Interview Dirk Fellinghauer. Foto Arne Landwehr.
BERUF
Sie haben die 60 überschritten, sind seit über 25 Jahren im Amt – wie, mit Verlaub, halten Sie die 1921 gegründete, 1933 verbotene, 1946 wieder gegründete Volkshochschule Wiesbaden am Puls der Zeit?
Die Volkshochschule hat sich schon immer an die aktuellen Anforderungen angepasst, sonst gäbe es sie nicht mehr. „Survival of the fittest“ – da bin ich Darwinist, nicht im Sinne von Überleben des Stärksten, sondern des Anpassungsfähigsten. Man muss es schaffen, Trends vorwegzunehmen, die Nase im Wind zu halten. Das schafft man freilich nicht immer und liegt auch mal daneben. Die Welt ist dynamisch, die Nachfrage der Menschen nach Weiterbildung ist dynamisch. Da kann man sich nicht ausruhen und zugucken. Jedes Volkshochschulprogramm ist ein Wagnis, ein Entwurf. Was uns frisch hält, ist aber auch der Generationenwechsel.
Wie schaffen Sie den Generationenwechsel an der VHS Wiesbaden?
Die jungen Leute rücken nach. Unsere jüngste Programmbereichsleiterin ist 28, ihr Kollege 32. Sie sind voller neuer Ideen und ständig zum Widerspruch bereit. Das ist manchmal anstrengend. Insgesamt überwiegt aber das Positive. Der Widerspruch ist schließlich die treibende Kraft der Geschichte. Wenn wir den Generationenwechsel nicht positiv gestalten und die Volkshochschule nicht ständig erneuern, dann sterben wir als Bildungseinrichtung. Ich muss selber gucken, dass ich mich verabschiede, solange es noch bedauert wird. Wie es in Brahms‘ Vertonung des 39. Psalms heißt::„Herr, lehre doch mich, dass ein Ende mit mir haben muss, dass mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss.“ Bei mir ist es voraussichtlich Mitte nächsten Jahres soweit, Hoffentlich nicht ganz so final wie im zitierten Psalm. Meine überaus tüchtige Stellvertreterin Annette Groth soll, wenn es nach mir geht, meine Nachfolgerin werden.
Was macht einen guten VHS-Dozenten aus?
Die Auswahl der Lehrkräfte ist eine der vornehmsten Pflichten der Fachbereichsleiter/innen. Über die Lehrkräfte werden wir wahrgenommen durch unsere Kundschaft. Wir haben über 500 Lehrkräfte und im letzten Jahr hatten wir 38.500 Kunden. Wir bieten auch umfangreiche Weiterbildung für unsere Lehrkräfte an. Unsere Lehrkräfte müssen fachlich vorne sein, aber genauso wichtig ist, dass sie die Fähigkeit haben, sich im Umgang mit Menschen auf unterschiedlichste Voraussetzungen einzulassen. Volkshochschule, das ist immer ein buntes Publikum mit großer sozialer Spreizung und unterschiedlichsten Lernvoraussetzungen. Das ist eine Herausforderung, die aber auch große Freude am Erfolg bereiten kann. Es geht um die menschliche Fähigkeit, mit anderen gleichberechtigt und fördernd umzugehen. Unsere Lehrkräfte müssen eine wertschätzende Unterrichtsatmosphäre gestalten, damit alle ihre Lernziele erreichen.
Ist die Reiz- und Informationsüberflutung unserer Zeit für die Institution Volkshochschule eine Gefahr oder vielleicht im Gegenteil sogar eine Chance?
Beides. Konrad-Paul Liessmann beschreibt in „Geisterstunde – Praxis der Unbildung“ eine Beobachtung, die ich auch gemacht habe – dass es eine ganz große Gefahr ist im Internetzeitalter, dass das Konzept Wissen oder Bildung völlig in Misskredit gerät. Die Illusion: Es gibt alles im Internet. Man muss nichts mehr wissen, man kann ja alles „googeln“. Wenn man aber nichts weiß, kann man auch nicht selbständig denken. Diese Entkopplung von Wissen und Denken heute ist fatal. Lernen heißt, bereits Vorhandenes mit Neuem zu verknüpfen. Wenn aber nichts da ist, kann ich auch nichts verknüpfen.
Woraus schöpfen Sie Hoffnung?
Es gibt immer auch Gegenbewegungen – zur Digitalisierung die Reanalogisierung. Menschen, die – temporär – aussteigen, die den Wert der Bildung und des eigenen sinnlichen Erlebens hochhalten, die nicht verkabelt in der Gegend rumlaufen, sondern ganz analog die Natur genießen und sich auf deren Schönheit einlassen, die Gerüche, das Blätterrauschen, das Vogelzwitschern, die majestätische Schönheit des Rheins – da brauche ich kein Meeresrauschen über Kopfhörer, sondern kann mich nach einem schönen Spaziergang mit meiner Frau Elke etwa in Walluff ans Weinfass setzen und einfach nur genießen – und mich ans weite, endlose Meer träumen.
