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Mit HIV auf den Kilimandscharo – sensor-Interview zum Welt-Aids-Tag: „Sport half mir, den Schalter umzulegen“

AlexandraFrings

 

Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: www.alex-blogs-berg.de

Heute ist Welt-Aids-Tag. Obwohl die in den 1980-er Jahren erstmals aufgetauchte Krankheit längst gut behandelbar ist und bei alltäglichen Begegnungen mit HIV-Infizierten niemand eine Ansteckung befürchten muss, erleben Betroffene auch bei uns Vorbehalte, Ausgrenzung und Stigmatisierung. Vorurteile und Unwissen halten sich hartnäckig. Dank moderner Medikamente können Infizierte bei frühzeitiger und konsequenter Therapie ein in der Regel beschwerdefreies Leben führen und sind auch selbstverständlich zu Höchstleistungen fähig – buchstäblich, wie zum Beispiel Alexandra Frings zeigt. Die 41-jährige HIV-positive Mutter eines 18-jährigen Sohnes, die vor über zehn Jahren von ihrem damaligen Ehemann mit dem Virus angesteckt wurde, will in dieser Woche aufbrechen, um den Kilimandscharo zu besteigen. Im sensor-Interview erzählt sie, was sie vorhat und was dieses Vorhaben mit ihrem Engagement gegen die Stigmatisierung von HIV-Infizierten zu tun hat.

Sie haben Großes vor. Was denn genau?

Ich mache mich an diesem Freitag auf den Weg nach Tansania und möchte den Gipfel des Kilimandscharo erklimmen, zusammen mit einer reinen Frauengruppe. Die Ausgangsidee ist, dass auch die Bewältigung einer HIV-Infektion – speziell auch für Frauen – wie ein Berg sein kann. Die Besteigung des Kilimandscharo soll sinnbildlich aufzeigen, dass man sich auf den Weg machen muss, um ein Ziel zu erreichen. Und selbst wenn man das große Ziel am Ende nicht erreicht, hat sich der Weg gelohnt, weil jeder einzelne Schritt wichtig ist.

Wie lange soll der Trip dauern?

Insgesamt sind wir zehn Tage unterwegs, die Besteigung dauert fünf Tage. Wir werden auf dem Berg zelten. Ich bin die einzige Teilnehmerin mit einer HIV-Infektion.

Wie wirkt sich Ihre Erkrankung auf das Vorhaben aus? 

Eigentlich gar nicht. Mein Trainingsplan ist der gleiche wie der der anderen Frauen. Wir mussten nur meine HIV-Therapie umstellen, um Wechselwirkungen mit der Malariaprophylaxe zu vermeiden. Meine HIV-Therapie besteht darin, drei Tabletten täglich zu nehmen. Während meiner Reise werden das nun andere sein.

Wie kamen Sie darauf, das Thema HIV mit Sport zu verbinden?

Ich hatte vor einigen Jahren in der Praxis meines Arztes einen Flyer entdeckt, wo HIV-Infizierte als Teilnehmer für ein Marathonprojekt gesucht wurden. Da habe ich mich gemeldet und bin dann auch den Marathon gelaufen. Ich habe gemerkt, dass der Sport mir viel gibt für mein Selbstbewusstsein, es ist für mich wie eine Psychohygiene und wirkt sich auch positiv auf mein Immunsystem aus. Viele denken ja immer, HIV-Infizierte müssten sich schonen und dürften sich nicht anstrengen oder Sport machen. Das Gegenteil ist der Fall. Sport tut gut. Ich habe auch eine eigene Sportgruppe für HIV-infizierte Frauen gegründet.  Es geht mir nicht nur um die Stigmatisierung durch andere, sondern auch der Betroffenen durch sich selbst.

Sie sind Botschafterin der Kampagne „Sportler gegen Stigma“ des Wiesbadener Pharmaunternehmens AbbVie. Ist Sport allgemein ein gutes Feld, um gegen Stigmatisierung zu kämpfen?

Im Sport ist HIV immer noch ein absolutes Tabuthema. Ich kenne niemandem aus meinem Umfeld, der beim Sport sagen würde, dass er HIV-positiv ist. Vielen ist immer noch nicht klar, wie man sich überhaupt anstecken kann.

Es gibt wirklich noch so starke Vorbehalte? Ist es nicht längst allgemein bekannt, dass die Krankheit sich gut behandeln lässt und sich im „Alltag“ eigentlich niemand vor einer Ansteckung fürchten muss? 

