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Das große 2×5-Interview: Ann-Marie Arioli, Künstlerische Leiterin „Neue Stücke aus Europa“, 45 Jahre

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Interview Dirk Fellinghauer. Foto Simon Hegenberg.

„Rebellisches Theater“ lautet in diesem Jahr das Thema der Theater-Biennale „Neue Stücke aus Europa“. Was ist darunter zu verstehen?

Das Theater reagiert natürlich auf die Unruhen, die es in Europa gibt. Diese Phänomene beschäftigen Dramatiker auch gerade deswegen, weil es bei Rebellion eigentlich nicht um eine Revolution geht, sondern um ein emotionales Aufbäumen meistens einer urbanen Bevölkerung für die Mitbestimmung ihrer Lebensumstände. Damit trifft es den Kern von Theater, das auch bezweckt, Emotionen zu schüren, zu wecken, aufzubringen. Und das findet sich in Produktionen wieder, die entweder das Publikum direkt agitieren oder dieses Aufbäumen thematisieren.

Aus welchem Land kommt derzeit das aufregendste europäische Theater?

Ungarn ist im Moment sehr stark, und das gerade in einer Situation von Kürzungen und Bedrohungen. Nach wie vor ist das Baltikum ein spannender Ort. Oder Russland, das sich gerade in eine experimentellere Richtung bewegt, auch unter schwierigen Bedingungen und einer großen staatlichen Kontrolle.

Was macht das Wesen der Theaterbiennale aus?

Die fast schon perfekte Verbindung von einem Publikumsfestival mit einem Arbeitsfestival. Durch das Patensystem finden wir die Produktionen über renommierte Dramatiker in den jeweiligen Ländern, die auch alle auf dem Festival sind. Zudem ist es, gerade weil wir auch fernab der Metropolen und der schon gängigen Trends suchen, ein Festival, das immer auch wieder Autoren und Regisseure entdeckt hat.

 „Neue Stücke“ sind  immer auch radikale Stücke, die dem Publikum einiges zumuten. Wo muss sich das Publikum diesmal auf harten Tobak gefasst machen?

„Zoran Đinđić“ von Oliver Frljić ist härterer Tobak, weil das Stück das Publikum sehr stark direkt anspricht in Bezug auf seine Verantwortung, sein Demokratieverständnis. „Dementia“ ist eine Produktion, die sich nicht scheut, Dinge deutlich zu zeigen und direkt anzusprechen. Manchmal ist es vielleicht gar nicht härterer Tobak im eigentlichen Sinne. Eine  sehr feine poetische Arbeit aus Irland, „Lippy“, mutet dem Publikum zu, eine Geschichte zu ertragen, die sich nicht auflösen lässt – anhand eines Kriminalfalls, den es in Irland wirklich gab vor einigen Jahren, von vier Frauen, die sich zu Tode gehungert haben.

Generell ist die Biennale der Ort, wo Theater aufregender, innovativer, experimenteller und provozierender ist als sonst. Warum kriegen das die deutschen Staats- und Stadttheater so nicht hin?

Es  wäre unfair zu sagen, dass sie es nicht hinkriegen, weil jedes Theater in dieser Richtung forscht. Aber natürlich gibt es in der Fülle, die ein Staats- oder Stadttheater anbieten muss, eben immer eine Vielzahl von Produktionen. Manchmal wirkt es dann so, als wäre das Experimentelle am Rande. Beim Festival zeigen  wir gebündelt in elf Tagen 21 Produktionen aus 18 Ländern, da zeigen sich Strömungen deutlicher. Wir suchen schon auch gezielt experimentellere, neue Stücke.

MENSCH

Sie sind Wiesbadenerin auf Zeit. Wie nehmen Sie diese Stadt wahr?

Es ist eine sehr schöne Stadt, die in einer wunderbaren Umgebung gelegen ist. Als Schweizerin fühle ich mich hier durchaus wohl, weil für mich auch die Landschaft wichtig ist. Wiesbaden schafft es auch, ein städtisches Gefüge zu erhalten. Es ist nicht einfach, neben einer Metropole wie Frankfurt Stadt zu bleiben und nicht plötzlich eine Agglomeration zu werden. Was auffällt, ist eine sehr große Teilung, fast schon geografisch in einen armen und reichen Teil. Das ist eine große Schere, die es in jeder Stadt gibt, die aber hier recht sichtbar aufgeht.

Wie organisieren Sie ihr berufsbedingtes Leben ohne festen Wohnsitz?

Das hat sich als gar nicht so schwierig herausgestellt. Erst mal habe ich bei Freunden gewohnt und jetzt wohne ich bei einer Dramaturgin vom Staatstheater in einer WG, das war recht leicht zu organisieren.

Wo in welchen Situationen fühlen Sie sich fremd in dieser Stadt?

Eigentlich fühle ich mich recht selten fremd. Gerade, weil ich die Stadt dann doch schon seit zehn Jahren kenne und zwischendurch auch immer mal da war.. Wenn´s um Hessische geht, dann bin ich nicht so anpassungsfähig, wie man sich das vielleicht wünschen würde. Ich glaube, diesen Dialekt werde ich nie lernen. Ich spreche schon ein paar, aber mit diesem wird es nichts.

Eine Mehrheit ihrer Landsleute hat ein per Volksentscheid dokumentiertes Problem mit Fremden im eigenen Land. Wie beurteilen Sie die Abstimmung?

Das ist nicht so leicht zu erklären im Ausland. Erstens muss man dazu sagen, dass die Schweiz mit einem „Ausländeranteil“ von 23 Prozent in einer anderen Dimension liegt als Deutschland mit 8 Prozent. Diese Entscheidung wurde gar nicht so sehr – und da waren die Initiatoren sehr geschickt – mit ausländerfeindlichen Argumenten gewonnen, sondern mit Argumenten, wo es um verstopfte Autobahnen und Wohnungsnot etc. ging. Das hat leider verfangen. Wenn man die Schweiz kennt, weiß man, dass jede Abstimmung eine Abstimmung vor der nächsten ist. Da kann sich alles wieder ändern. Ich glaube nicht, dass es am Ende sehr viele Konsequenzen geben wird. Weil es mit der EU nicht vereinbar ist und die EU ist der größte Exportpartner. Die Schweiz beißt selten in eine Hand, die sie ernährt. Die Schweizer schon gar nicht. Es gab einen sehr lustigen Artikel von einem Deutschen, der sagte, nach der Abstimmung waren alle so nett zu ihm wie noch nie. Als wollten sie sich persönlich für das Abstimmungsergebnis entschuldigen. Es kam sicher auch dadurch zustande, dass die eher Linksorientieren einfach nicht an die Urne gegangen sind, weil sie dachten, das kommt eh nicht durch und dann halt Pech gehabt haben. Ich nehme an, dass die nächste Abstimmung spätestens in vier Jahren da ist, die das wieder versucht rückgängig zu machen. Man muss auf jeden Fall was dagegen tun.

Fahren Sie Fahrrad?

Ja. In Wiesbaden nicht, da muss ich erst noch ein Fahrrad finden, aber da ich nicht Auto fahre, fahre ich sonst notgedrungen Fahrrad. Das Fahrrad, das ich jetzt habe, habe ich auf der Velobörse gekauft. Es ist also ein gebrauchtes Fahrrad. Das empfiehlt sich in Zürich, weil sie ständig geklaut werden. Man sollte dort nicht allzu viel in sein Fahrrad investieren.