Interview Dirk Fellinghauer. Foto Simon Hegenberg.
BERUF
Die IHK setzt sich im Interesse ihrer 35.000 Mitgliedsbetriebe laut Selbstbeschreibung für bessere Standortbedingungen ein. Wie ist es um die Standortbedingungen in Wiesbaden bestellt?
Vom Grundsatz sind wir gut aufgestellt. In der Konjunkturumfrage haben wir immer überdurchschnittliche Werte. Aber das ist nichts, worauf man sich ausruhen kann. Es gibt einiges, was noch verbesserungswürdig ist – in Bereichen wie Fachkräftemangel, Digitalisierung, Infrastruktur. Ein Thema sind Flächen. Oft wird vergessen, dass in unserem Bezirk die Industrie eine nicht unerhebliche Rolle einnimmt. Aber sie braucht auch die Möglichkeit, sich auszubreiten. Es ist immer unglücklich, wenn man versucht, Gewerbe mit Wohnen aufzurechnen. Deshalb ist es besser, wenn man mehr Flächen insgesamt zur Verfügung hat.
Sind das Einzelfälle, oder nimmt die Frage der Gewerbeflächen für Wiesbaden bedrohliche Dimensionen an?
Das ist ein nicht unerhebliches Thema, zumal die Frage keine kurzfristige ist. Wenn ein Unternehmen überlegt, sich irgendwo anzusiedeln, dann schaut es ja nicht nur auf heute und morgen. Es reicht nicht, wenn ich jetzt genug Flächen habe, ich brauche auch Entwicklungsmöglichkeiten. Gerade im Hinblick auf die perspektivische Weiterentwicklung des Gewerbes hier ist das schon ein relevantes Thema.
Die Rathaus-Kooperation überraschte gerade mit der Idee, die Wirtschaft in die Finanzierung der Kinderbetreuung einzubinden und dafür die Gewerbesteuer abzusenken – ein guter Deal?
Dass es augenscheinlich noch im Blick der Politiker ist, dass wir hier mittlerweile neben Frankfurt den höchsten Gewerbesteuer-Hebesatz haben und uns auch mit den umliegenden Kommunen im Wettbewerb befinden, das ist eine gute Sache. Kinderbetreuung ist auch notwendig, dafür engagieren wir uns auch im Bündnis für Familie. Wie das im Detail aussehen soll, das ist im Moment noch arg nebulös. Man muss erst mal schauen, was steckt genau dahinter? Ich bin allein von Berufs wegen einer, der auf Fakten aufbaut. Deswegen kann ich noch nicht viel dazu sagen, ob mir die Idee gut gefällt oder nicht gut gefällt. Und man muss dazu sagen, dass die Unternehmen sich schon jetzt sehr engagieren. Es gibt eigene Kinderbetreuungsangebote oder auch Kooperationen mit Kindergärten. Das ist kein Thema, bei dem die Unternehmen sagen: Stadt, mach du mal. Das haben sie schon als eigene Aufgabe begriffen.
Wiesbaden gilt vor allem als Dienstleistungs- und Behördenstadt. Wo schlummern ungeahnte Potenziale für künftige Wirtschaftskraft?
Wiesbaden hat viel mehr als das. Wie gesagt spielt Industrie eine große Rolle, und hier übrigens auch „Industrie 4.0“. Kreativwirtschaft ist ein ganz großes Thema. Wir haben dafür einen eigenen IHK-Ausschuss. Wenn zum Beispiel die Hochschule Fresenius kommt, wird noch einiges passieren. Wir haben auch einiges Potenzial, was die Start-up-Szene angeht. Oder auch das Gesundheitswesen. Die Vielfalt macht´s. Das mit der Beamtenstadt – ich glaube, das ist ein bisschen alt und verkrustet, so ist Wiesbaden nicht mehr. Da gibt es sehr viel Kreatives und Neues.
„Alt und verkrustet“ sind Attribute, die manche durchaus auch mit der IHK verbinden. Wie schaffen Sie es, die Sprache künftiger Unternehmergenerationen zu sprechen – wann macht die IHK sich mal locker?
Man könnte sagen, allein die Tatsache, dass die IHK mit meiner Person einen verhältnismäßig jungen Unternehmer an die Spitze genommen hat, zeigt, dass das Attribut „verkrustet“ nicht ganz so stimmen mag. Spaß beiseite: Auch in der Vollversammlung und in den Ausschüssen haben wir zunehmend junge Mitglieder. Wir haben in diesem Jahr eine Initiative für die Start-up-Unternehmen angestoßen. Gerade im November hatten wir die Veranstaltung „Corporate meets Start-up“, die sich genau auf diese Schnittstelle konzentriert hat: junge Start-ups und etablierte Unternehmen zusammenzubringen und eben die Synergieeffekte – Erfahrung und innovative neue Ideen – nutzen zu können. In Kombination ist das eigentlich das Optimale. Umfragen ergeben immer wieder: Diejenigen, die unsere Angebote nutzen, sind auch sehr zufrieden damit. Bei vielen sind die Möglichkeiten, die die IHK ihnen bietet, allerdings noch nicht so angekommen. Daran arbeiten wir ständig, es wird immer eine Aufgabe sein, dass wir auch darstellen: Okay, wir tun auch wirklich was. Und wir tun auch sehr viel.
