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Fans zuerst „not amused“, dann außer Rand und Band: Sir Herbert Siebert rockte „very british“ das Kurhaus

 

Der Wiesbadener Oberbürgermeister ernannte ihn an seinem 80. Geburtstag zum Ehrendirigenten des Kurhauses, der Bad Homburger Oberbürgermeister erklärte ihn kürzlich zum „Sonnenkönig“ – und wenn er so weiter macht, dürfte sich niemand wundern, wenn die britische Queen ihn demnächst zum Ritter schlägt. Maestro Herbert Siebert, nimmermüder Gründer und Leiter des Johann-Strauß-Orchester Wiesbaden, rockte jetzt das wieder einmal voll besetzte Kurhaus mit seinem neuesten Streich: „Very british – Open Air – Pop & Klassik populär“ war das Konzertspektakel überschrieben, das das Publikum wiederholt in Jubelstürme versetzte und zum Finale in einem bunten fröhlichen Karneval mitten im Sommer mündete. Dabei war das Publikum, das angesichts des herrlichen Sommerabends erwartungsfroh den Kurpark ansteuerte, zu Beginn des in einem Triumph endenden Abend so ganz und gar nicht „amused“.

Zur Stunde der Entscheidung über den Austragungsort, am Vormittag des Konzerttages, hatte sich nämlich das Wetter in Wiesbaden von seiner britischen Seite gezeigt. Es regnete und die Veranstalter beschlossen, das Open Air-Konzert im Saale stattfinden zu lassen. Die Versuche des tapferen Moderatorengespanns Wolfgang Vater und Klaus Krückemeyer, von dem aus Sicht der Abendwitterung völlig unverständlichen Umzug mit britischem Humor abzulenken, ging ins Leere. Ein Großteil der Konzertgäste war stinksauer.

Doch dann kam er, der Sonnenkönig-Maestro, und brachte mit wenigen Takten die gute Laune zurück in den Saal, die allen Groll vergessen machte. Plötzlich schien die Sonne im Saal zu scheinen, so temperamentvoll, kraftvoll und fröhlich feuerte Siebert mit seinen hochkarätigen Musikern und den Solisten Claudia Grundmann (Sopran) und dem besonders kräftig bejubelten Tenor Eduardo Villa einen Hit nach dem anderen in den Saal. Mendelssohns „Hochzeitsmarsch“, Verdis „La Traviata“-Trinklied, der messerscharfe „Säbeltanz“ von Chatschaturjan, Csárdás „Die Fledermaus“ und „Wien bleibt Wien“ vom Namensgeber des Orchesters – da waren die Fans beschwingter und unverwüstlicher Musik schnell selig.

Nach der Pause nahm das teilweise standesgemäß mit Fähnchen, Hüten etc. ausgestattete Publikum die Plätze besonders erwartungsfroh wieder ein, denn jetzt stand das eigentlich Besondere dieses Konzertabends auf dem Programm: die Verbindung von Pop mit Klassik im Stil der legendären Londoner „Last Night of the Proms“-Konzerte, wozu sich auch noch ein riesiger Chor auf die Bühne gesellte. „Thank you for the music“ brüllte der 80-jährige Energiebündel-Dirigent ins Publikum, als er vom Pult aus das Publikum zum Mitsingen beim ABBA-Klassiker animierte. Das war aber noch gar nichts gegen seinen Auftritt in stilechter Montur für den „very british“-Part des Abend, „Jerusalem“, „Pomp and Circumstance“ und „Rule, Britannia!“ dirigierte er in Uniform, während die Sopranistin eine  überdimensionale Union Jack-Fahne schwenkte. Spätestens jetzt wähnte man sich in der Royal Albert Hall, das Publikum war außer Rand und Band, und plötzlich winkte auch noch die Queen vom Balkon – fast zumindest: ein Besucher hatte sich im Foyer am Stand des Geschäfts Britmania, das sonst in der Unteren Albrechtstraße britische Spezialitäten anbietet, mit einer entsprechenden Maske ausgestattet. Humoriger Abschluss eines sensationellen Konzertabends, der unter bewundernswerter Regie von Herbert Siebert auf einzigartige Weise hochkarätigen Musikgenuss mit größtem Vergnügen verband – in dieser Form zum ersten Mal, aber sicher nicht zum letzten Mal in Wiesbaden zu erleben. (dif)