Heute feiert Udo Jürgens, der am 30. September 1934 in Wiesbadens Partnerstadt Klagenfurt geboren wurde, seinen 80. Geburtstag. sensor-Chefredakteur Dirk Fellinghauer gratuliert ganz persönlich.
1980 fing das an, mit Udo und mir. Ich war 11, und meine Oma nahm mich mit: Udo Jürgens in der Rhein-Main-Halle (damals noch Singular). Ich erinnere mich an feierliche Stimmung, Frauen in feinen Roben, vielleicht einen Hauch zu dick aufgetragenes Parfüm. Und an eine Show, die mich von Anfang bis Ende packte und faszinierte. So etwas hatte ich noch nie gesehen. So etwas wollte (und sollte) ich immer wieder sehen. Von da an hatten Oma und ich einen Pakt: Wenn Udo in der Stadt ist, gehen wir da hin.
Fortan drückte ich mich regelmäßig an der großen Anzeigewand der Rhein-Main-Halle rum, auf der Veranstaltungen per Schiebetafel angekündigt wurden (dieses anachronistische Verlautbarungsmedium überlebte erstaunlicherweise all die vielen Jahre bis zum jetzt begonnenen Abriss der Halle und diente mir bis zuletzt als sentimentales Erinnerungsrelikt daran, wie das anfing mit Udo und mir). Es waren Festtage, wenn es endlich wieder soweit war und auf der Tafel stand: Udo Jürgens. „Oma, Oma, Udo kommt wieder!“. Oma kaufte Karten, wir waren verabredet. Bis zum Konzerttag verging immer noch eine sehr lange Zeit, denn Udo kündigte – damals wie heute – seine Konzerte Monate im Voraus an , und sie waren Monate im Voraus ausverkauft. Damals wie heute war auch die Vorfreude eine schöne Freude.
Oma schenkte mir beim Konzert immer das opulente Programmheft im Format eines Schallplattencovers, mit tollen Fotos und den jeweils aktuellen Liedtexten. Auf der ersten Seite stand eine endlos lange Liste von Liedern und der Hinweis „Udo Jürgens wählt heute sein Programm aus folgendem Repertoire“. „Was heißt Repertoire?“ fragte ich meine Oma, nicht ahnend, dass Repertoire bei Udo Jürgens etwas ganz anderes, so viel mehr heißt als bei den meisten seiner Kollegen. Repertoire, das heißt bei Udo Jürgens nicht nur eine unfassbare Masse (um die 1000 Lieder hat er bis heute geschrieben), sondern vor allem eine unschlagbare Klasse. Aber was ist es denn nun, was Udo Jürgens so einzigartig macht?
Es ist das Gesamtphänomen Udo, das begeistert und berauscht
Es war von Anfang das Gesamtphänomen, das mich begeisterte und berauschte: Er selbst, sein Auftreten, die Musik, der (anfangs weiße, dann gläserne, seit einigen Jahren wieder schwarze) Flügel, die Texte, die – damals wie heute – knapp dreistündige Show, das Orchester, die Atmosphäre, die Stimmung.
Es ist „der Text, der sich was traut“. Udo „will alles sein, nur niemals brav und bieder“. In seinen Songs geht´s zur Sache, es sind Statements, der selbsternannte „Traumtänzer“ singt und lebt für: Liebe (in allen Facetten und auch mit allen Höhen und Tiefen), Frieden, Freiheit – die politische und gesellschaftliche ebenso wie auch die ganz persönliche -, für Lust am Leben, „Fünf einmal grad sein lassen, nicht in Tabellen passen“, für Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Offenheit, Neugier, Respekt und Toleranz. Und er singt und lebt gegen: Spießigkeit, Borniertheit, Engstirnigkeit, Gier, soziale Kälte und Verlogenheit.