MENSCH
Sind die Tage des Kapitalismus, wie wir ihn bisher kennen, gezählt?
Die Frage ist, was Sie unter Kapitalismus verstehen. Dass unser Modell der Sozialen Marktwirtschaft per se gut funktioniert, erleben wir alle tagtäglich. Es geht immer darum, Extreme in der einen wie in der anderen Richtung einzunorden. Einerseits müssen wir den Unternehmen genügend Raum lassen, sich zu entfalten und zu entwickeln. Auf der anderen Seite muss man darauf achten, dass das keine ungesunden Auswüchse annimmt. Das ist natürlich eine Gratwanderung. Das Wort Kapitalismus ist immer so ein bisschen negativ belegt. Muss es aber nicht sein, wenn es in entsprechenden Grenzen umgesetzt wird. Wachstum ist der Motor allen wirtschaftlichen Handelns. Stillstand ist Rückschritt. Wachstum ist aber auch nichts, was man einfach voraussetzen kann, sondern an dem man stetig arbeiten muss.
Wachstum führt auch, das wird immer spürbarer, zu Zerstörung.
Die Frage ist, muss das immer so sein? Wachstum funktioniert nicht um des Wachstums willen, sondern eben auch unter der Berücksichtigung der gesellschaftlichen Verantwortung. Da binde ich nicht nur die Menschen mit ein, sondern auch das Umfeld an sich. Natur, Umwelt, das gehört alles zusammen. Das ist immer ein Abwägungsprozess. Das darf man nicht aus den Augen verlieren, das ist klar.
Ziemlich am Anfang Ihrer beruflichen Laufbahn sind Sie in das Steuerberatungsunternehmen Ihres Vaters eingestiegen. War das so vorprogrammiert?
Mein Vater hat mir immer gesagt, überleg´ es dir gut, ob du das machen willst. Ich hab´s mir überlegt, und ich habe es auch nicht bereut. Es war kein Zwang. Ich bin ja nicht gleich bei meinem Vater eingestiegen. Vor allem war es für mich wichtig, auch mal etwas anderes kennenzulernen, auch mal zu wissen, will ich das überhaupt? Es ist ja schon ein Unterschied, ob ich selbst unternehmerisch tätig bin oder als Angestellter. Deswegen war ich zweieinhalb Jahre bei einer großen Gesellschaft und habe da das alles von einer anderen Seite kennenlernen und mich dann bewusst dafür entscheiden können: Okay, ich will selbst unternehmerisch tätig werden mit allem, was das beinhaltet.
Macht es Ihnen Freude, Steuertricks oder Schlupflöcher zu suchen und zu finden?
Was mir Freude bereitet, ist, Menschen zu helfen, sich durch den Dschungel des Steuerrechts zu bewegen, das nun mal sehr komplex ist. Steuertricks oder Schlupflöcher zu suchen, das ist nicht der unmittelbare Sinn und Zweck der Geschichte. Es geht darum, den Mandanten so zu beraten, dass er nicht übermäßig Steuern zahlen muss und dass er in seinem persönlichen wirtschaftlichen Handeln im Rahmen der gesellschaftlichen Struktur normal leben kann. Ich sage auch immer: Wenn ich Geld verdiene, dann muss ich gegebenenfalls Steuern zahlen. Auf Teufel komm raus Steuern sparen … da muss man sich immer überlegen, macht das überhaupt Sinn? Auf der anderen Seite ist da dieses Konglomerat von Steuern. Wenn Sie sich da nicht halbwegs gut zurechtfinden, dann passiert es eben auch, dass Sie belastet werden, ohne dass es wirtschaftlich Sinn macht. Das muss man verhindern. Natürlich immer auf legale Weise.
Was war das Verrückteste, was Sie jemals gemacht haben?
Das Verrückteste … (überlegt) – dass ich „Ja“ gesagt habe, IHK-Präsident zu werden (lacht). Ich bin mal mit einem Freund zusammen mit einem Jeep durch die Atacama-Wüste gefahren. Das war schon mal spannend. Direkt nach dem Abitur. Aber ich bin nicht der Super-Draufgänger-Typ.