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Also doch Walhalla-Abriss? Neues Gutachten wirft Fragen auf / New Yorker-Beschäftigte in Gefahr ? WVV relativiert

Als WVV und Stadt im Oktober 2016 im überfüllten Walhalla-Spiegelsaal ihre Pläne für das Walhalla inklusive Wunschinvestor präsentierten, regte sich massiver Protest. Wenige Monate wurde der Gebäudekomplex über Nacht für jede öffentliche Nutzung geschlossen. Jahr 5 des Leerstands ist kürzlich angebrochen.

Von Dirk Fellinghauer. Fotos Leonard Laurig.

Wer vor dem denkmalgeschützten Walhalla-Gebäude steht und fragt „Was wird hier gespielt?“, bekommt nun im fünften Jahr – einfach, lapidar und bitter – zur Antwort „Gar nichts!“. Seit dem 27. Januar 2017 ist das Gebäude für jede Nutzung geschlossen. Die Frage „Was wird hier gespielt?“ lässt sich mit Blick auf das Thema Walhalla aber auch anders – mit Blick auf Stadtpolitik, Stadtentwicklung und Verantwortlichkeiten – stellen. Und diesbezüglich ganz und gar nicht leicht beantworten. Neuestes Futter bekommen Zweifel, Gerüchte, Befürchtungen durch ein Gutachten, das die Verantwortlichen der Stadt heute diskutieren werden. Es stellt die bange Frage: Also doch Abriss? Und wirft brisante Fragen auf.

Das Gutachten soll diskutiert werden in der heutigen Sitzung des Aufsichtsrates der WVV Holding – dem stadteigenen Unternehmen, dem die Walhalla-Immobilie gehört. Geschäftsführer sind Rainer Emmel, der sich im Sommer in den Ruhestand verabschiedet, und Bernadette Boot, die am 1. März ihren Dienst angetreten hat und heute quasi ihren Einstand gibt. Aufsichtsratsvorsitzender ist Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD), Aufsichtsratsmitglieder sind unter anderem Kulturdezernent Axel Imholz (SPD), Bürgermeister Dr. Oliver Franz (CDU) sowie Vertrer:innen der Rathaus-Fraktionen.

Gebäudezustand „erheblich verschlechtert“ – aber warum?

Das Gutachten, das sensor in Ausschnitten vorliegt, vermittelt die Botschaft, dass sich der Zustand des Gebäudes – unter Regie der mit dem Projekt beauftragten Stadtentwicklungsgesellschaft SEG mit ihrem Geschäftsführer Andreas Guntrum  – in den letzten drei Jahren (in fett gedruckten Buchstaben vermerkt) „erheblich verschlechtert“ habe. Ins Feld geführt werden „Wassereintritt, Durchfeuchtungen, hohe Luftfeuchtigkeit, Regen, Putzschäden“.  Die Rede ist von (wieder fett geschrieben) „irreparablen Schäden“ bei der Bausubstanz, die „bei weiterem Abwarten“ drohten und die „zum Abbruch von ganzen Gebäudeteilen“ führen könne.

Eine erste Frage, die sich aufdrängt ist, warum hier von „weiterem Abwarten“ die Rede ist. Der Öffentlichkeit wurde in den letzten Jahren seit der Schließung von den Verantwortlichen mehrfach vermittelt, dass hier nicht abgewartet wurde, sondern der Erhalt des Gebäudes und das Abwenden weiterer Schäden und möglichen Verfalls permanent betrieben und regelmäßig kontrolliert werde. Wie konnte es dann passieren, dass nun das Gebäude „schneller altert als erwartet“, wie es im Gutachten heißt?

Über den tatsächlichen Zustand des Walhalla-Gebäudes wurde immer wieder, auch unter Fachleuten, kontrovers diskutiert. So widersprach die damals verantwortliche Denkmalpflegerin Dr. Wüllenkemper dem verantwortlichen Projektleiter Andreas Guntrum im Juni 2019 bei einer Veranstaltung des Kulturbeirats in mehreren gravierenden Punkten und betonte, dass nach ihrem Erkenntnisstand „keinerlei Einsturzgefahr“ bestehe.

„Besondere Risiken“ unter „New Yorker“-Sozialräumen

Brisant erscheinen nun andere Aussagen des am 25. Januar 2021 erstellten Gutachtens. Demnach seien „besondere Risiken“ insbesondere an den Decken unter den Sozialräumen des „New Yorker“ an der Hochstättenstraße festgestellt worden. Dort bestehe „unbedingter Handlungsbedarf wegen Einsturzgefahr“. Das klingt nach „Gefahr für Leib und Leben“ für die Mitarbeiter:innen des Bekleidungsgeschäftes, das unter dem Walhalla-Dach laut anderer Gutachten rund 800 Quadratmeter Fläche gemietet hat und dafür gut 132.000 Euro im Jahr an die WVV bezahlt. Zur Erinnerung: Wegen „erheblichen Gefahren für Leib und Leben“, die im Brandschutzgutachten vom 26. Januar 2017 genannt worden waren, wurde das Walhalla damals über Nacht geschlossen, die damaligen Mieter nach 15 Jahren kultureller Nutzung des Hauses verwiesen und  das im doppelten Sinne zentrale Wiesbadener Gebäude für jegliche weitere Nutzung gesperrt.

Bei „New Yorker“ will man sich auf Nachfrage offiziell nicht zu dem Thema äußern, aber dem Vernehmen nach wurde der Mieter bislang weder seitens der Stadt noch der WVV bezüglich der aktuellen Situation kontaktiert. Bei Einsturzgefahr?

