Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Arne Landwehr.
BERUF
Mit Ihnen als neue Präsidentin steht erstmals eine Frau an der Spitze des Hessischen Landtags – laut Mitteilung zur Nominierung „ein wichtiges Signal in dieser Zeit“. Welches Signal wollen Sie ganz persönlich mit Blick auf diese Tatsache senden?
Sie werden vielleicht überrascht sein, aber für mich persönlich spielt das Thema „Frausein“ im Amt gar keine allzu große Rolle. Für mich ist viel wichtiger, wie ich das Amt der Landtagspräsidentin inhaltlich prägen möchte. Klar ist aber auch, dass Frauen in der Politik und auch in Führungspositionen nach wie vor gesellschaftlich unterrepräsentiert sind. Und ich wünsche mir, dass sich dies möglichst schnell ändert.
Trotzdem: Welche Ratschläge würden Sie aus Ihrer eigenen Erfahrung geben, wenn eine Frau sagt, mein Ziel ist die Spitze?
Mir ging und geht es immer um Inhalte, aber natürlich auch darum, gestalten zu können. Ich habe zunächst einmal einen klassischen beruflichen Werdegang gewählt: Erst kam die Banklehre, später das Studium zur Diplom-Verwaltungswirtin. Politik hat mir von Anfang an große Freude bereitet, aber ich hatte nie ernsthaft vor, das beruflich zu machen. Eines Tages wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen könne, für das Landtagsmandat im Wahlkreis Wiesbaden anzutreten.
Ich habe dann – da erfülle ich vielleicht tatsächlich ein „Frauen-Klischee“ – nicht sofort ja gesagt, sondern intensiv darüber nachgedacht und als sehr junge Frau auch etwas gegrübelt. Dass, was ich dann erlebt habe, darf auch andere junge Frauen ermutigen: Wenn man sich leidenschaftlich engagiert und versucht, seine Aufgabe bestmöglich zu erfüllen, gibt es häufig auch Menschen, die das wahrnehmen und einen unterstützen. Meine Botschaft ist also: Junge Frauen sollen sich etwas zutrauen und fest an sich glauben.
In Ihrer Antrittsrede haben Sie Sorge um die Akzeptanz und Legitimation des Parlaments und in der Konsequenz auch der Demokratie geäußert. Wie ernst ist die Lage wirklich?
Man muss das Thema fest im Blick behalten. Unsere Demokratie ist heutzutage nach wie vor stabil und wehrhaft, aber sie wird zugleich auch auf vielen Ebenen herausgefordert. Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit und darf auch nie als eine solche angesehen werden.
Es gibt extreme Kräfte auch in unserem Land, die die Demokratie nicht wertschätzen, die sogar ein Scheitern der Demokratie herbeireden. Deshalb ist es so wichtig, dass ein Parlament, wie der Hessische Landtag, ein offenes Haus ist und man mit den Menschen ins Gespräch kommt und sie auch für die demokratische Idee begeistert – indem man sie in den Landtag einlädt oder sie auch aktiv aufsucht. Ich möchte mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und auch in Zusammenarbeit mit den Fraktionen neue Formate schaffen, bei denen der Landtag als Institution auch zu den Menschen kommt.
Sie haben auch das Thema der Anfeindungen gegenüber Politiker:innen angesprochen – welche Entwicklung nehmen Sie da wahr?
Das gesellschaftliche Klima ist rauer geworden, keine Frage. Politikerinnen und Politiker bekommen dies natürlich intensiv zu spüren, aber auch viele andere Berufsgruppen, wie beispielsweise Journalistinnen und Journalisten. Anfeindungen und Kommentare, die nicht angemessen sind, gehören heute leider sehr häufig zur Realität. Das empfinde ich, wie so viele andere auch, als sehr besorgniserregend. Grundsätzlich halte ich es aber für wichtig, auch mit diesen Menschen im Gespräch zu bleiben, Ob man im Einzelnen immer etwas bewirkt, ist natürlich nicht garantiert.
