Von Titus Grab. Fotos Samira Schulz.
„Liebe Luise! Ein Jahr nach Ihrem Tod legt Ihr Mann 1826 den Bauplatz am Rande der damaligen Innenstadt fest. Ein `Bürgerplatz´ soll er werden, `Ihr´ Platz – im Unterschied zu den vor allem von Kurgästen bevölkerten anderen Plätzen. …
1828 bis 1830 wird gebaut. 1843 ist die überwiegend bis heute erhaltene Bebauung fertiggestellt. Trotz intensiver Bemühungen konnte ich über Sie als Person nicht viel in Erfahrung bringen: Sie waren 1794 als Luise Friederike Amalie Alexandrine von Sachsen-Hildburghausen geboren, heirateten 19-jährig in Weilburg Wilhelm von Nassau – nach dem unsere `Rue´ benannt ist – und verstarben bei der Geburt ihres achten Kindes 31-jährig in Biebrich, vermutlich im Schloss.“
Nassauischer geht es kaum
Buchhändler und Verleger H.-G. Seyfried, geboren 1923 und jahrzehntelang an der Ecke zur Rheinstraße – in den Räumen des heutigen Restaurants „Mathilda“ – ansässig, spricht vom „nassauischsten aller Plätze“ in Wiesbaden. Er ist mit circa 65 x 130 Metern großzügig bemessen. Nach Unterkellerung durch eine doppelstöckige Tiefgarage stellt sich die Platzfläche seit 1985 so dar: Die Bushaltestelle mit zwei symmetrisch platzierten Pavillonbauten an der Luisenstraße wird in West-Ost-Richtung von 18 (!) Buslinien angefahren. Auch findet sich hier aktuell ein Dixiklo, initiiert von einer Privatperson.
Es schließt sich eine quadratische Freifläche in voller Platzbreite mit acht Bänken ringsum verteilt an, belegt mit Betonplatten und gerahmt von Hecken. Ein mittleres Feld folgt.
Hier steht der erstmals 1865 errichtete Obelisk „zum Gedächtnisse der in der Schlacht bei Waterloo gefallenen Nassauer“, – am Kampf gegen Napoleon I war Nassau beteiligt gewesen. Die dritte große Fläche hin zur Rheinstraße wird eingenommen von einem bepflanzten Rondell mit 20 Metern Durchmesser, wieder gerahmt von Hecken und Bänken. Seitlich versetzt erhebt sich ein Monument, das ein sich aufbäumendes Pferd auf massivem Sockel in übernatürlicher Größe zeigt. Es verdient nähere Betrachtung.
Ein Ross für Vaterlands-Getreue
Geschaffen wurde es von Prof. Paul Schemel, initiiert von Studienrat Hermann Kaiser zur Würdigung der Kämpfe des „1. Nassauischen Feldartillerie- Regiments“ im Ersten Weltkrieg, in dem Kaiser selbst gedient hatte. Ich lese die Sockel-Inschrift „Dem Vaterland getreue bis in Tod“!
Ich blicke zurück über den Platz und zur Bonifatiuskirche, deren Westturm aktuell als erster von weiteren nachfolgenden Gebäudeabschnitten unter anderem zur Beseitigung von Kriegsfolgeschäden fast komplett eingerüstet ist (die Sanierung wird einige Jahre in Anspruch nehmen).
Gestapo-Folterkeller
Auch zeitlich nochmals ein Blick zurück: Im Sommer 1933 beschlagnahmen „Reichsarbeitsdienst“ und „Reichsluftschutzstelle“ die Eckhäuser des Platzes zur Kirche hin und foltert die „Geheime Staatspolizei“ hier politische Gegner:innen (im heutigen Bau des Kultusministeriums). Kurz darauf wird 1934 das „steigende Ross der Oranier“ enthüllt. Auch dient der Platz ab 1939 als Sammelstelle für zwangs-eingezogene Privat-PKW, die dort auf ihre „Kriegsverwendungstauglichkeit“ hin begutachtet werden.
1944 nimmt der Initiator des Denkmals, an dem ich immer noch stehe, – ins Zweifeln geraten – Kontakt mit der Widerstandsgruppe um Goerdeler auf. Er wird ertappt und bezahlt 1945 in der Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee hierfür mit seinem Leben, wie eine unscheinbare Zusatztafel hier mitteilt.
Urin, Erbrochenes, verwesende Tauben
Nun schlendere ich zurück über den Platz und betrachte Details, kurz abgelenkt von einem außerirdisch wirkenden Mann: komplett wasserdicht gekleidet und mit einem besonders starken Wasser-Hochdruckreiniger ausgerüstet, erscheint er nacheinander in den stark bröckelnden und besprühten Tiefgaragenzugängen und reinigt diese lautstark von Urin und Erbrochenem.
Im Blumenrondell verwesen Tauben in Rosendornen. Üppige Grasbüschel und Brennesseln bestimmen dessen Bild. Ich gehe weiter: Serien von Rattenlöchern tun sich auf zwischen den überwiegend sterbenden Heckenpflanzen, von denen die Hälfte bereits fehlt. Wenige Menschen halten sich auf den Bänken auf.
Fazit: Aufenthaltsqualität: gegen Null / Raumgefühl: gestrandet im Siff / Optik: aus der Ferne beeindruckend, aus der Nähe extrem blamabel / Besonderheit: „Liebe Luise! Seien Sie froh, dass Sie „Ihren“ Platz nicht kennen!
Schon seit vielen Jahren kenne ich den Platz, auch war ich gelegentlich in der Buchhandlung,
als es sie noch gab….. Da viel zu wenig „Pflege“ stattfindet, verliert er immer mehr an Attraktivität, aber man kann immerhin zu Fuß entlanggehen, ohne vom Autoverkehr zu sehr gestört zu werden.
(früher war die Adolfsallee eine „Fortsetzung“, aber dort gibt es auch leider auch mehr „Störungen“).
Daß der Blick auf die Kirche schon länger – und weiter – von Gerüsten beinträchtigt wird, ist sehr bedauerlich, aber besser als „Abriss“!