Von Dirk Fellinghauer.
Das Haus Seerobenstraße 2 am Sedanplatz im Westend, in dem nach einem Eigentümerwechsel langjährigen Wohnungsmietern und der im Erdgeschoss ansässigen langjährigen Westend-Institution „Das Lokal“ das Leben schwer gemacht wird, steht nach nur einem Jahr schon wieder zum Verkauf. Für 3.000.000 Euro bietet die „Immobilien-Vermittlung“ der Wiesbadener Volksbank das Haus als „Kapitalanlage“ an. Unter der Immobilien-Nummer 90.4826 wird ein „Wohn- und Geschäftshaus in zentraler Innenstadtlage“ angepriesen. Der Verkauf des Hauses und seine Folgen hatten Diskussionen über Gentrifizierungstendenzen in Wiesbadens buntestem – und bisher tendenziell bezahlbaren – Wohnviertel ausgelöst. Das Haus wurde und wird komplett saniert. Die erste fertig gestellte Wohnung, ein ausgebautes Dachgeschoss, wird derzeit auf Immobilienscout für einen Quadratmeterpreis von 15 Euro kalt zur Miete – und damit weit jenseits des Mietspiegels für Wiesbaden – angeboten.
Der für die Immobilie zuständige Verkaufsberater der Wiesbadener Volksbank bestätigte auf sensor-Anfrage, dass der derzeitige Eigentümer das Haus nach dem Erwerb (eine Erbengemeinschaft hatte es nach dem Tod der langjährigen Besitzerin verkauft) vor etwa einem Jahr „komplett durchsaniert“ habe und nun die Wiesbadener Volksbank mit dem Weiterverkauf beauftragt hat. „Die Wohnungen sind wunderschön, das steht außer Frage. Sie sind hochwertig und wirklich toll renoviert in höchster Qualität. Das ist nicht selbstverständlich“, zeigt sich der Immobilienprofi vom neuen Objekt im Portfolio beeindruckt. Gleichzeitig erwähnt er, dass ein solches Objekt mit nur 5 Einheiten (1 Gewerbeeinheit, 4 Wohnungen – und nicht 3, wie im Aushang beschrieben, keine Stellplätze – und nicht 2, wie im Aushang beschrieben) für Eigentümer nicht ohne Risiko sei: „Wenn da nur ein Mieter ausfällt, ist gleich ein Riesenloch in der Kasse“. Eine Frage dürfte sein, ob sich überhaupt Mieter finden lassen. Die bisher einzige fertig sanierte Wohnung im Dachgeschoss wird seit geraumer Zeit auf Immoscout angeboten, ist laut Angebot ab heute, 1. September, bezugsfertig – und noch zu haben.
Luxusausstattung an der Bundesstraße
Vielleicht sind 2.290 Euro Kaltmiete + 260 Euro Nebenkosten zuzüglich Heizkosten (und eine Kaution von 6870 Euro) für 153 Quadratmeter doch nicht die passenden Parameter für eine Wohnung („Qualität der Ausstattung: Luxus“) in diesem Viertel, in dieser Lage – direkt an der Kurve einer von früh bis spät stark befahrenen Bundesstraße. Während zwei langjährige Mietparteien nach der Androhung drastischer Mieterhöhungen längst ausgezogen sind, wohnt eine Bestandsmieterin weiterhin im Haus. „Sie zahlt weniger Miete“, sagt der Makler der Wiesbadener Volksbank und versichert, für die beiden verbleibenden Wohnungen seien Kaltmieten im Bereich 11 Euro geplant. Laut Aushang bei der Wiesbadener Volksbank am Haupthaus Schillerplatz soll das Haus insgesamt 9920 Euro „Soll-Miete“ monatlich erzielen, 119040 Euro im Jahr.
„Reine Kapitanlage scheidet aus“
Als Spekulationsobjekt hat das Haus nach Einschätzung des Experten keine Perspektive – mehr. „Reine Kapitalanlage scheidet aus“, sagt er mit Blick auf die vollständig erfolgte Sanierung: „Hier gibt es nichts mehr zu entwickeln“. Ein solches Haus sei eher ein Fall zum Beispiel für Familienunternehmen, die angesichts der niedrigen Zinsen auf dem Kapitalmarkt nach Alternativen suchen. Der Noch-Eigentümer könnte hingegen sein Geschäft machen. Nach sensor-Informationen wurde das Haus ursprünglich zu einem Kaufpreis im Bereich 1,5 Millionen Euro angeboten (was Branchenkenner für überteuert hielten), mindestens 1 Million Euro soll in die Sanierung gesteckt worden sein. Ob das Haus nun für die aufgerufenen 3.000.000 Euro weiterverkauft werden kann, bleibt eine spannende Frage.
Besichtigungen ab Montag
Ab kommenden Montag haben die Immobilienexperten der Volksbank Besichtigungstermine vereinbart. „Interessenten gibt es immer, Käufer selten“, dämpft der verantwortliche Verkaufsberater Erwartungen an einen schnellen Verkauf. Entsprechend kann er auch keinerlei Auskunft über mögliche Auswirkungen auf die Zukunft des beliebten Kiez- und Szene-Treffpunkts „Lokal“ geben: „Meines Wissens läuft der Vertrag bis Mitte 2018.“ Über alles weitere könne man erst reden, wenn es einen Käufer gebe. Nach dem Kauf des Hauses durch eine Immobilienfirma mit Sitz in Düsseldorf – Bechtolsheim See GmbH) wurden ohne Wissen der „Lokal“-Betreiber ihre Räume auf Immoscout zu Mietpreisen weit jenseits der bisherigen angeboten – zunächst als „Schicke Ladeneinheit im Szene Viertel“, wenig später als „Schicke Gastronomieeinheit im Szene Viertel“, jeweils für einen Mietpreis von 2.990 Euro mit einer Gesamtfläche von 152 Quadratmetern, die im aktuellen Angebot plötzlich auf 218 Quadratmeter Gewerbefläche angewachsen sind. Es waren und sind in Sachen Vermietung von Wohn- und Gewerbeeinheiten wechselnde und unterschiedliche Makler im Spiel.
„Kein Kommentar“ vom „Lokal“
Und was sagt zu den neuen Entwicklungen das „Lokal“ – mit neuem frischen Konzept am Start, das bestens ankommt -, um das sich aber trotzdem die vielen Stammkunden weiterhin Sorgen machen? Nichts. „Kein Kommentar“, sagt Betreiberin Martina Breidenbach auf sensor-Anfrage.
Wie immer die Geschichte auch weiter- und ausgeht. Nicht nur der Kaufpreis für das Haus ist hoch – sondern auch der Preis, den das „Lokal“ und seine Gäste, die langjährigen Mieter und, wenn dieser Einzelfall der Vorbote einer allgemeinen Entwicklung ist, früher oder später das ganze Viertel zu zahlen hat.
Hintergründe zur Entwicklung und Geschichte rund um das Haus und die Sorgen der Mieter und des Viertels im sensor-Bericht „Hip Hip, kein Hurra“ und in der Mensch Westend-Geschichte „Ringen um ein Stück Westend“.
Die Grünen werden aufgrund solcher Spekulanten am kommenden Mittwochabend den Antrag auf einen Millieuschutz stellen