Von Hendrik Jung. Fotos Daniel Sax.
Es hat nicht viel gebraucht, um Aufregung um einen Werbespot für Rasierer – und für ein neues Männerbild – zu entfachen. Was sind das heute für Männer, die Selbstherrlichkeit nicht mehr als primäres Geschlechtsmerkmal betrachten?„Meine Schale hat einen Riss bekommen. Ich konnte anfangen, sie ein bisschen aufzuknacken und das, was ich raus geholt habe, in mein Leben zu integrieren“, blickt Torsten Laumer auf seine Initiation beim ManKind-Projekt zurück. Es war ein Wochenende im Mai vergangenen Jahres, bei dem viel passiert sei. Was genau, darüber bewahren die Initiierten Stillschweigen. „Es ist die Schwelle zum Unbekannten“, erklärt Martin Noack, der schon vor einigen Jahren an dem Ritual teilgenommen hat. Wenn die Männer bereits im Vorfeld etwas über die Inhalte des einmaligen Ereignisses wüssten, könnte das die Wirkung mindern. Über die erzielte Wirkung selbst darf jedoch auch mit Nicht-Initiierten gesprochen werden. „Vorher habe ich ziemlich gut funktioniert, aber nicht viel Gefühl zugelassen. Ich wusste gar nicht, was Trauer mit mir macht. In dem Rahmen habe ich das mal zugelassen“, beschreibt es Martin Noack: „Es geht um eine Reise in sich selbst. Ich lerne meine Wunden kennen, aus denen heraus ich handele.“ Das Ritual verleihe Kraft, Stärke und Energie.
Initiationsritual reißt Masken nieder – und kann Ehen retten
„Ich hatte zu dem Zeitpunkt meine Ehe nahezu an die Wand gefahren. Die Initiation selbst hat mich sehr überrascht. Es geht darum, schonungslos aufzudecken, denn im Leben tragen wir ja Masken. Anschließend wusste ich zum ersten Mal, was ich will: Meine Familie, meine Ehe retten“, berichtet Holger: „Natürlich hat das nicht alles gelöst, und es war noch ein hartes Stück Arbeit.“ Auch seine Frau ist froh, dass er die Initiation absolviert hat. Zu einem Zeitpunkt, als die beiden schon fast zwanzig Jahre ein Paar gewesen sind, habe sie ihren Mann in Teilbereichen neu kennengelernt. „Das Ergebnis ist schon sehr beachtlich. Es bringt mehr Klarheit und ermöglicht die Selbstbestimmung, Verantwortung für das komplette Leben zu übernehmen. Die Nähe und Liebe zwischen uns ist dadurch gewachsen“, urteilt Holgers Frau Brigitte. Seit anderthalb Jahren gehört sie gemeinsam mit ihrem Mann zu einer gemischten Gruppe, die sich einmal pro Monat trifft, um persönlich weiter zu kommen und in Verbindung zu leben.
Männer unter sich
Manche aus der bestehenden Integrationsgruppe nehmen daran teil, andere bevorzugen den geschützten Raum der zweiwöchentlichen Männer-Treffen. Bei diesen wird in verschiedenen Runden ein Prozess der Selbstreflexion über diejenigen Themen angestrebt, die den Mitgliedern, die meist im Alter zwischen dreißig und sechzig Jahren sind, gerade besonders am Herzen liegen. In Fortführung des bei der Initiation Erfahrenen geht es dabei etwa um Integrität, um Verantwortung sowie um liebevolle Beziehungen. „Auch zu Menschen, bei denen ich merke, es fällt mir schwer“, betont Torsten Laumer. Nicht zuletzt kann es aber auch um die Beziehung zu sich selbst gehen. „Ich war immer ein Mensch, der sich gefragt hat, wie muss ich sein, damit ich in einer Gruppe akzeptiert werde. Hier habe ich gelernt, zu mir zu stehen“, verdeutlicht Holger. „Man ist nicht mehr so angewiesen auf Anerkennung, weil man zufrieden mit sich selbst ist“, ergänzt Martin Noack.
