Direkt zum Inhalt wechseln
|

Nie wieder! Wiesbaden gedenkt aller Opfer des NS-Regimes – heute am Holocaust-Gedenktag und jederzeit

Von Dirk Fellinghauer. Fotos Schlachthof.

„Bis 1933 lebten in Wiesbaden über 3.000 Menschen jüdischen Glaubens bzw. jüdischer Herkunft“, ist auf der offiziellen Seite der Stadt Wiesbaden zu lesen, und: „Beim Einmarsch der Amerikaner im Frühjahr 1945 befanden sich nur noch zirka 20 Menschen jüdischer Herkunft in Wiesbaden.“ Genau an jenem Ort, von dem aus während der NS-Gewaltherrschaft  Wiesbadener Jüdinnen und Juden deportiert worden sind, haben Künstler eine beeindruckende  Form der Erinnerung an jenes Verbrechen geschaffen. „Am heutigen Tag wollen wir das Mahnmal an den Bahngleisen hinter unserer Halle ins Bewusstsein rufen“, schreibt das Kulturzentrum Schlachthof. Der 27. Januar, der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 75 Jahren, wird seit 1996 als nationaler und internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus begangen. Wiesbaden gedenkt aller Opfer des NS-Regimes mit zahlreichen Kulturveranstaltungen. Im Mittelpunkt der heutigen zentralen Gedenkveranstaltung steht  die Erinnerung an die Shoah.

Entlang der früheren Viehverladerampe des einstigen Städtischen Schlachthofs befindet sich das mehrteilige Gedenk-Ensemble, parallel zu den Bahngleisen, im heutigen Kulturpark unmittelbar angrenzend an das Kulturzentrum Schlachthof sowie unweit von Deutschem Filmhaus und Kreativfabrik. „Es steht dort zum Gedenken an die Wiesbadener Juden, die von der ehemaligen Schlachthof Vieh-Verlade-Rampe in mehreren Deportationen in die Vernichtungslager transportiert wurden“, erläutern die Schlachthof-Macher*innen und erklären: „Auschwitz darf niemals wieder passieren! Das Gedenken an die Opfer des Holocaust und die Mahnung an die unfassbaren Verbrechen der Nazis darf niemals aufhören, denn sonst würde auch in Vergessenheit geraten, was passieren kann, wenn die Zivilgesellschaft es zulässt, dass verbrecherische Ideologen eine Demokratie abschaffen und eine Diktatur an ihrer Stelle installieren können. Nie wieder Faschismus! Rechtsradikalen darf niemals wieder Gestaltungshoheit und Macht gegeben werden!“
„Form der Erinnerung, die weltweit verstanden wird“
„Im Fokus des Mahnmals stehen zwei fotorealistische Darstellungen, die vom hiesigen Sprüh-Künstler Yorkar7 seit dem Jahr 2007 auf einem Mauerrest eines ansonsten niedergelegten Gebäudes der früheren Firma Fauth aufgetragen worden sind“, ist auf www.wiesbaden.de über das Werk zu lesen: „Sie basieren auf Aufnahmen einer historischen Fotoserie, die Zeugnis ablegt von der letzten großen Wiesbadener Deportation am 1. September 1942. Die allein an jenem Tag aus unserer Stadt vertriebenen etwa 370 zumeist älteren Mitglieder der Jüdischen Gemeinde hatten sich schon am 29. August im Synagogengebäude an der Friedrichstraße einfinden und registrieren lassen müssen.“ Das gen Norden gerichtete großflächige Deportationsbild, das auch aus der Ferne und von Bahnreisenden gut wahrgenommen werden kann,  zeigt eine Gruppe von Menschen beim Besteigen der Waggons, mit denen sie über Frankfurt am Main zunächst in das Konzentrationslager Theresienstadt verbracht worden sind. Das Wichtigste  sei die von der Darstellung ausgehende „eindeutige Message“, dergleichen „niemals mehr zuzulassen“, hat der Graffiti-Künstler festgestellt. Es handele sich um eine „Form der Erinnerung, die weltweit verstanden wird“.
Zitate aus Abschiedsbriefen

„Seit 2010 werden die Bilddokumente ergänzt durch eine vom Frankfurter Multimediakünstler Vollrad Kutscher konzipierte, direkt auf das Deportations-Graffito zulaufende Kastanienallee“, ist auf wiesbaden.de zu lesen: „Auf den vier Seiten der Pflanzschalen, welche auch als Sitzgelegenheiten dienen können, sind Textfragmente eingelassen, meist Abschiedsbriefen damals Deportierter entnommen. Für jedes Zitat wurden von einigen jüngeren Wiesbadener Sprayern zusammen mit Kutscher und Yorkar7 völlig neue, jeweils unterschiedliche Schriftzüge entwickelt.“  Nicole Friedrich gestaltete eine Informations-Stele mit knappen historischen Informationen zur von den NS-Rassisten systematisch betriebenen Verfolgung und Ermordung der Juden als auch zu den Wiesbadener Deportationen.

Vielfältiges Gedenken und Mahnen

Unübersehbar hängt am Schlachthof auch ein zu den Bahngleisen gerichtetes Transparent mit dem großflächigen Adorno-Zitat „Dass Auschwitz nicht noch einmal sei“.  Im hessischen Landtag wird heute bei einer zentralen Gedenkveranstaltung der Opfer des Nationalsozialismus in Hessen gedacht.

Bei der zentralen Gedenkveranstaltung der Landeshauptstadt Wiesbaden heute um 18 Uhr im Stadtverordnetensitzungssaal des Rathauses spricht  der renommierte Historiker und Journalist Prof. Dr. Götz Aly . Er wird darlegen, dass der Nationalsozialismus kein allein von Eliten getragenes System war, sondern breite Zustimmung in allen Bevölkerungsschichten fand. Dabei wird er auch auf die Situation in Wiesbaden eingehen. Außerdem wird Aly zeigen, wie sich Antisemitismus und Judenfeindschaft in ganz Europa verbreiteten und die daraus resultierende Diskriminierung und Pogrome den Deutschen den Weg für Deportationen und Völkermord ebneten. Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende wird ein Grußwort sprechen. Im Anschluss zeigt die Caligari Filmbühne den Film „Drei Söhne – Jetzt kommt es auf die zweite Generation an“. Der Konzertpianist Samuel Cho eröffnet den Film mit einer Sonatine des in Auschwitz ermordeten Komponisten Szymon Laks.

Der 27. Januar wird als Gedenktag mit einer gemeinsam von Kulturamt und zahlreichen Akteuren in Wiesbaden getragenen historisch-politischen Veranstaltungsreihe begangen. Schon seit einigen Tagen und noch bis in den Februar hinein fanden und finden unterschiedliche Veranstaltungen statt, die hier aufgeführt sind.

In Wiesbaden gibt es verschiedene Orte des Gedenkens an die NS-Opfer. Sie sind hier aufgeführt und erläutert.