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Kreativ im Knast: Junge Gefangene rappen in der JVA – Beleidigungen sind in selbst gereimten Texten tabu

Von Hendrik Jung. Fotos Arne Landwehr.

Junge Männer hinter Gittern. Eher eine öde Sache. Kultur tut da besonders gut. Nun war erstmals gemeinsames Rappen angesagt.

„Du bist schwanger, ich im Schock. Gott, wie soll das funktionieren? 1.000 Fragen in meinem Kopf. Hoff, dass er nicht explodiert“. Der Lichtkegel in der Werft in der JVA Wiesbaden ist auf den Insassen fokussiert, der hier gerade unter dem Künstlernamen Bambino seine Generalprobe absolviert. Einmal pro Woche hat er in den Monaten zuvor an seiner Performance und seinem Text gearbeitet, in dem er in knackigen Reimen davon berichtet, was ihm um 4.30 Uhr in der Nacht so alles durch den Kopf geht.

In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Wiesbaden sind in der Regel junge Männer im Alter von 18 bis 24 Jahren inhaftiert. Zu den Maßnahmen, mit denen ihnen die Wiedereingliederung in die Gesellschaft im Anschluss erleichtert werden soll, gehören auch kulturelle Angebote. Theater zum Beispiel oder Film. Ein neues Angebot dreht sich um Rap. Das Motto: „Hip Hop Mal Anders“.

Ins Herz getroffen? Nur begleitet!

„Hab versprochen, wenn er da ist, gibt es keine anderen Frauen. Ich lass es sein, doch war zu schwach, für uns drei ein Haus zu bauen“, heißt es weiter. Ein komplexer Flow, der bei der Generalprobe dazu führt, dass der junge Wortkünstler zwischenzeitlich auch mal leicht aus dem Takt kommt. „Weißt Du, was das Stärkste gewesen ist? Dass Du wieder reingekommen bist!“, lobt Niklas Kleber. Der Wiesbadener Musikproduzent führt gemeinsam mit dem Frankfurter Musiker Chima Onyele erstmals in der JVA Wiesbaden das Projekt durch. „Ihr habt uns am Herz getroffen“, offenbart Bambino. Das sieht der Produzent anders. „Dann hast du dich selbst getroffen. Wir haben dich nur begleitet“, verdeutlicht Niklas Kleber.

„Gangsterrap“ ohne Beleidigungen

Was den Hip Hop „anders“ macht, der in diesem Projekt entsteht, ist die Wahl der Worte. Die sechs Teilnehmer müssen in ihren Texten komplett auf die im Gangsterrap so inflationär genutzten Beleidigungen verzichten. „Ich habe gelernt, dass man das nicht braucht, um was auf die Beine zu stellen“, stellt der Teilnehmer mit dem Künstlernamen Chevo fest. Rap-Texte habe er auch vorher schon geschrieben. Nun sei es ihm zwar schwerer gefallen, Reime zu finden, sagt der 20-Jährige. Aber er habe in dem Projekt gelernt, niemals aufzugeben und so habe es schließlich trotzdem funktioniert mit dem Flow. „Meine Hände sind zum Texte schreiben gemacht. Ich will alles tun, damit ich draußen damit weiter machen kann“, verdeutlicht Chevo.

Gleich drei Lieder habe er mit Niklas Kleber in der Werft – so heißt die 2008 gestartete Kulturbühne in der JVA – aufnehmen können. Für das Abschlusskonzert innerhalb der Gefängnismauern ist die Wahl auf jenes über seine Ex-Freundin gefallen. „Wieso tut es nur so weh? Bitte bleib doch! Bitte geh!“, heißt es darin. „Er ist ein unheimlich fleißiger Mann, der mich mit Texten zugeworfen hat“, erzählt Chima Onyele, der als Musiker unter seinem Vornamen bekannt ist und auch dem bekannten Projekt Brothers Keepers angehörte.

