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Das große 2×5-Interview: Maria (Janine) Vinha, Vorsitzende VOLT-Fraktion, 39 J., 1 Tochter (14)

Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Arne Landwehr.

BERUF/UNG

Ihr seid mit VOLT als Neulinge aus dem Stand mit Fraktionsstärke ins Wiesbadener Rathaus gewählt worden. Das hattet ihr auch als Wahlziel genannt. Aber unter uns: Habt ihr da wirklich dran geglaubt?

Damit haben wir nicht wirklich gerechnet. Ein oder maximal zwei Sitze, das dachten wir schon. Aber drei? Da haben wir erst mal – digital – die Korken knallen lassen. Das war etwas surreal: Was bedeutet das jetzt eigentlich? Wie gründe ich eine Fraktion? Allein der organisatorische Kram. Da mussten wir uns erst mal einlesen. Jörg Heimlich (Leiter Büro der Stadtverordnetenversammlung) hat uns beratend zur Seite gestanden. Der Empfang im Rathaus war super herzlich. Das hätte ich mir fast kühler vorgestellt, mit der Konkurrenz der Parteien. Aber alle sind auf uns zugekommen, haben uns gratuliert und auch gesagt, dass wir als Neulinge gerne mit Fragen auf sie zukommen können. Wir wurden auch kontaktiert in Sachen Regierungsbildung und haben Gespräche geführt. Wir wären auch bereit, – dafür sind wir ja da, um mitzugestalten und dafür zu sorgen, dass Sachen auch so umgesetzt werden können, wie wir uns das vorstellen. Wenn wir da Einfluss nehmen können, machen wir das natürlich auch.

Ihr bringt einen „Best-Practice-Ansatz“ in die Politik. Was hat es damit auf sich?

Wir denken, dass man das Rad nicht immer neu erfinden muss. Wir gucken uns gerne an, was in anderen Ländern oder Städten gut funktioniert und adaptieren das dann. Das ist nicht immer eins zu eins möglich, da muss man jeweiligen Gegebenheiten berücksichtigen und das gegebenenfalls anpassen. Wohnen, Mobilität und Digitalisierung sind wohl die größten Themenblöcke aus unserem Wohnen, Mobilität und Digitalisierung sind wohl die größten Themenblöcke aus unserem Wahlprogramm für Wiesbaden. Ein Beispiel sind die „Superblocks“ in Barcelona. Dort werden Wohnblöcke zusammengefasst und dann verkehrsarm gestaltet. Ein Konzept, dass sich auch für Wiesbaden gut umsetzen ließe. Wir tauschen uns dann mit den Leuten vor Ort aus, wo Gutes realisiert wurde: Wie funktioniert das bei euch?

Macht ihr auch intern, untereinander, anders Politik?

Wir versuchen einen anderen Umgang miteinander. Uns alle eint, dass wir mit dieser Polemik, die oft in der Politik stattfindet, dass immer ein schwarzer Peter hin und her geschoben und Schuldige für etwas gesucht werden müssen, nichts anfangen können. Auch intern habe ich bisher noch nie erlebt, dass es größere Streitigkeiten gab. Dabei sind wir ja bunt gemischt. Bei uns sind Leute aus allen Ecken, die man sich nur vorstellen kann, dabei. Wir versuchen viel über eine wissenschaftliche Herangehensweise, sich alle Seiten anzuhören, und im Zweifel wird es demokratisch entschieden.

VOLT ist eine „paneuropäische Partei“ – welchen Sinn macht das auf lokaler Ebene?

Wir sind der Meinung, größere Herausforderungen, etwa Klimawandel oder eine Pandemie, sind gemeinsam besser zu bewältigen sind als wenn jeder für sich kämpft. Über die Verbindung zur Kommunalpolitik soll das, was auf europäischer Ebene gepredigt wird, auch lokal umgesetzt und gelebt werden. VOLT ist Partei und Bewegung. Alles entstand aus einer Graswurzelbewegung heraus. In Wiesbaden haben wir knapp 50 Mitglieder. Nach dem Wahlerfolg spüren wir direkt viel Resonanz und großes Interesse, uns zum Beispiel als Volunteers zu unterstützen. Wir können über unseren Etat nun auch Stellen besetzen, wie die Fraktionsgeschäftsführung. Wir sehen aber davon ab, uns selbst Jobs zu geben. Wir wünschen uns, vielleicht auch eine Art kommunales Lobby- oder Spendenregister für Wiesbaden einzuführen.