Romantiker und Realist, zwischen Zorn und Zuversicht
Er ist Romantiker und Realist, balanciert zwischen Zorn und Zuversicht, zwischen Sorge und Hoffnung, zwischen Ernsthaftigkeit und Humor. Er unterhält mit Haltung, thematisch ganz nah am Zeitgeist, vor allem aber tief drin in den großen Grundsatzfragen. Und vor allem: Er erzählt in seinen Liedern, die viel eher Chanson und eben absolut kein Schlager sind, Geschichten. Jeder kennt seine Songs zum Mitsingen, noch viel wertvoller sind aber seine Songs zum Zuhören. Songs die berühren und inspirieren, die den Bogen spannen vom Menschlichen und Persönlichen über Gesellschaftskritik bis zur Weltpolitik und eigentlich für jede Lebenslage und –situation etwas parat haben. Viele Liedzeilen wurden mir zur Maxime.
Es ist die Musik, die strotzt vor Kraft und Emotion, die sanft sein kann und mitreißend, es ist die Verschmelzung von Stimme, Klavier und dem langjährigen Orchester Pepe Lienhard. Der Durch-und-durch-Musiker Udo, geschult in den Jazzclubs seiner Sehnsuchtsstadt New York, zelebrierte den Swing, als Robbie Williams das Wort noch nicht buchstabieren konnte.
Es ist der Interpret – einfach absolut stimmig und authentisch, komplett glaubwürdig. Udo Jürgens kennt und verkörpert alle Emotionen, von Gänsehaut bis Gassenhauer, zwischen Euphorie und Melancholie. Er „liefert“ das eine wie das andere stets auf höchstem Niveau, immer als sorgfältig inszeniertes Weltklasse-Entertainment in vollendeter Perfektion, immer wieder neu und überraschend, jedes Mal voller neuer Ideen. Die Fans wissen bei jeder Tournee, dass sie Außergewöhnliches erwartet, sie wissen aber nie im voraus, was genau sie diesmal erwartet.
Wer das Phänomen Udo Jürgens wirklich verstehen will, muss ihn live erlebt haben
Es ist der Mensch, einfach ein unfassbar cooler Typ, Vollprofi und dabei absolut natürlich – auf der Bühne, in der Öffentlichkeit, in der direkten Begegnung. Er schert sich wenig um Konventionen, ist Freigeist und Lebemann. Er äußert sich entwaffnend ehrlich, gesteht vieles ein, bereut wenig – warum auch? Nichts an Udo ist oberflächlich, er ist der personifizierte Tiefgang, viel eher Zweifler als Strahlemann und am Ende doch – „Erzählen wir uns unser Glück, nicht nur die Sorgen“ – ein Optimist.
Seine Alben sind eine Freude, aber wer das Phänomen Udo Jürgens verstehen will, muss ihn live erlebt haben. Erst seine Konzerte sind ein Ereignis, ein gleichzeitiges Fest der Dramaturgie und Echtheit. Es dürften an die dreißig Konzerte sein, die ich bisher besuchen durfte – in Wiesbaden, na klar, in Mainz, Frankfurt, Hannover, Berlin, auf der Loreley -, es gab auch immer wieder Begegnungen jenseits der Bühne. Und es gab den Tag, der zum Höhepunkt meiner Udophilie werden sollte.
Schlaflos und hellwach – das Einzelinterview
18. Januar 2009 – ich treffe Udo Jürgens, nach diversen „Vorstufen“ über die Jahre wie Pressekonferenz, Round-Table-Gespräch, Telefoninterview, zum: Einzelinterview! Die Nacht davor war die bisher einzige Nacht meines Lebens, in der ich kein Auge zugemacht habe. Trotzdem bin ich hellwach, als ich – es ist ein Sonntag – um 12 Uhr wie verabredet im edlen Hotel Frankfurter Hof in Frankfurt stehe.