Zentrales Thema: Fehlende Vaterfigur

Im Austausch mit den Projektteilnehmern sei er immer wieder auf ähnliche Themen gestoßen, vor allem auf eine fehlende Vaterfigur und dadurch eine mangelnde Orientierung. Dies beschäftige besonders die jungen Männer, die aus einer Kultur stammen, in denen der Mann traditionell die Leitfigur darstellt. „Das war für mich sehr bereichernd in Bezug auf meine beiden Söhne. Jetzt weiß ich, welche Funktion ich in ihrem Leben habe“, berichtet Chima Onyele.

Den gemeinsam entwickelten Texten ist deutlich anzumerken, dass auch die Teilnehmer viel aus dem Projekt mitnehmen. „Ich habe darüber geschrieben, dass ich kurz vor dem Drogensumpf war, aber wieder herausgekommen bin. Dass Geld nicht alles ist und Familie die Nummer eins“, berichtet der Teilnehmer, der sich B3nziehn nennt. Seit er klein ist, höre er Rapmusik. Es sei zwar eine große Herausforderung, eigene Texte zu schreiben, aber auch ein schönes Gefühl.

Fast alle Gefangenen hören Hip Hop

„90 Prozent der Gefangenen hört Hip Hop. Rock ist verschwindend gering vertreten. Ich könnte das hier im Schichtbetrieb machen“, erläutert Niklas Kleber. Ein Teilnehmer wäre jedoch ohne das Projekt nie auf den Gedanken gekommen, einen Songtext zu verfassen. „Ich habe ihn für meinen Sohn geschrieben“, sagt Sapphire. Mit diesem Künstlernamen hat er im vergangenen Jahr auch schon bei einem Animationsfilmprojekt des ebenfalls in der JVA aktiven Wiesbadener Vereins Freie Künste teilgenommen, das im auditiven Bereich ebenfalls von Niklas Kleber begleitet worden ist. Bereits bei der Erarbeitung der Geschichte, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz in Bilder umgesetzt worden ist, hat sein Sohn eine Rolle gespielt. Im Liedtext kommt das jedoch viel unmittelbarer zum Ausdruck. „Mein Geist ist erfüllt von deinem Wesen. Sag, kannst du schon lesen?“, will der 23-jährige darin wissen.

Outdoor-Ausstellung in JVA geplant

Nachdem die jüngsten Filmprojekte dabei geholfen haben, bereits in der abklingenden Pandemie Kulturprojekte in der JVA Wiesbaden durchzuführen, sollen in diesem Jahr auch andere Genres zum Einsatz kommen. So habe der Wiesbadener Verein Freie Künste eine Ausstellung zum Thema Verschwörungstheorien in Vorbereitung. „Die 16 Teilnehmer des Ausstellungsprojekts sollen dann auch durch die Ausstellung führen“, verrät Marie Fromme. Es sei angedacht, dass Objekte aus Materialien wie Stein oder Metall entstehen, die dann auf dem Außengelände der JVA Wiesbaden gezeigt werden könnten.

Auch das traditionelle Theaterprojekt, nach dem das Werft-Gebäude seinen Namen erhalten hat, soll in diesem Jahr wieder in größerem Umfang aufgenommen werden. Ob es auch mal wieder ein Livekonzert hinter Gittern zu erleben geben wird, steht allerdings noch nicht fest. „Das steht und fällt natürlich auch mit der Frage der Sicherheitssituation in der Anstalt. Wie viele Gefangene können wir in einem großen Raum zusammen kommen lassen für ein Konzert?“, erklärt Michaela Wasemüller, die Leiterin der JVA Wiesbaden.

Alternativen zum Chillen

Grundsätzlich halte man es für sinnvoll, den Inhaftierten Alternativen zum Chillen anzubieten. Dazu gehöre Sport genauso wie Lesen oder Instrumentalunterricht. Aber man versuche auch am Puls der Zeit zu sein und den jungen Männern interessante Angebote wie das Rap-Projekt zu machen. „Das ist ein Puzzleteil im Gesamtkontext. An den jeweiligen Maßnahmen kann nur ein Bruchteil teilnehmen und davon profitieren“, betont Michaela Wasemüller. Aber es beeindrucke sie oftmals sehr, wenn die Gefangenen sich im Rahmen eines solchen Projekts öffneten und Facetten ihrer Persönlichkeit Preis geben würden, die sonst verborgen blieben.