WVV-Chef: „Nichts ist einsturzgefährdet“

WVV-Geschäftsführer Rainer Emmel relativierte nun heute auf Nachfrage gegenüber sensor die Aussagen des Gutachtens: „Nichts ist einsturzgefährdet“, versicherte er, die entsprechenden Aussagen in dem Gutachten seien „vielleicht etwas übertrieben“. Sicherungsmaßnahmen mit zusätzlichen Sprießen seien bereits in der Vergangenheit erfolgt, weitere „Sofortmaßnahmen, um die Sicherheit zu gewährleisten“ würden ergriffen werden.

Sanierung bleibt Ziel

Die WVV werde in der heutigen Sitzung ein Konzept vorlegen mit Maßnahmen, die „nicht überflüssig“ seien auch mit Blick auf die angestrebte Sanierung. Diese sei weiterhin erklärtes Ziel. Und ist übrigens auch Beschlusslage der Stadtverordnetenversammlung.

„Wir werden nichts abreißen“

OB Gert-Uwe Mende leitet die heutige Sitzung als WVV-Aufsichtsratsvorsitzender, die neue WVV-Geschäftsführerin Bernadette Boot gibt ihren Einstand. Fotos: Dirk Fellinghauer

„Wir werden nichts abreißen“, verspricht der WVV-Geschäftsführer. Weitere Aussagen könne er heute noch nicht machen, da er nicht der WVV-Aufsichtsratssitzung, in der auch die unter anderem die vom Kulturbeirat aufgebrachte Idee einer kulturellen Pop-up-Zwischennutzung diskutiert werde, vorgreifen wolle und dürfe. Ab Mittwoch (10.3.) könnten die Ergebnisse der heutigen Sitzung und die weiteren Pläne und Vorgehensweisen seitens der WVV und auch ihres Aufsichtsratsvorsitzenden, OB Mende, detailliert kommuniziert werden, versprach Emmel.

Dies erscheint auch nötig, auch mit Blick auf die Kommunalwahl am kommenden Sonntag. Hier reklamiert die Bürger:innen- und Wähler:innenschaft einen Anspruch darauf, dass vor der Wahl reiner Walhalla-Wein eingeschenkt wird. In der Facebook-Gruppe „Wir sind Wiesbaden“ kommentierte ein Mitglied die Thematik: „Mich kotzt das unglaublich an, und daher weiß ich immer noch nicht, wen ich wähle, denn ich sehe leider keine konkreten Lösungen. Ich rede nicht von Worten, denn das können wir alle, nur Taten zählen!“.

Falsche Ortsangaben im Gutachten

Als weiterhin besonders riskant inklusive Einsturzgefahr werden in dem aktuellen Gutachten „die Decken unter der Kleinen Kirchgasse neben dem Kinoeingang“ aufgeführt. Hier verwundert auch die Ortsangabe – die Kleine Kirchgasse ist das kleine Verbindungssträßchen vom Mauritiusplatz hinunter zur Neugasse, also recht weit vom Walhalla-Gebäudekomplex entfernt.

Erstellt wurde das Gutachten von BGF + – just jenem Architekturbüro, das im Oktober 2016 als Gewinner des von der SEG ausgelobten „Stegreifwettbewerb“ seine Pläne vorlegte und, wie auch damals bei einem denkwürdigen „Der visionäre Spezial“ im überfüllten Walhalla präsentiert, den gewünschten künftigen Walhalla-Betreiber/Investor, das bundesweit tätige GOP Varieté, gleich mitbrachte. Dieser zog sich bekanntlich nach intensiven Diskussionen in Stadtpolitik und -gesellschaft wieder zurück und verkündete, kein Interesse mehr am Walhalla zu haben. Zumindest vorerst.

Dass auch offiziellen und öffentlichen „Wir reißen nichts ab/ Wir sanieren“-Beteuerungen zum Trotz höchste Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gefragt ist und Alarmglocken bei News rund um das Walhalla mitunter reflexartig schrillen, verwundert nicht im Rückblick auf das, was rund um die und seit der Schließung im Januar 2017 seitens der Verantwortlich so alles (nicht) geschehen ist.

„Das Ding platt machen …“ – Flapsige Sprüche – oder tatsächliche Absichten?

„Irgendwie kriegen wir das Ding schon platt gemacht“ – der flapsige Spruch, den SEG-Chef Andreas Guntrum mal bei einer zufälligen Begegnung dem früheren Sozialminister und CDU-Parteifreund Stefan Grüttner, auf der Hochstättenstraße vor dem Walhalla stehend zurief, bekommt einen ganz neuen Klang, wenn man das „A-Wort“ plötzlich doch in Gutachten liest. Oder auch die scheinbar beiläufige Aussage von Mitte-Ortsvorsteher Roland Presber im Wiesbadener Kurier vom 23. Januar 2021: „Walhalla – Abriss oder Sanierung, eine schwierige Entscheidung“, sagte er da. Auf sensor-Nachfrage versicherte er, dass diese Aussage keinen aktuellen Hintergrund habe. „Das ist meine persönliche Meinung und private Erkenntnis“, so der SPD-Mann.

Nun ist es – unbedingt noch vor der Kommunalwahl am 14. März – Zeit für offizielle Aussagen. Es geht um Transparenz, Verantwortung und um Vertrauen. Wichtiger denn je in verunsicherten Zeiten wie diesen. Auch und gerade in Wiesbaden.

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