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Biennale, Beton & Besserwisser – Eine Polemik  / Debatte zur „Erdogan-Statue“ in Wiesbaden

Von Alexander Pfeiffer.

Die zweite Wiesbaden Biennale ist vorbei, die Ruhe nach dem Sturm durchzogen vom Genörgel einiger Kommentatoren, die das schöne Wiesbaden der Hässlichkeit preisgegeben sehen und schon mal danach fragen, ob für so etwas denn tatsächlich Steuergelder aufgewendet werden sollten. Im Zentrum des Genörgels, na klar, der Biennale-Böller, dessen Widerhall sogar jenseits des großen Teichs zu vernehmen war: der vier Meter hoher Beton-Erdogan mit Goldanstrich. Auf dem Platz der deutschen Einheit. Mit erhobenem Zeigefinger.

„Kunst ist das, was sichtbar macht, was ist“, gab Staatstheater-Intendant Uwe Eric Laufenberg am Tag nach der Errichtung der Statue zu Protokoll. Und tatsächlich war wohl das Schönste an dieser hässlichen Statue, wie sie die Funktionsweise von Politik sichtbar machte. Verkündeten unsere Stadtväter am Morgen noch per Pressemitteilung, man habe sich „nach ausführlicher Diskussion zur im Grundgesetz verankerten Kunstfreiheit bekannt“, erfolgte am Abend dann der Abbau der Statue, nachdem der Ordnungsdezernent einmal laut „Stichwaffen!“ gebrüllt hatte. Ein Lehrstück, das wohl nicht mal der Schöpfer des Betonogans – dem Vernehmen nach der Schweizer Aktionskünstler Christoph Büchel – so passgenau vorhergesehen hat.

Diskussion, Diskurs … Messer!?

Aber damit noch lange nicht genug. Erstaunlich viele der Nörgler sind sich im Nachgang einig: Man hätte Betonogan erst gar nicht nach Wiesbaden lassen dürfen. Denn, und hier wird es ulkig, die Bewohner des Quartiers rund um den Platz der deutschen Einheit, also des Wiesbadener Westends, seien einfach zu ungebildet, zu migrantisch, letztlich zu doof, um eine derart provokante Kunstaktion verstehen und aushalten zu können. Der Diskussion unfähig, erledigen die den Diskurs am Ende doch mit dem Messer.

Klar, Messer und Migrant, gehört ja bekanntlich zusammen. Fragen Sie mal Lutz Bachmann.

Stand im Wiesbadener Kurier als Kommentar des Lokalchefs zu lesen: „Wie hät­te die gan­ze Num­mer aus­ge­hen kön­nen, wenn die auf­ge­brach­te Men­ge nicht nur der Skulp­tur mit Ei­ern und Spu­cke zu Lei­be ge­rückt wä­re? Wenn statt dras­ti­schen Vo­ka­bu­lars (‚Du Hu­ren­sohn’ oder ‚Du Kin­der­mör­der’) ei­ner über­rea­giert und ein Mes­ser ge­zückt hät­te …“

Ich wohne ja nun in der Schwalbacher Straße, habe zahlreiche Messer in der Küchenschublade und letztes Jahr einen kleinen Gedichtband mit dem Titel „Begrabt mein Herz an der Biegung der Schwalbacher Straße“ veröffentlicht. Will sagen, ich fühle mich hier so wohl wie die Sau im Dreck.

Kanaken jeglicher Art im (Kultur-)Kiosk

Um die Ecke, am Platz der deutschen Einheit, ziemlich genau da, wo vor Kurzem noch Betonogan den Zeigefinger hob, befindet sich der Kiosk Somar. Jeden Monat drehen wir dort für „Pfeiffers Kultur Kiosk“, die Videokolumne, die ich für den Wiesbadener Kurier produziere. Inhaber des Kiosk Somar ist ein Aramäer – dessen Kundschaft zu großen Teilen aus Arabern und Muslimen besteht. Aber auch aus Osteuropäern, Balkanabkömmlingen, Skandinaviern, Asiaten und Deutschen. Kurz, aus Kanaken jeglicher Art. Wir sind eine nette, kleine Gemeinde hier in unserem Viertel. Mögen es ganz gerne ein bisschen schmutzig und derb. Was und wie viel wir aushalten können, das entscheiden wir noch immer selbst. Wir integrieren prinzipiell jede und jeden – ob sie wollen oder nicht.

Was wir nicht so gut abkönnen, ist, wenn jemand aus Kloppenheim oder anderen entlegenen Gebieten kommt und uns erklären will, wir wären einfach zu doof, um Kunst verstehen oder aushalten zu können. Dieser nicht tot zu kriegende sozialpädagogische Ansatz, man müsse mit gewissen Leuten bei der Vermittlung von Kunst und Kultur sehr behutsam umgehen, zeigt auch im vorliegenden Fall nur auf diejenigen, die ihn zur Anwendung bringen wollen und nicht auf diejenigen, auf die er angewendet werden soll.

In diesem Sinne: Besten Dank an die Wiesbaden Biennale fürs Durchlüften! An die Besserwisser und Pädagogen: Auch Zeigefinger können Stichwaffen sein!

Im Nachgang zur Wiesbaden Biennale und zur umstrittenen Kunstaktion rund um die „Erdogan-Statue“ auf dem Platz der deutschen Einheit veröffentlichen wir in loser Folge Debattenbeiträge.

Alexander Pfeiffer (Foto: Carina Faust), geboren 1971 in Wiesbaden, ist Schriftsteller und vielfältig aktiver und gefragter Literatur-Veranstalter, Moderator und Workshop-Leiter. Er ist unter anderem Mitglied im Internationalen PEN-Club/ PEN-Zentrum Deutschland und im Kulturbeirat Wiesbaden. www.alexanderpfeiffer.de

„Auf die Schwalbacher!“ ist das Motto beim „City Hack“ am Sonntag, 23. September, von 12 bis 18 Uhr. Alle Infos zu der von sensor präsentierten Veranstaltung, unter anderem auf dem sonst höchstens als Trampelpfad genutzten Grünstreifen in der Mitte der Schwalbacher Straße, hier.