Von Dirk Fellinghauer (Text und Fotos).
Wiesbaden hat wieder einen Zweitliga-Fußballverein. Wie geil ist das denn? Heute feiert der SV Wehen Wiesbaden Saisonauftakt.
Spannung, Freude, Euphorie, Enttäuschung, Jubel – es war alles drin für den SV Wehen Wiesbaden und seine Fans auf den letzten Etappen zum ersehnten Ziel: dem über einen kleinen Umweg schließlich geglückten Aufstieg in die 2. Fußball-Bundesliga.
Rückblick: Am letzten regulären Spieltag gewinnt der SVWW in der heimischen Brita-Arena vor 8126 Zuschauer:innen 1:0 gegen den Halleschen FC – Aufstieg geschafft! Leider nur gedacht: Weil im Parallelspiel Osnabrück in der Nachspielzeit nochmal richtig zuschlägt, zerschlägt sich der SVWW-Aufstieg – der Stadionsprecher hatte ihn verkündet, die Fans hatten den Rasen gestürmt und die Spieler bestürmt, das Aufstiegsbier war schon in überdimensionalen Gläsern auf den Platz getragen worden – binnen weniger Minuten wieder. Der Jubel verwandelt sich in Frust. Und der schon sicher geglaubte Aufstieg in den Umweg zur Relegation.
Fans erleben Fußballfest
Jetzt wollen es alle wissen, auch jene Fußballfans, die sonst nicht unbedingt den Weg in die Brita-Arena finden. Vor – seltener Anblick im SVWW-Heimstadion – ausverkauftem „Haus“ empfängt der SVWW im Relegations-Hinspiel (Noch-)Zweitligisten Arminia Bielefeld – und putzt die Gäste in einem wahren Fußballfest mit 4:0 vom Platz. Unfreiwillig vom Platz geht es für sämtliche Spieler, als Richtung Spielende die Wut von Bielefeld-Fans aus dem Ruder läuft und diese mit Bengalo- und Feuerwerks-Exzessen für gefährliche Situationen sorgen. Spielunterbrechung, bange Minuten, hässliche Situationen. Auch eine Seite des Fußballs. Doch das Spiel wird fortgesetzt.
SVWW aufgestiegen – Wie geil ist das denn!?
Mit dem 4:0-Triumph im Sack reist der SVWW zum Rückspiel. Bei diesem geht Bielefeld nach wenigen Minuten in Führung. Das wird doch nicht schiefgehen? Geht es nicht! Am Ende siegen die Gäste aus Wiesbaden mit 1:2. Jetzt aber: Aufgestiegen! Wiesbaden hat wieder einen Zweitliga-Fußballverein. Wie geil ist das denn!?
„Wie geil ist das denn!?“ – das rief auch OB Gert-Uwe Mende – sonst nicht gerade als Temperamentbolzen verschrien, aber schon beim Public-Viewing auf dem Mauritiusplatz ließ er sich für seine Verhältnisse richtig gehen- ins Megaphon beim Empfang der Stadt für die Aufsteiger-Mannschaft mit ihrem Trainer Markus Kauczinski am Tag nach dem Sieg im Rathaus-Festsaal.
Aufstieg – und jetzt?
Ja, wie geil ist das denn nun, dass Wiesbaden wieder einen Zweitliga-Verein hat? Was macht der Verein, was macht die Stadt, was machen die Fans daraus? Das ist die spannende Frage in einer Stadt, die sich bekanntermaßen etwas schwertut mit einer Fußballkultur, also mit einer Profifußballkultur.
„Das W vereint“ heißt der Slogan des SV Wehen Wiesbaden, des Profi-Fußballvereins mit den zwei „W“ im Namen – ein W für Wehen, dem Stadtteil in Taunusstein, wo der Verein herkommt, seine Wurzeln und auch seine treuesten Fans hat. Nicht umsonst gibt es Fanshirts mit dem stolzen Aufdruck „Wehener Original“. Und ein W für Wiesbaden, seit 2007 mit der Brita-Arena das Zuhause des Vereins. Genau in dieser Ausgangssituation liegt ein Grundproblem, warum es bisher nie so richtig zündete zwischen der Stadt und „ihrem“ Verein. „Wir sind doch keine Wiesbadener“, sagen die Taunussteiner. „Das sind doch keine Wiesbadener“, sagen die Wiesbadener.
Flaschen Magnum, Stimmung eher Piccolo
Wie ausbaufähig die Beziehungen sind, zeigte sich auch beim Rathaus-Empfang am Tag nach dem Aufstiegsmatsch. Gerade mal ein paar Hundert Fans boten eine überschaubare Willkommenskulisse für die standesgemäß völlig übernächtigten und durchgefeierten Fußballer, als sie im Mannschaftsbus – und, originelle Idee, in der Stadtbahn Thermine – auf den Schlossplatz rollten.
