Von Dirk Fellinghauer (Text und Archivfoto).
Er trägt gern Fliege, nun macht er die Fliege, zumindest temporär. Der massiv unter Druck stehende Bernhard Lorenz lässt sein Amt als Wiesbadener CDU-Fraktionsvorsitzender sowie bedeutende Aufsichtsratsmandate in den städtischen Gesellschaften WVV, GWI und WJW ruhen. Dies gab der Kommunalpolitiker und Rechtsanwalt heute in einem Schreiben an alle CDU-Mitglieder bekannt, das auch sensor vorliegt. Hintergrund sind zweifelhafte Geschäftsbeziehungen zu WVV-Geschäftsführer (und CDU-Schatzmeister) Ralph Schüler mit Interessenkonflikten und angeblichen dubiosen Zahlungen , über die der Wiesbadener Kurier berichtete. Lorenz war gegen die Berichterstattung gerichtlich vorgegangen, seine zwei Klagen auf einstweilige Verfügung wurden aber in beiden Fällen abgeschmettert. Das Gericht attestierte der Tageszeitung, die wie auch sensor in der VRM erscheint, jeweils „ordnungsgemäße Recherche“.
Die Kolleginnen und Kollegen blieben und bleiben an der Sache dran, etwa mit der auf Aussagen namhafter CDU-Vertreter basierenden Berichterstattung über ein „System der Günstlingswirtschaft in der Wiesbadener CDU“ unter Bernhard Lorenz, der seinerseits allein in 18 Aufsichtsräten der Stadt sitzt und für seine „Ehrenämter“ in Stadtverordnetenversammlung und städtischen Gesellschaften rund 3000 Euro im Monat erhält. Zuletzt hatte der Wiesbadener Kurier vor drei Tagen berichtet, dass die Geschäftsbeziehungen zwischen Lorenz, der auch schon wegen fragwürdiger Beratergeschäfte mit dem Präsidenten der IHK Frankfurt in die Schlagzeilen und ins Visier der Staatsanwaltschaft geriet, und Schüler noch enger als bisher bekannt sind – und auch, dass der CDU-Parteivorsitzende, Bürgermeister Dr. Oliver Franz, die Entwicklungen „mit zunehmender Sorge“ betrachte. Der frühere OB Dr. Helmut Müller, Mitglied im Kreisvorstand der Partei, hatte bei der Premiere der sensor-Veranstaltung „Tresentalk“ in der Exil Bar auf die Frage „In welchem Zustand befindet sich die Wiesbadener CDU?“ so gequält wie vielsagend geantwortet: „Ausbaufähig“.
Nun also hat Lorenz die Reißleine gezogen – freilich, ohne irgendwelche eigenen Fehler oder gar Schuld einzugestehen. Stattdessen drückt er in dem Brief an „sehr geehrte Damen und Herren, liebe Parteifreunde“ auf die Tränendrüse und stellt dem Paukenschlag erstmal einen ausführlichen Absatz voran mit Schilderungen seiner „langen und prägenden Zeit“ während seiner bisher 17 Jahre als Vorsitzender der CDU-Fraktion, während der auf Parteitagen, an Wahlkampfständen oder bei Veranstaltungen „persönliche Bindungen und Freundschaften“ entstanden seien.
Dann holt er aus und schreibt: „Die Berichterstattung des Wiesbadener Kurier in den letzten Wochen erschüttert mich.“ Grenzen seien überschritten worden, seine Familie „Zielscheibe einer verletzenden und in der Sache falschen Berichterstattung“ geworden. Dagegen gehe er mit allen rechtlichen Mitteln vor.
„Aus Rücksicht auf diese für alle belastende Situation …“
So wie seine Familie und er persönlich würden auch Partei und Fraktion unter den „Auswirkungen der Berichterstattung“ leiden: „Sie alle werden seit Wochen mit Fragen konfrontiert und können dazu keine befriedigenden Antworten geben“, schreibt Lorenz. „Aus Rücksicht auf diese für alle belastende Situation“ habe er seine Fraktionsvorsitz-Stellvertreter Wolfgang Gores, Hans Joachim Hasemann-Trutzel und Nicole Rock-Knüttel gebeten, ab sofort die Geschäfte der CDU-Fraktion zu führen. Er werde sich in seinem Amt als CDU-Fraktionsvorsitzender vertreten lassen bis zur Klärung „a) des tatsächlichen Vorwurfs der Annahme von mindestens zwei Überweisungen von 45.000 Euro im Zeitraum von 2012 bis heute von Ralph Schüler oder einem von ihm beherrschten Unternehmen, b) des rechtlichen Vorwurfs, ich hätte ein rechts- und steuerberatendes Mandat mit Weisungsrecht gegenüber den Innendienstmitarbeitern der Firma Diplom-Kaufmann Dieter Engelmann, Inhaber Ralph Schüler & Tamara Stahnke als möglichen Interessenkonflikt gem. Nr. 4.3.11. S.2 des Beteiligungskodex unverzüglich dem Aufsichtsrat und dem Magistrat gegenüber offenlegen müssen oder ich hätte gegen das umfassende Wettbewerbsverbot gem. Nr4.4.11. S.§ des Beteiligungskodex verstoßen.“
„Nüchterne Klärung in greifbarer Nähe“
Lorenz setzt nun auf „die abschließende Klärung des tatsächlichen Vorwurfs“ durch das Ermittlungsverfahren „wegen zweifacher falscher Versicherungen an Eides statt“ gegen die ehemalige Mitarbeiterin Ralph Schülers, die dem Wiesbadener Kurier gegenüber von den fraglichen Zahlungen berichtet hatte, und sieht zudem „die nüchterne Klärung der relevanten Rechtsfragen in greifbarer Nähe“.
Abschließend betont Lorenz, dass seine heute bekannt gegebenen Entscheidungen rein politischer Natur seien und dem Schutze seiner Familie und seiner Partei dienen sollten, und bedankt sich für „mannigfaltige Unterstützung und großen Zuspruch in den letzten Wochen“.
Auch wenn es eigentlich um etwas ganz anderes – die Nominierung des OB-Kandidaten geht – dürfte es ein spannender CDU-Kreisparteitag am heutigen Dienstag ab 19 Uhr im Bürgerhaus Kostheim werden. Die CDU-Rathausfraktion kam am Montagabend zu einer Sondersitzung zusammen.