Weg von der Gewalt – mit Bizeps
Wer Klient der Wiesbadener Beratungsstelle Bizeps sein möchte, benötigt unabdingbar den Willen zur Veränderung. Schwerpunkt der Arbeit mit Männern und männlichen Jugendlichen ist zurzeit die allgemeine und häusliche Gewalt, weil die Stelle für die Beratung zu sexualisierter Gewalt noch nicht neu besetzt ist. Jährlich gut einhundert Klienten werden von Gerichten, Polizei und Jugendamt hierhin vermittelt oder suchen aus eigenem Antrieb Rat. Rund ein Drittel beendet das Programm nicht. Mal, weil es zunächst psychische oder Drogen-Probleme zu behandeln gilt, mal fehlt es einfach an der nötigen Bereitschaft, die zu Beginn unterzeichnete Gewaltverzichtserklärung auch einzuhalten. „Einen Sitzschein gibt es bei mir nicht“, betont Achim Dilcher, der die aus gut zwanzig Sitzungen bestehenden Beratungen seit etwa zehn Jahren anbietet. Zunächst wird dabei ermittelt, welche Gewalttaten es bereits gegeben hat – und zwar meist nicht nur als Täter, sondern in Kindheit oder Jugend auch als Opfer: Statistisch sei inzwischen ausreichend belegt, dass rund 80 Prozent zunächst einmal selbst unter Gewalt gelitten haben, bevor sie diese selbst ausüben. Bei einer intensiven Auseinandersetzung mit der Tat gehe es dann darum, über die eigenen Gefühle zu sprechen.
Kosten-Nutzen-Analyse der Aggression
Bevor die Klienten selbst nach alternativen Handlungswegen suchen, wird noch eine „Kosten-Nutzen-Analyse“ erstellt, mit der sie erkennen können, welchen Preis sie für den kurzen Spannungsabfall zahlen, den sie durch einen Aggressionsausbruch erreichen. „Die Erfahrung zeigt, dass es ab Mitte zwanzig leichter ist, einen Zugang zu den Männern zu bekommen“, erklärt Achim Dilcher. Denn dann sind auf der Kosten-Seite möglicherweise der Verlust des Arbeitsplatzes oder die Trennung von den eigenen Kindern zu finden. Sechzig Prozent seiner derzeitigen Klienten hätten einen Migrationshintergrund. In den seltensten Fällen handele es sich um Männer aus westlichen Kulturen. „Das Bild ist einfach ein anderes. Häusliche Gewalt ist im Heimatland vielleicht sogar legitim“, macht der 58-jährige deutlich. Persönlich glaube er, dass in der westlichen Welt traditionelle Männerbilder und die Eigenschaften, die damit verbunden sind, inzwischen in Misskredit geraten sind. Bei Klienten, die an der Beratung erfolgreich teilnehmen, könne man feststellen, dass ein selbstkritischer Blick entsteht.
Manager, Burnout, Yoga
Ein solcher Blick hat auch am Anfang eines Wandels im Leben von Peer Baldamus gestanden. Als Manager für Informationstechnik habe er an großen Projekten für internationale Firmen gearbeitet, bis er vor zehn Jahren unter Burnout und Depressionen gelitten habe. Beruflich sei er damals gut beraten worden, habe aber auch persönlich etwas ändern wollen und sei darüber zum Yoga gekommen. Zwar habe auch Joggen das Potenzial, Gedanken zur Ruhe zu bringen und den Kopf frei zu machen, aber beim Laufen gingen auf Dauer einfach die Knie kaputt. Gerade für moderne Männer sei Yoga gut geeignet, weil sie heute in vielfältigerer Verantwortung seien als früher. Schließlich wollten viele auch innerhalb der Familie mehr Fürsorge übernehmen. Insgesamt sei das Männerbild differenzierter geworden. „Wenn ich immer in den Vergleich und den Konflikt gehen und es auskämpfen muss, tue ich mich schwerer im Leben“, findet Peer Baldamus. Weil er glaube, dass es höchste Zeit für Veränderung sei, habe er bereits mehrfach versucht, Yoga-Kurse nur für Männer anzubieten. Denn es sei kein Zufall, dass in seinen gemischten Kursen zu 90 Prozent Frauen zu finden seien. „Sie sind gelenkiger und flexibler, wir haben eher Kraft“, verdeutlicht der 64-jährige. Sein Angebot richte sich daher an Männer, denen ihre mangelnde Gelenkigkeit unangenehm sein könnte. Doch obwohl er den gleichen Werbeaufwand betrieben habe, wie sonst auch, sei bislang kein reiner Männer-Kurs zustande gekommen. Im Herbst werde er aber auf jeden Fall noch einmal einen Anlauf unternehmen.
