Es kam so, wie ich es erwartet hatte. Vor meinem Besuch der Scientology Mission dachte ich (wie übrigens viele meiner Mitmenschen), ich würde während meines Aufenthalts mittels geschickter Psychotechnik manipuliert und in einen treu gehorchenden, willenlos grinsenden, armen Anhänger umerzogen werden. Als ich die Mission nach zwei Stunden wieder verließ, blieb davon aber nur: So schlimm war es ja gar nicht. Jetzt, zwei Tage danach, frage ich mich, wo da der große Unterschied ist.
Als mein Fotograf und ich die Wohnung betraten, schaute uns ein Mann, er war gerade im Begriff zu gehen, verwirrt an. Mit Besuch hatte man nicht gerechnet. Trotzdem steuerte eine unbeirrt freundliche Dame auf uns zu. Professionell schüttelte sie meine Hand. Es war Petra Marx (Name geändert), und sie war ab jetzt für uns da. Wie wir später erfuhren, ist Frau Marx (adretter Kurzhaarschnitt, hochgeklappter Stehkragen) seit 1979 Scientologin und hat zwei Kinder, beide ebenfalls Scientologen. Sie war gerade dabei, eine Weihnachtsfeier vorzubereiten. Wir waren undercover unterwegs; ich log ihr vor, dass mich der wissenschaftliche Ansatz von Scientology interessieren würde.
Für „brainwash“ etwas mickrig
Ehe wir uns versahen, saßen wir vor einem großen Flatscreen-Fernseher. Frau Marx wollte uns eine kleine DVD-Einführung geben. Nur bekam sie den Fernseher nicht an. Bis ich den Stecker in die Steckdose steckte. Ein etwas mickriger Start, dachte ich, das sollte also brainwash sein?
Der Werbefilm, den wir uns nun über eine Stunde lang ansahen, appellierte an das Gute in uns, an Freude, Hoffnung und Glück, er war bunt und in an Lächerlichkeit grenzendem US-amerikanischen Hollywood-Pathos getränkt. Im Grunde wirkte er harmlos. Nach zwanzig Minuten Film bot Frau Marx uns ein Getränk an. Wir nahmen einen Tee und schauten uns an. Wie viele K.O.-Tropfen hatte sie wohl hineingetan? Später wurde mir etwas schwindelig, aber das lag am Film. Haben Sie einmal über eine Stunde am Stück Werbung geschaut? Da passiert etwas mit einem. Wenn Sie sich ein bisschen darauf einlassen, baut sich ein Image auf. Beziehungsweise, in diesem Fall, ab: Das Urteil bröckelt.
Trotz Übelkeit und wachsendem Fremdscham wollte ich ganz in die Scientology-Lehren eintauchen. Wo ich doch schon mal da war. Ich habe es aber einfach nicht geschafft. Primäre Motivation des Scientologen ist nämlich die Optimierung des Individuums. Sie reiten sozusagen auf dem Fitnessstudio-Trend mit; statt Bodybuilding macht man eben Mindbuilding, bis hin zur Unsterblichkeit. Ganz schön modern. Bei anderen klappt die Nummer sicher gut, aber ich hasse den Drang nach überzogener Selbstoptimierung. Und dann die Scientology-Ethik: Der Mensch ist gut, Hass und Drogen sind böse, UN-Menschenrechte sind die Rettung, lasst uns die Welt heilen. Sowohl mundgerechte Vereinfachungen als auch oberflächliches Gutmenschentum lassen mich ja skeptisch werden.
Diese Suppe stinkt zum Himmel
Diese ganze Suppe aus Pseudopsychologie, Science-Fiktion, Führerkult, Selbstoptimierung, Unterwerfung, Esoterik, naiven Weltverbesserungsambitionen und Expansionsdrang wirkt auf mich mehr als verkocht. Sie stinkt zum Himmel. Wie gefährlich Scientology ist, blieb mir allerdings verborgen. Oder, mehr noch, der gefühlte Grad der Gefährlichkeit nahm während meines Besuchs sogar ab, ich musste erst stundenlang Youtube-Videos über Aussteiger anschauen, um mich daran zu erinnern, was in dem Laden so los ist. Wahrscheinlich macht sie das so gefährlich. Vielleicht erhöhen sie erst später, nach einem sanften Einstieg, die Dosis der Indoktrinierung und Kontrolle. Dafür spricht ein Telefongespräch, dass wir mithören konnten. Die Anruferin, offensichtlich eine Anhängerin, wollte wissen, wann die Feier beginnt, ob sie auch alleine kommen und ob sie noch einmal mit Frau Marx reden dürfe – und wann sie losfahren solle. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Wann sie losfahren solle!
Ich werde sie nicht noch einmal besuchen. Vielleicht kommen sie nach diesem Artikel aber ja bei mir vorbei. Gibt es dafür nicht sogar eine eigene Abteilung? Ich werde ihnen auf jeden Fall einen Tee anbieten.
Wiesbaden Mission der Scientology Kirche e.V., Mauritiusstraße 14
Martin Mengden, 27, Musiker, Flaneur und bekennender Jungjurist, öffnet in der Rubrik „Verborgene Welten“ Türen zu Wiesbadener Sub-Welten, durch die nicht jeder auf Anhieb gehen würde.
Foto Simon Hegenberg
Obwohl ich selbst Scientologe bin, musste ich an einigen Stellen Ihres Artikels tatsächlich schmunzeln.
Ich habe bereits des öfteren mit Menschen zu tun gehabt, die – sagen wir mal – sich „offen“ über Scientology informieren wollten, dabei jedoch vergessen haben ihre alles-mit-Scientology-in-Verbindung-stehende-verschwimmende-Brille abzunehmen. Das ist an sich nicht schlimm, es funktioniert halt nur nicht – wie man an Ihrem Artikel gut sehen kann. Dennoch finde ich es gut, dass Sie sich Ihr eigenes Bild machen wollten. Scientology ist tatsächlich nicht für jeden etwas, den als Scientologe versucht Du den Standpunkt einzunehmen: „Was kann ich tun“, „Was hat die Situation mit mir zu tun“, „Wo liegt meine Ursächlichkeit hierbei“ und „Wie kann ich die Situation verbessern“.
Falls Sie mal in Berlin sein sollten, fühlen Sie sich herzlic eingeladen auch der Scientology Kirche Berlin einen Besuch abzustatten 😉
Obwohl Sie eine kritische Haltung bezüglich Scientology haben, widerspricht Ihr Selbstversuch in Wiesbaden den gängigen Gehirnwäschetheorien über Scientology.
Auch ich habe mich kritisch mit Inhalten der Scientology auf meinem Blog auseinandergesetzt; einfach mal vorbeischauen und durchklicken.