Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Simon Hegenberg.
BERUF
Ist es Ihnen in diesem Sommer gelungen, unsere Stadt zu verfluxen?
Was man so sensort und fühlt, zeigt zumindest, dass Fluxus weit wahrgenommen wurde. Inwieweit wir jetzt Wiesbaden in den „State of Fluxus“ gebracht haben, vermag ich nicht zu sagen. Aber ich denke, übersehen hat man es nicht können. Der aufregendste Fluxus-Moment kommt wahrscheinlich noch mit der Fluxus-Gala am 1. September. Da kommen lauter Old School-Fluxisten, lauter ältere Herren und eine ältere Dame. Ich bin ich schon sehr gespannt, wie diese auftreten und den Geist ins 21. Jahrhundert getragen haben werden.
Sie halten erfrischende, mitreißende Eröffnungsreden. Sind Sie angetreten, um der Institution Museum den Staub aus den Gemäuern zu blasen?
Wahrscheinlich schon qua Generation ein bisschen. Das ist jetzt die Zeit, wo die Institution Museum dringend hinterfragt werden muss. Das geschieht fast täglich. Uns wird nichts anderes übrig bleiben, als das Museum neu zu definieren. Ich weiß gar nicht, ob das Museum jemals staubig war. Aber zumindest muss es wohl anders werden. Wofür ich angetreten bin, ist, ein Museum deutlich bewegter und beweglicher zu machen. Die bildungsbürgerliche Einrichtung des 19. Jahrhunderts funktioniert einfach so nicht mehr, weil es das Bildungsbürgertum so nicht mehr gibt. Ich bin zwar selber Bildungsbürger. Aber der Kanon ist einfach weg. Bei uns vor der Museumstür sitzt Johann Wolfgang von Goethe. Man kann froh sein, wenn Leute ihn überhaupt erkennen als solchen.
Wie wollen Sie Ihre Generation oder auch noch jüngere verstärkt ins Haus locken?
Ich weiß nicht, ob ich für meine Generation stehe. Ich bin groß geworden und habe klassische Musik geliebt. Das ist schon mal deutlich anders als bei anderen meines Alters. Ich gehe aber trotzdem mit dem Anspruch ins Museum, dass ich mich weniger bilden als inspirieren lassen möchte. Ein Museum heutzutage soll einen zuallererst kicken und auf eine andere Ebene heben. Das würde ich gerne Leuten vermitteln, die vielleicht mit einem Museum nicht viel zu tun haben.
Wie vermitteln Sie im Haus, was Sie vorhaben – wie ist Ihr Führungsstil?
Kommunizieren, kommunizieren, kommunizieren. Das ist aber gar nicht so schwer, da meine vier unmittelbaren Kollegen meines Alters sind. Alle Kolleginnen und Kollegen sind so in ihren Dreißigern, Vierzigern. Die, die älter oder jünger sind, runden das Ganze ab.
Ist Ihnen auch der Austausch mit der Kunst- und Galerienszene der Stadt wichtig oder sitzen Sie auf einem hohen Museumsross?
Kunst ist Kunst erst einmal. Ich will schon, dass das Museum eine Aura hat, etwas Besonderes sein sollte. Unser Anspruch ist, dass man bei uns unbedingte Qualität zu sehen bekommt. Das ist das einzige hohe Ross, das ich kenne. Ansonsten ist Kunst in allen Facetten interessant – und in Wiesbaden vielfach vorhanden.
MENSCH
Sie sind kürzlich Vater geworden – was ist das für eine Erfahrung?
Die Erfahrung ist jetzt vier Monate alt, und sie ist der Hammer. Das haben mir zwar alle schon vorher gesagt. Aber wenn man selbst die zurzeit sechs Kilo Lebendgewicht in der Hand hält und der lacht einen morgens an … Joel schläft bei uns im Bett. Wenn er sich das erste Mal streckt und die Augen aufmacht und kapiert, wo er ist, dann kommt erst mal ein ganz breiter Grinser und dann fällt man schon tot um vor Glück.
Haben Sie das Gefühl, in einer familienfreundlichen Stadt zu leben?
Ich habe immer gedacht, Berlin sei familienfreundlich. Da war ich gerade jetzt wieder und habe festgestellt, dort möchte ich mit einem Kind doch nicht U-Bahn fahren. Wiesbaden ist durch seine Größe schon familienfreundlich. Das Westend ist sehr familienfreundlich. Natürlich ist Wiesbaden auch eine radikale Autofahrerstadt. Ob das jetzt familienfreundlich ist, sei mal dahingestellt.
Sie leben mit Ihrer Familie im Westend – ist das die standesgemäße Adresse für den Museumsdirektor einer Landeshauptstadt?
Was für einen Stand hat man als Museumsdirektor? Ich lebe einfach gerne da, wo Dinge passieren. Der Gedanke, irgendwo in einer vorstädtischen Siedlung im Grünen zu wohnen, der wäre vielleicht reizvoll fürs Kind und vielleicht würde ich es fürs Kind mal irgendwann tun. Aber ich selber bevorzuge einfach, so zentral wie möglich zu leben. Dass ich dem Fahrrad sieben Minuten zum Museum brauche, ist einfach ein unschlagbares Lebensqualitäts-Plus. Das Westend ist schon standesgemäß: Es ist ein sehr kreatives Viertel, und Museumsleute sollten nahe bei der Kreativität sein.
Eine Ihrer ersten beruflichen Stationen war das Guggenheim Museum in New York – haben Sie irgendetwas in Wiesbaden gefunden, was Sie an diese Stadt erinnert?
Oh ja, diese Alleen hier, Adelheidstraße und so was. So sieht die Upper East Side und die Upper West Side aus. Beschauliche Straßen mit Bäumen davor und recht prunkvollen historistischen Gebäuden. Aber das war es dann auch schon.
Wie eitel sind Sie?
Ich wurde ja heute zum sensor-Fototermin als „gut angezogener Mensch“ begrüßt. Keine Ahnung, wie nennt man denn so Typen wie mich? Metrosexuell, geprägt von der schwulen Kultur. Viele meiner Freunde sind extrem fashion-interessiert. Das färbt dann so einen Hauch ab. Allerdings bin ich zu faul dafür. Ich interessiere mich nicht für Mode. Aber ich mag gut angezogene Menschen und versuche manchmal, es ein bisschen nachzuahmen. Früher war ich ein bisschen snobbish und dachte, Mode ist etwas für Teenies und irgendwelche Verrückten. Dann kam ich zum Victoria & Albert Museum in London, das sich ernsthaft der Mode als kulturellem Phänomen widmet. Das Crossover zwischen Kunst und Mode hat mir sehr gut gefallen. Im Museum würde ich jetzt nicht mit Models arbeiten, um die Bude voll zu kriegen. Aber wenn es mal eine sinnvolle Überlappung gibt, warum nicht. Ein Fashion Shooting bei uns im Haus kann ich mir gut vorstellen.