Mann trägt Vollbart – perfekt gepflegt
Stark im Kommen sind dagegen Angebote für die Pflege des Barthaares. Zum ersten Mal seit der Hippie-Zeit sind Vollbärte wieder richtig in Mode. Heute aber wollen junge Männer sie in gepflegter Form tragen, weshalb Barber-Shops geradezu aus dem Boden sprießen. „Die Nachfrage ist da“, freut sich Erkan Özdemir, der vor rund einem Jahr seinen „Gentlemen’s Barber“ eröffnet hat. Der Hype um dieses Phänomen führe seines Erachtens jedoch dazu, dass sich auch Läden diese Bezeichnung geben, die sie nicht verdienten. Er habe einen hohen Qualitätsanspruch. „Im Moment ist es von meinem Job her möglich, Vollbart zu tragen. Ich finde, es sieht besser aus und man wirkt nicht so jung“, erklärt der 27-jährige Nils, warum er zum Kundenkreis gehört. Bei der Bartpflege verlässt er sich ganz auf die Erfahrung des Friseurmeisters. „Jeder Bart ist von der Haarstruktur anders und er muss auch zum Typ passen. Kopf- und Gesichtsform sind zum Beispiel Kriterien, die man beachten muss“, erläutert Erkan Özdemir. Bei Nils arbeite er derzeit an einer Zwischenlösung. Erst wenn der Bart einen gewissen Wuchs erreicht habe, könne man entscheiden, ob es eher in die Länge oder in die Breite gehen solle. Zum Angebot gehört neben Männer-Haarschnitten auch das Zupfen der Augenbrauen nach orientalischer Art mit dem Faden, auch wenn es dafür noch nicht viele Kunden gebe. „Wer schön sein will, muss leiden“, erklärt der 30-Jährige lachend.
„Sexbombs“ geraten ins Schwitzen – ohne Konkurrenzdenken
Ein bisschen Quälen gehört auch für die Summerischer Sexbombs dazu. „Wenn wir beim Training die fünfte Wiederholung machen, schwitzt man schon ein bisschen“, berichtet Benjamin Hillebrand. Unter den acht Mitgliedern der Männertanzgruppe des Karnevalsvereins Die Sonnenberger Käuzcher gehört er zu denjenigen, die einst aus der Tanzgruppe Teens ein gemischtes Ensemble gemacht haben. „Wir waren so 16 oder 17, und es waren Mädels dabei“, erinnert sich Jürgen Schmitt an seine ersten Hebefiguren. Inzwischen haben die Frauen die Skylights gegründet und die Jungs dafür gesorgt, dass aus dem 56 Jahre alten Männerballett die Sexbombs geworden sind, die in diesem Jahr unter dem Motto Strip in der Bütt auftreten. „Als mein Sohn dreizehn war, hat er mich gefragt, warum ich mich blamiere. Der Rest ist begeistert, wenn wir unsere gestählten Körper zur Geltung bringen“, berichtet Kay Gleßmann schmunzelnd. Er ist mit 57 Jahren der Senior der Truppe. Nachwuchs dafür zu finden, ist nicht ganz einfach. „Ich war Gast bei einer Kappensitzung, habe die Jungs gesehen und fand das ganz witzig“, berichtet Sven Nothnagel, wie er dazugekommen ist. Ein bisschen Rhythmusgefühl könne nicht schaden. Am wichtigsten sei den Tänzern aber der Spaß in der Gruppe. „Konkurrenz wie bei den Mädels gibt es bei den Männern nicht. Das ist toll“, urteilt Trainerin Kerstin Denz. Lediglich Nicht-Narren erscheine das Hobby bisweilen seltsam. „Bei Kollegen kommt immer erst mal: Was? Ballett? Aber als ich letztens ein Video von unserem Auftritt gezeigt habe, hat er sich kaputt gelacht“, erläutert Jürgen Schmitt.
Männer in Frauenberufen
Zunehmende Präsenz wandelt auch das Bild von Männern in sogenannten Frauenberufen. Etwa bei den Erziehern. Bereits seit zwanzig Jahren arbeitet Sascha Jendro in dem Beruf. „An der Marienschule in Limburg waren wir damals nur zwei Männer. Da sind wir ab und zu noch vom Pausenhof verwiesen worden“, erinnert sich der 45-Jährige an seine Ausbildung. Auch als er für seine heute elfjährige Tochter Erziehungsurlaub genommen habe, sei er auf dem Spielplatz weitgehend allein unter Frauen gewesen. Ganz anders in der städtischen Kindertagesstätte Kellerstraße, wo in den vergangenen zwanzig Jahren immer mindestens ein halbes Dutzend Männer gearbeitet hätten. Das sei sowohl für Mädchen als auch für Jungs gut. „Es geht nicht nur ums Fußball spielen. Ein multiprofessionelles Team mit seinen verschiedenen Erfahrungen ist das, was am Ende das Non plus ultra ergibt“, ist Sascha Jendro überzeugt. Deshalb habe er sich vor einigen Jahren am Projekt „Mehr Männer in die Kitas“ beteiligt, indem er Eltern und Kinder dazu eingeladen habe, einen VW-Bus wieder in Stand zu setzen. Eine Aktion, bei der am Ende drei Mütter mit ihren Sprösslingen übrig geblieben seien.