Sekt Magnum, Stimmung eher piccolo
Das obligatorische „sich zeigen“ und bejubeln lassen auf dem Rathaus-Balkon geriet zu einer bescheidenen Nummer. Sekt sprudelte aus Magnumflaschen – die Stimmung war eher Piccolo. Einige der Fußballer konnten kaum fassen, was da nicht los war. Lästereien und Statements wie „was sollen wir hier eigentlich?“, „mir fällt kein Lied mehr ein, um Stimmung zu machen“, „Spießbraten“, „ich geh wieder rein“ waren zu hören. Schließlich saß der Großteil der Spieler eher frustriert in einer Ecke des Rathaus-Festsaals.
Das besondere Zweitliga-Potenzial in Wiesbaden
Schade eigentlich, denn eigentlich haben Fußballfans gerade in Wiesbaden besondere Chancen, auf ihre Kosten zu kommen. Jetzt erst recht. Im recht kompakten Stadion ist man nah dran am Geschehen, auch der Großteil der SVWW-Spieler ist sehr nahbar. Gerade im direkten Kontakt zeigt sich das Potenzial, ein SVWW-Fieber zu entfachen. Kiddies sind – auch in digitalen Zeiten – ganz heiß auf Autogramme, für die sich die Wiesbadener Fußballer gerne viel Zeit nehmen.
Neu-Wiesbadener könnte man ganz unvoreingenommen für den Profifußball in der eigenen Stadt begeistern. Studis zum Beispiel, die bekommen gegenüber in Mainz alle ein Freiticket fürs Stadion zum Semesterbeginn. Gute Idee.
Doppelt so viele Dauerkarten
Und natürlich: In der zweiten Liga kommen nun richtig spannende Vereine in die Brita-Arena. Und der SVWW ist und bleibt selbst eine spannende Mannschaft.
Ein Aufstiegseffekt lässt sich beim SVWW schon feststellen. „Wir sind derzeit bei knapp 1400 Dauerkarten im Public Bereich und haben somit jetzt schon mehr als doppelt so viele Dauerkarten verkauft wie im Vorjahr“, ließ ein SVWW-Pressestelle am Tag vor dem heutigen Saisonauftakt-Fest in der Brita-Arena auf sensor-Anfrage wissen.
Macht den SVWW zur Sache aller
Der Sprung in die 2. Liga könnte der Moment sein, dass es doch noch richtig geil wird mit der Stadt und ihrem Verein – und umgekehrt. Vereint das W! Macht den SVWW endlich und wirklich zur gemeinsamen Sache aller. Zur Sache der Stadt, der Mannschaft und der Fans!
–
Auf ins Stadion! Die Zweiliga-Spieltage des SVWW
1. Spieltag:
Samstag, 29. Juli (13 Uhr): SVWW vs. 1. FC Magdeburg
2. Spieltag:
Freitag, 4. August (18:30 Uhr): Hertha BSC vs. SVWW
3. Spieltag
Freitag, 18. August (18:30 Uhr): SVWW vs. Karlsruher SC
4. Spieltag
Sonntag, 27. August (13:30 Uhr): 1. FC Nürnberg vs. SVWW
5. Spieltag
Samstag, 2. September (13 Uhr): SVVW vs. FC Schalke 04
6. Spieltag
Freitag, 15. September (18:30 Uhr): SC Paderborn vs. SVWW
7. Spieltag
Samstag, 23. September (13 Uhr): SVWW vs. SV Elversberg
8. Spieltag
Samstag, 30. September (13 Uhr): Hannover 96 vs. SVWW
9. Spieltag
Samstag, 7. Oktober (13 Uhr): SVWW vs. Hamburger SV
10. Spieltag
Samstag, 21. Oktober (13 Uhr): VfL Osnabrück vs. SVWW
Zur bescheidenen Nummer in punkto Marketing verkam auch der Saison-Auftakt am 15.07.23 gegen St. Truiden. Während im Regen-Spiel die Leistung zunächst knapp ansehnlich war, überzeugte der SVWW in der 2. Halbzeit mit dem verdienten Siegtor durch Holle Hollerbach.
Für 1 Becher Freibier pro Karte nach dem Spiel zur Autogramm-Jagd reicht das Vereinsgeld nicht – claro -, ein Sponsor ist wohl auch nicht in Sicht. Aber :
Identitätsstiftende Fan-Bindung wäre erreicht worden, hätte man die Spieler vorm Spiel einzeln vorgestellt (Name, Alter, Letzter Verein, Hobby). Aus der Reihe hervortreten und nach vorn und hinten Winke-Winke. Das kostet kein Geld, nur 10 Minuten Zeit. So machens Profis, lieber Nico !