesbaden Biennale-Pressekonferenz – als du gemeinsam mit Martin Hammer zum ersten Mal erklärt hast, was ihr vorhabt in dieser Stadt, oder besser gesagt: als ihr versucht habt, es zu erklären. Eine altgediente Feuilleton-Redakteurin blickte mich am Ende der Pressekonferenz fragend an und meinte recht ratlos: Ja, was soll ich denn jetzt darüber schreiben? Ich musste schmunzeln und verließ diesen Termin beflügelt, fast schon berauscht, weil ich ahnte: Da kommt etwas Großes auf unsere Stadt zu, auf jeden Fall etwas Besonderes. Und es sollte groß, es sollte besonders werden, was du gemeinsam mit Martin dieser Stadt zweimal beschert hast – im Sommer 2016 und im Sommer 2018. Es wurden denkwürdige Sommer.

„Dank ihrer Biennale 2018 hatte ich nach meinem ersten Jahr als Wiesbadenerin erstmals das Gefühl, diese Stadt könnte vielleicht doch der richtige Ort für mich sein …“, kommentierte eine Verena unseren Bericht über die „Worst News“, dass du am Silvesternachmittag auf Fuerteventura tödlich verunglückt bist – „unexpectedly swept away by a wave“, wie es dein Bruder in der Einladung zur Trauerfeier formulierte. „Endlich war mal etwas Leben da. Das war großartig, ich bin sehr stolz auf meine Heimatstadt“, sagte vor ein paar Tagen die Besucherin einer Talkveranstaltung zum Rückblick auf die 2018er-Biennale, die nun unfassbarer Weise deine letzte gewesen sein wird. „Hey, es ist Biennale, Leute. Da ist alles möglich“, rief in einer dieser herrlichen Biennale-Sommernächte eine junge Freundin von mir. Sätze wie diese, Gefühle wie diese, hörte und spürte man plötzlich dauernd in unserer Stadt, wenn „Biennale“ war.

Jene, die sonst oft hadern mit dieser Stadt, in der so vieles nicht geht, schienen versöhnt, viele geradezu berauscht, weil plötzlich „alles“ geht.

Vom dem Moment, wo du in dieser Stadt aufgetaucht bist, war alles anders. Als ich dann kürzlich kurzentschlossen zu deiner Beerdigung nach Berlin fuhr, wurde mir, als ich den vielen so schönen Reden über dich lauschte, klar, warum das so war. Weil du anders warst! Und zwar schon „immer“. Du warst das Kind, die Tochter und Schwester, das anders war, du warst die Freundin, die besonders war, du warst die Studentin, die speziell war, du warst die Künstlerin, die einzigartig war. Du warst oft schonungslos, mit dir selbst, mit jenen, mit denen du gearbeitet hast, mit deinem Publikum. Du warst fordernd, mutig, radikal. Und frech.

Zwei Dinge habe ich oft über dich gesagt, wenn ich anderen von dir erzählt habe: „Sie geht aus keinem Gespräch raus, ohne bekommen zu haben, was sie wollte“. Und: „Sie ist der Mensch in unserer Stadt, der Eier hat“. Du hättest ja sagen können – „Scheiß drauf, ich mach in dieser Stadt hier meinen Job, der Rest ist mir egal.“ Aber Wiesbaden war dir nicht egal. Du hast hier Probleme gesehen, vor allem aber auch Chancen und Potenziale, und es hat dich wahnsinnig gemacht, wenn diese nicht ergriffen wurden. Du hast unsere so gerne vor sich hin dösende Stadt gefordert, herausgefordert, auch überfordert. Du hast in unserer Stadt und für unsere Stadt Unmögliches möglich gemacht.

„Sie wusste, was sie will, und sie hat sich genommen, was sie braucht“, wurde bei der Trauerfeier gesagt. So warst du, das habe ich auch erlebt – aber nicht als Ego-Trip, sondern der Sache, der Idee, der Projekte wegen. Und du hast nicht nur von anderen genommen, sondern auch und erst recht von dir selbst. „Sie hat sich den Dingen ausgesetzt“, wurde bei der Trauerfeier gesagt oder „Sie hat das Leben ausgelotet“. Du hattest so unendlich viele Facetten, und die schönste beschreibt natürlich ein Zitat deiner Mutter: „Sie hat so viel Sonne ins Leben gebracht“. Ja, du hast nicht nur genommen, du hast, mit großer menschlicher Wärme und Herzlichkeit, unendlich viel gegeben – persönlich, menschlich, beruflich, künstlerisch.

Du hast Sonne ins Leben gebracht, und du hast Leben nach Wiesbaden gebracht. Jeder, der die Biennale erlebt, genossen und geliebt hat, wird immer ein Stück deines Geistes in sich tragen – und hoffentlich auch weiterhin stark und entschlossen durch diese Stadt tragen. Die Stadt selbst sollte sich auch etwas einfallen lassen, um deinen Geist in der Stadt zu halten. Als ich nach der Biennale 2018 geäußert habe, du (mit Martin natürlich) solltest Ehrenbürgerin dieser Stadt werden, war das nicht so scherzhaft gemeint, wie es vielleicht klang. Ich traue unserer Stadt ehrlich gesagt nicht ernsthaft zu, einen solchen Schritt zu tun. Aber irgendwas Passendes, ein Platz, ein Preis, ein Denkmal, das deinem Wirken hier Rechnung trägt, sollte schon drin sein.

Danke für deine Arbeit. Danke für jede persönliche Begegnung. Danke für viel Sonne! Danke für viel Wirbel! Du fehlst schon jetzt.

Dirk