30 Jahre nach dem Auftauchen der Krankheit ist es leider immer noch so, dass viele nicht Bescheid wissen. Mit Sport kann man aber Informationen und Botschaften gut transportieren. Schließlich steht Sport für Respekt und Fairness.

Wie sind Ihre Erfahrungen? Lohnen sich die Bemühungen, aufzuklären?

Auf jeden Fall. Wo man Gelegenheit zum persönlichen Gespräch hat, bestehen Chancen, einen Veränderungsprozess einzuleiten.

Wie hat sich ihr eigener Umgang mit ihrer Erkrankung verändert von der Diagnose bis heute?

Ich habe natürlich unterschiedliche Phasen gehabt. Am Anfang gab es das Gefühl, ich wäre weniger wert, würde keinen Partner mehr finden und so etwas. Ich habe auch lange Angst gehabt, meinem Sohn von meiner Infektion zu erzählen. Der Sport hat mir positive Energie gegeben und auch Mut gemacht. Ich konnte da plötzlich einen Schalter umlegen. Vorher konnte ich nicht offen leben. Das war auch ein Kreislauf. Ich musste dauern überlegen, wem habe ich es gesagt, wem nicht. Irgendwann war mir klar: So will ich nicht leben. Der Sport hat mir dabei geholfen.

Zurück zu Ihrem anstehenden Vorhaben: Wie haben die anderen Frauen darauf reagiert, dass Sie HIV positiv sind?

Im Sommer gab es ein Kennenlerntreffen. Da mussten wir auch alle eine spezielle Mutprobe machen zum Thema, wie man Ängste überwindet. Die Frauen haben total positiv reagiert, als ich von meiner HIV-Infektion erzählte. Sie waren neugierig, haben nachgefragt und fanden es richtig gut, wie ich Ihnen meine Beweggründe für die Teilnahme an der Expedition geschildert habe.

Wie finanzieren Sie die Reise? 

Dankenswerter Weise wird die  Firma AbbVie als Initiator der Kampagne „Sportler gegen Stigma“, die ich als Botschafter unterstütze, die Kosten weitgehend übernehmen.

Sie haben einen Blog gestartet. Werden Sie auch von unterwegs berichten? 

Es kommt darauf an, bis zu welcher Höhe es Internet geben wird. Aber spätestens wenn wir wieder unten sind, werde ich sofort berichten.

Haben Sie auch die Möglichkeit des Scheiterns eingeplant?

Ja! Mir ist schon klar, in welche Höhen es da geht. Und auch die Höhenkrankheit ist da eine Möglichkeit. Aber jede Etappe, die man geschafft hat, ist ein Gewinn. Wichtig ist es, sich auf den Weg zu machen.

Welches ist der „Berg“, Ihr großes persönliches Ziel, wenn es um das Thema HIV und Aids geht?

Ich möchte, dass eine größere Offenheit für das Thema erreicht wird, möchte schaffen, dass die Menschen sich mit dem Thema auseinandersetzen und die positiven Aspekte sehen. Ein gesellschaftliches Umdenken ist mein Ziel.

Auf dem Weg dahin arbeiten Sie für die Aids-Hilfe und betreiben Aufklärung, zum Beispiel an Schulen. Gehen Schüler offener mit dem Thema um als Erwachsene?

Schulklassen wissen gar nichts über das Thema. Sie können sich gar nicht erklären, warum Menschen wie ich diskriminiert werden, weil sie die Achtziger Jahre nicht miterlebt haben. Sie sind total interessiert und unheimlich dankbar, etwas darüber zu erfahren.

Marathon, Kilimandscharo-Besteigung – und dann? Haben Sie schon das nächste große Projekt im Sinn?

Eine konkrete nächste Idee habe ich noch nicht. Aber es gibt noch viel zu tun, es ist noch ein langer Prozess. Stigmatisierungen sind ja auch etwas Natürliches. Der Mensch braucht Schubladen. Aber manchmal lohnt es sich, die eigenen Schubladen ein wenig aufzuräumen. Ich bleibe am Ball!

www.alex-blogs-berg.dewww.sportler-gegen-stigma.de

Die Aids-Hilfe Wiesbaden ist heute mit einem Infostand auf dem Mauritiusplatz präsent und veranstaltet am 13. Dezember die große Ballnacht im Kurhaus. Im Rathaus hängt bis zum 5. Dezember der Quilt, der an die Wiesbadener erinnert, die an Aids verstorben sind.