Um Punkt 12 Uhr kommt Udo aus dem Frühstücksraum, begrüßt mich freundlich mit einem Blick auf die Uhr: „Pünktlich, sehr gut“. Wir setzen uns gemeinsam in Bewegung. Udo geht nicht, er schreitet. Und gibt mir gar keine Gelegenheit, nervös zu sein. Er plaudert direkt drauf los, als sei es das Normalste der Welt, dass wir zwei an diesem Sonntagvormittag über schwere Teppiche durch die Lobby dieses Grand Hotels laufen. Er wirft einen kurzen Blick in den nüchtern anmutenden Businessraum, der für uns reserviert ist und sagt: „Lassen Sie uns in die Bar gehen, dort ist es gemütlicher“. Es wird ein großartiges, offenes, entspanntes und sehr kluges Gespräch, es dauert länger als vom Management vorgesehen.
Am Ende sagt er: „Danke, dass SIE sich Zeit genommen haben“
Bei der Verabschiedung nimmt er meine Hand, hält sie lange fest, schaut mir tief in die Augen und sagt: „Danke, dass SIE sich die Zeit genommen haben für dieses Gespräch.“ Und ich kann mir ziemlich sicher sein, dass er das nicht nur so sagt, sondern auch ganz genau so meint. Denn das, was mich mit am meisten an Udo Jürgens fasziniert, das sind seine Demut und seine tiefe Dankbarkeit. Dass dieser Mann der Superlative, der an Erfolgen und Ehrungen schwer zu überbieten ist – gigantische Plattenverkäufe, konstant ausverkaufte Tourneen durch größte Hallen, weltweite Charterfolge, ungezählte Auszeichnungen, Aufnahmen mit den Berliner Philharmonikern, zwei Autobiographien, ein autobiographischer Roman, der als Zweiteiler verfilmt und sogar im New Yorker Museum of Modern Art gezeigt wurde, Auftritt in der Sesamstraße, ein Musical, Wachsfigur bei Madame Tussaud, zum 80. nun eine Briefmarke, was kann da noch kommen: vielleicht ein Konzert auf dem Mond? –, dass dieser Mann bis heute nichts für selbstverständlich nimmt, zeugt von wahrer Größe. Und liegt sicher auch darin begründet, dass der Weg nach oben für Udo kein schneller und auch kein leichter war. Er weiß, wie es ist, sich als schlecht bezahlter Barpianist die Finger blutig zu spielen. Die große Karriere ließ auf sich warten, bis er schon über 30 war.
Eine Liste der Lieblingslieder? Aussichtslos!
Ich hatte mir vorgenommen, ein paar wenige absolute Lieblingslieder der unzähligen guten Udo-Lieder zu nennen, aber es ist ein aussichtsloses Unterfangen. Schnell standen 10, 15, 20 Titel auf der Unbedingt-Liste, da habe ich abgebrochen. 1000 Lieder, über 50 Alben, 100 Millionen verkaufte Tonträger, ungezählte TV-Auftritte und Konzerte. Und Udo steht weiterhin, so sein aktueller Albumtitel, „Mitten im Leben“. Ich freue mich auf alles, was noch kommt, und habe größtes Verständnis für alles, was nicht mehr kommt. Nein, ich sage jetzt nicht „Merci, Chérie“, ich sage aus tiefstem Herzen „Danke, Udo Jürgens!“. Und natürlich: „Danke, Oma!“
Hier geht es zu unserem Interview „Ich muss den Tiefgang, den ich empfinde, auch vermitteln“.
Im Oktober geht Udo Jürgens wieder auf Tournee. Ein „Vorkonzert“ im für seine Verhältnisse intimen Rahmen gibt er am 25. Oktober in der Rheingoldhalle Mainz (ausverkauft). Eine Woche später am 1. November tritt er in der Festhalle Frankfurt auf (Restkarten erhältlich), wo er auch am 31. März 2015 seine Zusatztournee beschließen wird. Das ZDF strahlt am Samstag, 18. Oktober, um 20.15 Uhr die große Geburtstagsgala „Udo Jürgens – Mitten im Leben“ mit vielen musikalischen Gästen aus. Dazu erscheint am 17. Oktober das Tribute-Album als Doppel-CD.
www.udojuergens.de , www.wizardpromotions.de
– Foto: Dirk Fellinghauer –