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Verborgene Welten: FSK Freiwillige Selbstkontrolle

Ich erinnere mich noch gut an Zeiten, in denen ich an der Kinokasse, ähnlich wie übrigens etwas später am Eingang der Clubs, um den Einlass gebangt habe. Ich war vierzehn Jahre alt und wollte mir natürlich Filme „ab 16“ anschauen. Ich bildete mir damals ein, man müsse dem Kassierer ganz ernst in die Augen schauen, das würde die Einlasschancen erhöhen. Ähnliches dachte ich übrigens etwas später am Eingang der Clubs. Je ernster, desto älter, das glaubte ich.

Damals wäre ich gerne mal bei einer dieser Filmprüfungen dabei gewesen, bei denen die berüchtigten Altersfreigaben der FSK bestimmt werden. Ich hatte mir die Prüfer höchstwahrscheinlich als mit Mantel und Hut bekleidete Herren vorgestellt. So wie die „grauen Herren“ aus dem Film „Momo“. Männer, die selbst bei Komödien mit einem genauso todernsten Blick dasitzen wie mein eigener vor der Kinokasse. Nur eben authentischer. Jetzt bekam ich die Gelegenheit, diese „grauen Herren“ zu treffen.

8:45 am Morgen. Ich stehe vor dem Murnau Filmtheater, dort finden die Filmprüfungen statt. Herr Linz, der Sprecher der FSK, holt mich ab und führt mich in den Kinosaal. Die Prüfer sind schon da, zwei Frauen, drei Herren. Die ernsten Mienen stimmen schon einmal, denke ich.

Ohne Werbung und Vorschau beginnt der Film. Bei dessen Verlag, Paramount, musste die FSK zuvor die Erlaubnis einholen, dass ich ihn überhaupt sehen darf. Der Film ist noch unveröffentlicht.

Um neun Uhr morgens ins Kino zu gehen ist in etwa wie Zigarette rauchen vor dem Frühstück. Kann man machen, fühlt sich aber falsch an. So, als wäre der Körper dafür nicht gemacht. Mit koffeingeweitetem Blick stiere ich auf die Leinwand und warte auf das erste unzüchtige Wort. Es will nicht kommen.

Der Film „Unterwegs mit Mum“, den ich sehe, handelt von einer notorisch übermutternden Frau in den Wechseljahren und ihrem dauerpeinlich berührten Sohn, die einen gemeinsamen Roadtrip unternehmen. Es ist eine unterhaltsame, feinfühlige Komödie, herausragend spielt Barbara Streisand eine der Hauptrollen. Ich bin trotzdem fast der einzige, der lacht, nur aus einer Ecke höre ich mal einen Prüfer, der in seinen Bart schmunzelt. Immerhin, aber was ist mit den anderen? Sind sie zu konzentriert? Oder ist ihnen etwa langweilig? Zu wenig Sex & Violence?

Dann, plötzlich, ein Wort. Ich vernehme es laut und deutlich. „Penis“! Ich schrecke auf. Mutter und Sohn sind gerade in einem Stripclub gestrandet, nun erzählt sie lauthals von dem ab und zu merkwürdig „dunkelrot angelaufenen Penis“ ihres Sohnes, den sie in dessen Kindertagen für einige Zeit besorgt beobachtet hatte. Was machen die Prüfer hinter mir wohl jetzt, was vermerken sie gerade erregt auf ihren Formularen? Verwirrt schreibe ich in mein Notizbuch: „dunkelroter Penis“. Kurz darauf eine andere Szene: „Er streichelt sie sanft zwischen ihren Beinen“. Ich bin endgültig überfordert. Was hat das zu bedeuten? Nicht jugendfrei? Ab 18?

Die FSK ist keine staatliche Behörde, sondern ein Teil der Filmwirtschaft; sie kontrollieren sich also selbst. Die Landesjugendbehörden entscheiden zwar mit über die Altersbeschränkung, haben in der Regel aber nur eine gleichberechtigte Stimme unter vielen. Die übrigen, ehrenamtlichen Prüfer kommen aus der ganzen Republik, es gibt fast 300 von ihnen.

Der Film ist zu Ende, ich werde herausgebeten; die Diskussion ist geheim, dass soll die Unbefangenheit der Prüfer schützen. Ich warte also vor der Tür, und muss unwillkürlich an den dunkelroten Penis denken. Dann sind sie fertig. Die Sache war wohl ziemlich klar, Prüfergebnis: „keine Altersbeschränkung“, wie beantragt. Am Ende spreche ich sie noch auf den dunkelroten Penis an – der Begriff als solcher ist kein Problem, ein Körperteil wie jedes andere, zudem stand er nicht einmal in einem sexuellen Kontext. Wir sind ja nicht mehr in den 50ern.

Die Prüfer sind übrigens ganz unterschiedlich angezogen. Keine Hüte.

Mein Prüfergebnis: Eltern, vertraut der FSK.

Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft GmbH

Murnaustraße 6

65189 Wiesbaden

 

Martin Mengden, 27, Musiker, Flaneur und bekennender Jungjurist, öffnet in der Rubrik „Verborgene Welten“ Türen zu Wiesbadener Sub-Welten, durch die nicht jeder auf Anhieb gehen würde.

Foto Arne Landwehr