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Das große 2×5-Interview: Ricarda Junge, Schriftstellerin, 34 Jahre, 2 Töchter

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Interview Dirk Fellinghauer. Foto Simon Hegenberg.

Ihren ersten Roman haben Sie vor ziemlich genau zehn Jahren veröffentlicht. Wie zufrieden sind Sie mit dem Verlauf ihrer Karriere als Schriftstellerin?
Der erste Roman „Kein fremdes Land“ kam 2005. Es ist kein einfacher Beruf, sagen wir mal so. Es gibt kein Arbeitslosengeld, kein Urlaubsgeld, keinen Urlaubsanspruch, kein Krankengeld. Man kann nach einer Geburt keine Elternzeit nehmen. Ich bin alleinerziehend, ernähre zwei Kinder davon. Als ich angefangen habe, haben alle gesagt, das ist brotlose Kunst, wie willst Du das schaffen. Davon zwei Kinder zu ernähren, war nicht geplant. Aber es geht. Ich liebe diesen Beruf. Ich kann mir nichts anderes vorstellen. Ich bin einfach ein glücklicher Mensch, wenn ich schreibe. Ich würde nichts anderes machen wollen. Ich muss immer lachen, wenn sie im Radio so etwas sagen wie „Oh Gott, heute ist Montag – noch fünf Tage bis zum Wochenende.“ Da denke ich immer, was für Berufe müssen das sein, dass man sich darauf freut, freizuhaben. Meiner gehört definitiv nicht dazu.
Sie sind als Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Leipzig eine von wenigen „Diplom-Schriftstellerinnen“. Kann man literarisches Schreiben wirklich studieren?
Ja, definitiv. Du brauchst Talent, aber Du brauchst auch ein gewisses Handwerkszeug. Dieses kann man erlernen und muss man auch erlernen. Das geht an einer Universität eben viel schneller und kompensierter. Mittlerweile unterrichte ich das ja auch. Ich kann meinen Schülern beibringen, wie sie etwas ausdrücken, wie sie den Text gut schreiben. Aber ich kann ihnen nicht beibringen, das Richtige zu sehen und das richtige Thema zu wählen. Das müssen sie selber erspüren.
Sind Sie offen für Literatur jenseits der zwei Buchdeckel?
Ich bin sehr glücklich, dass ich meinen Verlag habe, der meine Bücher druckt, und ich bin für mich furchtbar altmodisch. Meine sechsjährige Tochter wollte mir gerade mein Smartphone abnehmen, weil sie meinte, ich würde es ja nur zum Telefonieren benutzen. Als ich gesagt habe, ja aber es ist doch ein Telefon, hat sie gesagt, ein Smartphone kann so viel mehr. Ich gehöre da wirklich zur alten Schule. Ich bin offen dafür, dass es so was gibt, ich bin kein Gegner des e-Books oder von Book on demand, das fand ich schon damals Ende der neunziger sehr faszinierend. Aber ich lese auf Papier und schicke auch meine Manuskripte auf Papier und nicht per Mail raus, weil ich sonst nicht das Gefühl habe, was geleistet zu haben.
Was an Ihrer Heimatstadt Wiesbaden taugt zum literarischen Stoff?
Ich habe mich an Wiesbaden nie ran getraut. Das war mir irgendwie zu nah. Ich wollte meine ganze Kindheit und Jugend lang aus Wiesbaden weg und habe mich da irgendwie als Außenseiter gefühlt. Und sobald ich weg war, hatte ich große Sehnsucht nach dieser Stadt. Was daran literarisch taugt, ist genau diese Spannung. Dass es mich hierher zieht, und dass ich gleichzeitig immer wieder weg musste. Wiesbaden ist die einzige Stadt, wo ich von den Nachbarn angesprochen wurde, was ich eigentlich beruflich machen würde, dass ich spät nach Hause und morgens spät aufstehe. Womit ich eigentlich meinen Unterhalt verdienen würde.
Woran arbeiten Sie aktuell?
An „Die letzten warmen Tage“, ein sehr umfangreiches Romanprojekt. Im Februar ist Abgabe, im Herbst 2014 soll er erscheinen, pünktlich zu 25 Jahre Mauerfall. Der Roman spielt zum großen Teil in Wiesbaden. Er handelt von einer Frau, die als Kind aus der DDR flüchtet und in die Bundesrepublik kommt und sich eigentlich sehr gut integriert nach der Flucht, die nach außen hin sehr erfolgreich ist und eine Familie gründet, die aber eigentlich immer diese Unsicherheit in sich hat.