MENSCH
Der Grat zwischen Lehren und Belehren ist schmal. Wie bewegen Sie sich darauf?
Ich unterrichte seit 1978 an Volkshochschulen und leite seit 1991 die Arbeitsgemeinschaft „Politik am Nachmittag“, die an die demokratischen vhs-Arbeitsgemeinschaften der Weimarer Republik anknüpft. Diese waren damals die wichtigste Neuerung im Erwachsenenbildungsbereich in Deutschland. Vorher war das gesamte Bildungswesen, auch Erwachsenenbildung, autoritär, von oben nach unten organisiert. Lernen muss aber als Austausch verstanden werden. Der Lehrende ist nicht nur Lehrender, sondern auch Lernender. Wenn ich mich vorne hinsetze und sage, ich weiß alles besser, funktioniert das nicht
Welche VHS-Kurse haben Sie selbst schon absolviert?
Wir waren immer eine Familie, in der viel gelernt wurde und Bücher da waren. Ich habe die unterschiedlichsten Kurse besucht: Englisch Konversation, MS DOS, Windows, Marketing…Und ich habe immer auch immer unterrichtet und dabei viel gelernt – sowohl von den Teilnehmern als auch in der Vorbereitung. Volkshochschule hält einen sehr wach und neugierig und nährt die Freude am Lernen.
Sie haben gelernt, Kontrabass zu spielen. Wo liegt für Sie die Herausforderung und Faszination dieses Instruments?
Früher habe ich Gitarre und Bassgitarre gespielt. Heute spiele ich in verschiedenen Bands wie Best Age und Fischer&Fiends Kontrabass, was mich sehr bereichert. Und auch in Duos mit Flöte oder Tenorsaxophon, das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Ein professioneller Kontrabassist wurde mal gefragt, warum er nicht früher im Duo gespielt habe, der sagte: „If you make a mistake, there is no place to hide“. In einer Band mit Schlagzeug, da kann man auch mal unkonzentriert danebenspielen, das fällt nicht so auf. Aber zu zweit … Das Besondere ist, dass man den Kontrabass auch streichen kann. Das ist für eine Band eine Bereicherung, weil es eine andere Klangfarbe hat. Wenn man bei „Free Falling“ von Tom Petty die Bassbegleitung streicht, da bekommt das ein Volumen, dass alle gucken und sich fragen, wo steht denn der Synthesizer. Dafür muss man aber wirklich viel üben. Der falsche gestrichene Ton steht gnadenlos im Raum, der falsche gezupfte Ton ist flüchtig. Der Kontrabass ist wirklich eine Bereicherung meines Lebens.
Was haben Sie von ihrem 1979 geborenen Sohn gelernt?
Durch seine Fragen sehr viel über die Welt und die Natur. Er ist auch musikalischer als ich. Er hatte Gitarrenunterricht bei Tom Woll. Bei Tom Woll lernen heißt übers Gehör lernen. Ich habe Musik leider über Noten gelernt. Das ist der falsche Ansatz. Unser Sohn Philip war natürlich ein kluger Bub. Seine Fragen und seine kindliche Betrachtung der Welt waren erfrischend und anregend. Wir haben inzwischen zwei Enkel, Mattis und Emma, und da geht es gerade so weiter. Die fragen Sachen, da ist man einfach von den Socken. Unser Sohn ist Diplom-Informatiker. Wenn meine Frau und ich Fragen haben, ist er die kaum zu ersetzende Quelle. Er beherrscht dieses strenge algorithmische Denken, das man als Informatiker braucht – und dabei ist er kreativ und innovativ auf seinem Gebiet! Davon hätte ich gern mehr.
Sie haben meistens einen witzigen Spruch auf den Lippen, scheuen sich auch nicht vor Albernheiten. Was lernen wir daraus über Ihre Sie?
Ich habe natürlich auch melancholische Phasen, etwa wenn ich mit dem menschlichen Elend in Stadt, Land und Welt konfrontiert werde. Der bekannte, leider viel zu früh gestorbene Wiesbadener Psychotherapeut Nossrat Peseschkian, der auch bei der vhs Wiesbaden unterrichtete, hat bei einer unserer Semestereröffnungen mal gesagt: „Das Leben ist viel zu kurz, um ein langes Gesicht zu machen“. Man muss die Dinge halt in der Vorstellung so lange hin und her drehen, bis irgendwie etwas Komisches rauskommt. Das ist versuchte Lebenskunst, um die begrenzte Lebenszeit, in wir wirken können, durch Humor erträglicher zu machen.
–