Jungs sagen selbtbewusster: Ich werde Erzieher
„Jungs mit 15, 16 haben sich früher oft nicht getraut zu sagen: Ich werde Erzieher. Heute erlebe ich, dass junge Männer selbstbewusster sind“, zeigt sich Sascha Jendro zuversichtlich. Derzeit ist er Ansprechpartner für das Weiterbildungsangebot „Chance Quereinstieg“, mit dessen Hilfe der Fachkräftebedarf besser abgedeckt werden soll. Männern und Frauen mit mittlerem Bildungsabschluss, die bereits eine Lehre absolviert haben oder über gleichwertige Qualifikationen verfügen, wird dabei ermöglicht, in drei Jahren die Ausbildung als Erzieherin oder Erzieher abzuschließen. Einer, der einen Quereinstieg anstrebt, ist der gelernte Werbetechniker Pascal Hofmann. „Ich habe gutes Geld verdient, hatte einen Firmenwagen, aber ich war immer gestresst“, blickt der 27-jährige zurück. Bereits seit elf Jahren betreue er Kinderfreizeiten und habe dann bei einem Praktikum in der Otto-Witte-Kita in Nordenstadt festgestellt, dass er diese Arbeit ein Leben lang machen möchte. Die Praxiserfahrungen für seinen Quereinstieg sammelt er nun im Tandem-Kindergarten in Biebrich, wo er bis vor kurzem der einzige männliche Erzieher gewesen ist.
„Es gab Eltern, die waren der Meinung, ein Mann gehört nicht in die Kita“, berichtet Pascal Hofmann. Während es in seinem Freundeskreis eine Weile gedauert habe, bis man seine Entscheidung verdaut habe, hätte seine Familie immer hinter ihm gestanden. Anders als früher sei er nun ausgeglichen und zufrieden, was ihm das Gefühl gebe, auf dem richtigen Weg zu sein. Auch wenn man als Erzieher immer unter einem Generalverdacht stehe.
„Wir brauchen ganz dringend Männer im pädagogischen Bereich. Aber sie sind verdächtig, wenn sich ein Kind auf ihren Schoß setzt und Kinder aufs Klo zu begleiten, geht gar nicht. Das ist tragisch.“, bedauert die evangelische Pfarrerin Arami Neumann. Die 68-er Generation habe vor fünfzig Jahren äußere Strukturen aufbrechen können. Was den Alltag angehe, sei die Gesellschaft noch lange nicht in einer neuen Zeit angekommen. „Wir sind gerade in einer Phase, wo man sich damit abfinden muss, dass wir in Bewegung sind. Wo auch Frauen aufpassen müssen, dass sie nicht zu viel aufbauschen“, ergänzt die 43-jährige. Ziel müsse sein, vorurteilsfrei miteinander umgehen zu können. Dass sich die Männer stark verändert haben, sei nicht zuletzt auf das Christentum zurückzuführen. Schließlich bestehe eine der Hauptbotschaften darin, keine äußeren Unterschiede zu machen.
Offenere Rollenverteilung in Familien
Zeichen für Veränderung gebe es heute viele. In der Krabbelgruppe sehe sie mittlerweile genauso viele Männer wie Frauen und Väter würden heute auch an Gesprächen teilnehmen, die unter der Woche mitten am Tag stattfinden. Wenn die Pfarrerin in der Grundschule im Religionsunterricht von den Verhältnissen in der biblischen Zeit spreche, müsse sie den Kindern erst mal klar machen, dass die Verhältnisse damals anders waren. „Die Mädchen sind entrüstet und die Jungs amüsiert. Das zeigt: Es ist nicht mehr so“, verdeutlicht Arami Neumann. Für die Generation, die heute erzogen werde, sei eben nicht mehr festgelegt, wer in der Familie was macht. Angefangen vom Geld verdienen bis hin zum Bügeln. Deswegen glaube die Geistliche nicht, dass es eine reale Gefahr gebe, dass die Entwicklung des neuen Männerbilds sich zurück dreht. Nicht, weil Menschen aus Kulturen in die Gesellschaft migrieren, die noch ein anderes haben. Und schon gar nicht, wenn sich mal ein Shitstorm daran austobt.
Die Fotos zur Titelstory
Die Fotos zu dieser Geschichte zeigen nicht die Protagonisten des Beitrags. Es sind „Männer“-Fotos unterschiedlichster Art und Anlässe aus dem Portfolio des Fotografen, Filmemachers und Designers Daniel Sax. www.danielsax.de
Toller Artikel, Danke Hendrik.
Wer Interesse an unserer I-Group in Wiesbaden hat oder an der Initation meldet sich gerne bei mir, Martin oder Holger.
Oder kommt zum nächsten Männerfrühstuck am 27.04.2019.
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