Es kam schon vor, dass ich zum Hörer griff und Menschen, die mir im Wortlaut unangemessene E-Mails schrieben, persönlich anrief. Und in einigen Fällen haben sich diese bei mir dann auch tatsächlich entschuldigt. Wenn man Menschen mit ihrem Verhalten konfrontiert, dann kann sich dadurch etwas verändern. Aber natürlich muss man sich immer den konkreten Einzelfall anschauen. Je nach dem Grad der Beleidigung oder der Drohung sollte man besser direkt die Ermittlungsbehörden einschalten und nicht selbst tätig werden.
Sie haben Friedrich Ebert zitiert – und modifiziert: „Demokratie braucht aktive Demokraten“. Was verstehen Sie darunter?
Wir brauchen zum einen Politikerinnen und Politiker, die sich mit voller Überzeugung für demokratische Werte, Ideale und auch Positionen – die mögen ja durchaus unterschiedlich sein – einsetzen, aber sie vor allem auch erklären. Wir brauchen in unserer Zivilgesellschaft aber auch dringend die Menschen, die anderen auch mal ein ‚Stoppschild‘ setzen und sagen, warum sie für demokratische Werte einstehen. Es gibt generationenübergreifend viele tolle Menschen, die sich für ihre Mitmenschen und die Demokratie einsetzen. In einer Demokratie kann es aber nie genügend aktive Demokraten geben.
MENSCH
Wie konservativ sind Sie?
Ich habe sicherlich konservative Werte, die mir wichtig sind, Werte des Miteianders. Ich bin aber in vielen Dingen auch ein sehr liberaler Mensch. ‚Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden, so lange man nicht andere Menschen dabei beeinträchtigt‘ – das ist für mich der Maßstab. Auch meine Sichtweisen zu unterschiedlichen Themen haben sich im Laufe der Lebensjahre durchaus verändert. Das empfinde ich aber als sehr wohltuend. Ein gutes Beispiel ist das Thema Ganztagsschule. Ich bin davon überzeugt, dass wir noch mehr Ganztagsschulen benötigen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für sehr viele Eltern heutzutage sehr wichtig.
In einer menschelnden Passage Ihrer Antrittsrede haben Sie gesagt: „Ohne meinen Mann Pierre wäre vieles nicht möglich“. Was genau wäre ohne ihn nicht möglich für Sie?
Man kann als Ehepaar viel in der Theorie besprechen, aber die eigentlichen Herausforderungen erlebt man erst, wenn die Kinder auf der Welt sind. Dann weiß man, was es heißt, wenn man nachts nicht mehr viel Schlaf bekommt und wenn man tagsüber trotzdem arbeiten muss. Meine Tätigkeiten als Landtagspräsidentin und als Politikerin könnte ich ohne die Unterstützung meines Mannes und unserer Familien nicht so ausüben, wie das aktuell der Fall ist. Das weiß ich sehr zu schätzen und auch das ist für mich keine Selbstverständlichkeit. Auch deshalb bin ich meinem Mann sehr dankbar.
Sie kommen aus einer Familie mit bekannten Politikern. „Ihr Name verpflichtet“, schreibt die Frankfurter Rundschau. Sehen Sie das auch so?
Ich fühle diesbezüglich keinerlei Druck. Natürlich bin ich stolz auf meine Familie, auch auf das Erreichte. Man hört oft, der Weg wäre da vorgezeichnet. Ich habe aber eine Zwillingsschwester und einen älteren Bruder, die beide weder Mitglied einer Partei noch politisch aktiv sind.
Wenn Sie sich nicht mit Politik beschäftigen – was machen Sie dann?
Fast jede Minute, die ich privat frei zur Verfügung habe, gehört meiner Familie. Zum Glück gibt es auch berufliche Termine, die man gut zusammen wahrnehmen kann. Das finde ich dann besonders schön. Früher habe ich wahnsinnig gerne Krimis gelesen, aber zum Lesen komme ich privat nicht mehr wirklich. Wir sind am liebsten zusammen draußen, besonders gerne in Tierparks und in Zoos. Und diesen Sommer wollen wir natürlich auch gemeinsam Urlaub machen. Wahrscheinlich geht die Reise ins sonnige Griechenland. Und dann ist am Strand vielleicht auch wieder einmal Zeit für ein gutes Buch.
Was ist Ihr Lebensmotto?
Bleib immer du selbst.