Von Titus Grab. Fotos Samira Schulz.
Landeshauptstadt, deine Plätze. In loser Folge betrachtet und beschreibt Titus Grab Plätze unserer Stadt. Diesmal: Unter alten Bäumen – Umgesehen… auf dem Ulrich-Weinerth-Platz und in der Grünanlage Schöne Aussicht.
Beide Plätze offenbarten sich mir bei ausgiebigen Streifzügen zu Fuß durchs Stadtgebiet. Unbekannt waren mir sowohl der offiziell namenlose Platz im Nordosten des Stadtzentrums, der im Grünflächenamt intern als „Grünanlage Schöne Aussicht“ geführt wird, als auch der in südwestlicher Richtung gelegene Ulrich-Weinerth-Platz.
Letzterer trägt seinen heutigen Namen – auf einstimmigen Ortsbeiratsbeschluss hin – seit 2016. Er liegt unmittelbar an der Ostseite der Waldstraße – Ecke Jägerstraße, Bushaltestelle Linie 8 -, in einem geschützten Winkel, wo die gründerzeitliche Bebauung endet. Die im weiteren Verlauf von der Straße zurückspringende Bebauung stammt aus dem Jahre 1929. Sie bildet ein auf den ersten Blick hin unauffälliges, in der Zwischenzeit liebevoll saniertes, größeres Ensemble zweigeschossiger Gebäuderiegel in einer der Erbauungszeit gelungen entlehnten, neuen Farbgebung.
Weinausschank als Treffpunkt
Gegenüber blicke ich auf eine lückenlose Reihe von zweistöckigen, dörflich anmutenden, manchmal auch wesentlich höheren, städtisch wirkenden Häusern. Der Platz, eher ein Plätzchen, wurde neu gepflastert, ist zur Fahrbahn hin durch liebevoll bepflanzte Betonrechtecke im Stil der 70er/80er-Jahre etwas abgegrenzt und mit drei Holzbänken ausgestattet. Ihn überwölbt eine stattliche Eiche. Ihr sieht man an, dass sie sich schon immer in alle Richtungen ausbreiten konnte. Stauden und Büsche sind gepflanzt worden.
Dienstags bis sonntags ab 16 Uhr werden hier kleine Tische und Stühle als Außenstelle der gegenüberliegenden Gastwirtschaft aufgestellt, die unter der Eiche aus einem schlichtem Holzhäuschen Wein ausschenkt. Norbert Gohl reicht mir ein Glas und schildert, der 2015 überraschend verstorbene Namensgeber des Platzes habe in seinen letzten Lebensjahren in einer noch unsanierten Wohnung der 20er-Jahre-Häuser nebenan gewohnt und sich zeitlebens für diesen Stadtteil sehr eingesetzt. Auch die Idee des Weinstandes ginge auf Ulrich Weinerth zurück, dieser habe ihn aber leider nicht mehr erlebt.
Benannt nach bescheidenem Stadtpolitiker
Seine Tochter Sarah Weinerth bestätigt und ergänzt die Auskünfte: Ihr Vater war hier in vielen Vereinen tätig, war Stadtverordneter, Mitglied im Sozialausschuss, vielseitig engagiert und einer, der kein Aufhebens um sich machte. Sie schildert, er habe ein klappriges Auto gefahren, auf Statussymbole keinen Wert gelegt und dem örtlichen Carnevalsverein, dessen Vorsitzender er war, mit der Niederlegung seiner Ämter gedroht, falls es zu einer ins Auge gefassten Ehrung käme. Der Platz selbst scheint der Bescheidenheit seines Namensgebers zu entsprechen. Die Stimmung hat etwas unaufdringlich Familiäres: leben und leben lassen.
Die alles überragende Stieleiche war mit der Fertigstellung der Nachbarbebauung und des – aktuell gesperrten – Sportplatzes an der Waldstraße 1929 zu Ehren von Friedrich Ludwig „Turnvater“ Jahn (1778-1852) gepflanzt worden. Sehenswert ist auch der erhaltene, für die 20er Jahre zeittypisch von einem Schriftzug überspannte Zugang zu diesem Sportplatz wenige Häuser weiter in der Waldstraße).
Baumkrone macht sich breit
Szenenwechsel! Vom Kochbrunnenplatz nähere ich mich über den Geisberg und biege nach wenigen Minuten zu Fuß rechts ab in die Schöne Aussicht. Vorbei an Wiesbadens ältestem israelitischen Friedhof – wie üblich, auf einer Anhöhe gelegen – und zwei freistehenden Wohnhäusern tauchen eine Metallschranke und ein kurz ansteigender, buckliger Asphaltweg auf; zur Orientierung: gegenüber befinden sich die Häuser Nummer 9 und 11. Direkt neben der Straße befindet sich linkerhand ein Rosskastanienbaum mit einer sich im wahrsten Sinne des Wortes „breit machenden“, äußerst tief ansetzenden Krone. Sie wirkt so, als sei dieser Baum vor sehr(!) langer Zeit durch Beschnitt in diese Form gebracht worden.
Die Geschichte dieses Baumes muss im Dunkeln bleiben. Sie ist nicht überliefert. Ich schätze sein Alter auf deutlich mehr als hundert Jahre. Am Fuß der Kastanie gibt es von Gras überwachsene Reste einer Bodenbefestigung und ein altes Mäuerchen aus Feld- und Ziegelsteinen. Beschirmt vom mächtigen Astwerk, gleitet der Blick über das Stadtzentrum Wiesbadens, das ganz nah liegt und dem ich an diesem Platz – bei freier Sicht, da noch nicht vollständigen Blattwerk – doch eigentümlich entrückt bin: ein Balkon über der Stadt, – verschlafen, verwunschen und auf eine ganz spartanische Art sehr besonders. Nebenan gibt es Hecken, auch Holunderbüsche, gen Süden liegen zwei kleine terrassenförmige Rasenflächen und stehen Bänke. Der eigentliche Platz aber, den ich als „guten Ort“ bezeichnen möchte, ist der am Mäuerchen unter dem Baum: geradezu magisch.“
Fazit: Aufenthaltsqualität: bei beiden auf unterschiedliche Art gegeben / Optik: unaufdringlich, nicht spektakulär, aber auch nicht – wie an vielen Stellen im Stadtgebiet – lieblos / Besonderheit: zentral für das Wohlbefinden ist hier wie da der stattliche Baum / Gesamteindruck beider Plätze: einladend! Es zeigt sich: Schlichte Gestaltung tut gut, solange ein gewisses Maß an Zuwendung stattfindet. Bitte exakt so bleiben! Sommertauglich!