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So wohnt Wiesbaden: WG? Gekauft! Sieben Menschen, eine Katze, ein Haus, ein Ziel bei den „Blüchis“ in Kastel

Von Hendrik Jung. Fotos Nele Prinz.  

Ein Haus in Kastel soll veräußert werden. Die seit vielen Jahren darin lebende Wohngemeinschaft trifft eine weitreichende Entscheidung.

Es ist ein besonderes Gebäude in der Blücherstraße 7 in Mainz-Kastel. Die Grundmauern, in denen ein Gewölbe zum Partykeller umgebaut worden ist, sind reichlich alt. Die oberen Stockwerke sind im zweiten Weltkrieg verloren gegangen und in der Nachkriegszeit erneuert worden. Dass man sich in einem WG-Haus befindet, macht schon der Charakter des Treppenhauses deutlich. Auf einem Treppenabsatz befindet sich ein Bücherschrank, ganz oben steht ein Kühlschrank. Hier befindet sich auch das gemeinsame Wohnzimmer und die große Küche, die sich sieben Menschen und Katze Lotta teilen. In den unteren beiden Etagen sind aus den ehemaligen Küchenräumen weitere WG-Zimmer entstanden, damit auf rund 190 m² Fläche überhaupt so viele Bewohner einen eigenen Raum haben können

Krasse Unterstützung

Damit das so bleibt, haben die Bewohner das „Blüchi“-Haus im Herbst 2022 gekauft. Nachdem sie im Sommer erfahren hatten, dass die Vermieter es veräußern wollen, begann für die WG-Mitglieder eine aufregende Zeit. „Es ist krass, dass wir es in so kurzer Zeit geschafft haben und so viele Leute uns unterstützen“, erzählt die 35-jährige Sarah. Immerhin 600.000 Euro haben sie von 35 Direktkreditgebern erhalten.

Der Bankkredit, der im Laufe von zwanzig Jahren zu tilgen ist, beläuft sich dank der Unterstützung auf 250.000 Euro. „In der Zeit werden wir wahrscheinlich die ganze Summe an Direktkrediten noch mal einwerben müssen“, betont der 37-jährige Pierre. Schließlich können die privaten Kreditgeber, die aus dem direkten Umfeld der Bewohner stammen, nicht Jahrzehnte lang auf ihr Geld verzichten.

Völlig neue Herausforderungen

Die Zeit des Fundraisings ist also noch nicht vorbei. Überhaupt haben sich die WG-internen Aufgaben durch den Hauskauf deutlich erweitert. So gibt es jetzt Arbeitsgruppen für Finanzen, Öffentlichkeitsarbeit oder Instandhaltung. „Über Reparaturen haben wir uns früher keine Gedanken gemacht, oder wir haben die Vermieter angerufen“, erläutert Sarah. Während das Werkeln in Haus und Garten in der WG aber bereits eine gewisse Tradition hat, fallen im Bereich der eigens gegründeten GmbH, die die Immobilie besitzt, ganz neue Aufgaben an. „Es ist schon auch eine Herausforderung, wenn man plötzlich mit doppelter Buchführung umgehen muss“, berichtet Pierre.

Wenn er nicht die Gelegenheit gehabt hätte, beim Mietshäuser Syndikat – eine deutschlandweit tätige Beratungs- und Beteiligungsgesellschaft für selbstorganisierte Hausprojekte – einen Workshop in diesem Bereich zu absolvieren, hätte er sich an anderer Stelle externe Hilfe organisieren müssen. Die gesamte Konstruktion ist von vorne herein so aufgebaut, dass das Syndikat eines Tages als zweiter Gesellschafter einsteigt und dann knapp die Hälfte des Stammkapitals der GmbH – insgesamt 25.000 Euro – einzahlt. Ob es dazu kommt, steht noch nicht fest, denn bislang läuft die Bewerbung erst.

Haus dauerhaft Immobilienmarkt entziehen

„Es geht darum, das Haus dauerhaft dem Immobilienmarkt als Spekulationsobjekt zu entziehen. Es kann ja sein, dass hier in zehn Jahren ganz andere Leute leben und das Haus vielleicht verkaufen wollen“, erklärt Pierre. Gegen eine solche Entscheidung soll dann das Syndikat sein Veto einlegen. Nicht umsonst hat dieses bei der Bewerbung einen Finanzierungsplan vorgelegt bekommen. In diesem musste dargelegt werden, wie die Mieten im Haus dauerhaft auf einem sozial verträglichen Niveau gehalten werden können.

„Es war gut, dass das Haus schon da gewesen ist und nicht erst gesucht werden musste“, findet die 27-jährige Maike. Sie ist als bislang letzte Bewohnerin hier eingezogen und wusste im Oktober vergangenen Jahres bereits, worauf sie sich einlässt. „Man muss Zeit investieren, um so eine Sache voranzubringen, aber es ist gut, sich aktiv zu beteiligen in so einer Wohngemeinschaft“, ergänzt sie. Wenn sich die Selbstverwaltung stabilisiert hat, könnte dies auch bei Ausbau und Isolierung des Dachbodens erfolgen. Dann könnte das Wohnzimmer dorthin verlagert werden und der bislang als solches genutzte Raum einem weiteren Mitbewohner zur Verfügung gestellt werden.

Weitere Infos unter kb07wohnprojekt.org