MENSCH
Sie haben im Osten und im Westen gelebt. Ist Deutschland 23 Jahre nach der Wiedervereinigung wirklich vereint?
Ich habe eigentlich fast nur im Osten gelebt nach Wiesbaden. Nein, Deutschland ist nicht vereint. Aber ich glaube, das ist auch in Ordnung so. Das sind einfach zwei völlig unterschiedliche Lebenswege, die da aufeinander getroffen sind. Und ich empfinde diese Unterschiede als produktiv. Meine Bücher drehen sich alle um Ost-West. Das ist für mich ein ganz starkes Arbeitsmotiv. „Es wächst zusammen, was zusammen gehört“ … nein, es lebt jetzt zusammen, was zusammen gehört. Aber ein Körper ist es nicht, und das muss es auch nicht sein.
Welche Kindheits- und Jugenderinnerungen haben Sie an Wiesbaden?
Das ist eine heikle Frage! Zum einen sehr gute, ich bin hier sehr behütet aufgewachsen als Pfarrerstochter. Mein Vater war viele Jahre Pfarrer an der Marktkirche und auch in der Kommunalpolitik aktiv. Was ich am meisten vermisse, ist zum einen das warme, milde, fast südliche Wetter. Da muss ich in Berlin oft dran denken, wenn Schnee fällt. Und das Thermalbad, die heißen Quellen. Das kommt auch in meinem Roman vor. Ich kam auf meinem Weg zur Schule immer am Thermalbad vorbei und bin gerne ausgestiegen, wenn ich diese Schwaden gesehen habe, und anstatt zur Schule ins Thermalbad gegangen. Wenn ich nach Wiesbaden komme, fühle ich mich zuhause. Ich lebe in Berlin, ich bin dort aber nicht zuhause. Zum anderen wollte ich halt aus Wiesbaden immer raus.
Was war denn für Sie so schlimm hier?
Ich wollte, dass es aufhört, dass man mich fragt, warum ich schreibe, ob ich nicht mit dem guten Abitur auch etwas Vernünftiges machen kann, warum ich nicht weiter Jura studiert habe. Diese Fragen sind typisch Wiesbadenerisch – verdient man damit auch genug Geld? Und trotzdem ist es so, dass ich hier in Wiesbaden zuhause bin. Das merkt auch meine Tochter. „Hier kennste dich aus“, hat sie mir neulich gesagt.
Welche Gute-Nacht-Geschichten lesen Sie Ihren Töchtern vor?
Im Moment lesen wir „Peter Pan“. Und zuletzt „Das Nesthäkchen“. Das habe mir früher meine Eltern vorgelesen. Das ist ja phänomenal, wenn man das als Erwachsener nochmal liest, weil das eine sowas von antiquierte gestrige preußische Welt mit den sonderbarsten Gesundheitsregeln. Das lesen wir mit großer Freude, meine Tochter ganz unbedarft und findet es ganz toll so wie ich als Kind auch. Und ich mit unglaublichem Amüsement, was da eigentlich für ein unglaublicher Unsinn drin steht. Bis dahin, dass die Frau sich natürlich immer dem Rat und Willen ihres Ehemannes Herr Dr. Braun unterordnet. Wenn man es heute liest, merkt man, dass der Untergang sich da schon ankündigt mit Gehorsam, Autoritätsglaube und so weiter.
Wie wichtig ist der Pfarrerstochter und ehemaligen Theologiestudentin die Lektüre der Bibel?
Ich beschäftige mich sehr damit. Es ist die Grundlage meines schöpferischen Schaffens, mein Glaube an Gott, an Schöpfung, an Zerstörung und an Schöpfungskraft. Ich bin Mitglied der Kirche, meine Tochter besucht eine evangelische Schule im Osten Berlins. Zwei meiner Romane haben Bibelzitate. Ich verstehe es nicht im streng religiösen, sondern im weltanschaulichen und spirituellen Sinne als Grundlage meines Schaffens. Das ist mein Grundverständnis von Welt und Mensch und Schöpfer, das auch in meiner Arbeit mitspielt.