Wie soll sich Wiesbaden verändert haben, wenn ihr eure erste Legislaturperiode absolviert habt?

Es wäre schön, wenn es ein bisschen nachhaltiger wäre, wenn sich in Sachen Mobilität etwas entwickelt hat, mehr verkehrsberuhigte Zonen und mehr Raum für den Menschen. Wenn wir in Sachen Digitalisierung die Schulen unterstützt haben, und auch die Stadtverwaltung könnte das sicher vertragen. Und wenn sich in Sachen Transparenz etwas wirklich verbessert hat.

MENSCH

Wie kamst du zur Politik?

Vor VOLT war ich nie politisch aktiv. Ich war schon immer engagiert und in sozialen Projekten involviert – Nachhilfe für Flüchtlingskinder, Spendensammlungen für Obdachlose, kulturelle Projekte. Von etablierten Parteien habe ich mich nicht wirklich abgeholt gefühlt. Auf VOLT wurde ich durch ehemalige Kommilitonen aufmerksam. Die Herangehensweise fand ich direkt sehr ansprechend, Bei der Europawahl habe ich mich bei VOLT Mainz engagiert. Irgendwann hatten wir so viele Mitstreiter aus dem Kreis Wiesbaden, dass wir hier unseren eigenen Ableger gestartet haben. Es war nicht mein Bestreben, an vorderster Front zu sein. Ich stand auf dem 2. Platz, wurde auf den 1. Platz panaschiert. Aber wenn wir jetzt das Vertrauen von den Wählern bekommen haben, dann nehme ich das natürlich ernst und setze das jetzt auch um.

Du bist die Frau mit den zwei Namen – Janine im Privatleben, Maria in der Politik. Wie das?

Da habe ich im Vorfeld überhaupt nicht drüber nachgedacht. Die Geschichte ist: Meine Eltern, die aus Portugal stammen, hatten die Abmachung – wird es ein Mädchen, darf mein Vater sich den Namen aussuchen, bei einem Jungen meine Mutter. Mein Vater hat sich für Maria entschieden. So heißt auch meine Mutter, meine beiden Omas … Das hat meine Mutter genervt, sie hat mich dann einfach Janine gerufen, das hat sich durchgesetzt. Im Ausweis steht zwar Maria, ich höre aber eigentlich nur auf Janine. Mir war gar nicht bewusst, dass auf der Wahlliste natürlich Maria steht. Also musste das auch auf dem Plakat stehen.

Wie „lebst“ du deiner portugiesischen Wurzeln?

Ich bin in Wiesbaden geboren. Meine Großeltern sind mit meiner Mutter eingewandert in den 1960er-Jahren. Meine Eltern hatten in Portugal von Kind auf Kontakt und auch schon früh Liebeleien. Mein Vater ist dann relativ jung nachgekommen und hat hier Physik und Mathematik studiert, mit Schwerpunkt Informatik. Meine Großeltern wollten eigentlich immer wieder zurück, aber irgendwann waren sie hier einfach so verwurzelt. Ich bin etwa alle zwei Jahre unten, auch viel Familie lebt noch dort, in einem Vorort von Lissabon. In Wiesbaden ist die portugiesische Community nicht so groß. Man sieht und kennt sich, aber ich bin da nicht so involviert. Ganz früher hatten meine Eltern mal zusammen mit Freunden nebenbei ein portugiesisches Restaurant in der Walramstraße.

Was ist deine Idee von Europa?

Definitiv offene Grenzen beibehalten. Einen engeren Austausch haben. Oft kommt die Frage, ob wir nicht Angst haben müssten, dass dann Kulturen kaputtgehen. Das glaube ich gar nicht. Ich glaube, wir könnten eher voneinander lernen. Ich habe nie verstanden, warum ich auf Bundesebene nicht wählen kann, obwohl ich hier geboren und großgeworden bin. Oder auch in der Kommunalpolitik, wo Bewohner:innen aus außereuropäischen Nationen nicht mitentscheiden dürfen.

Du bist festangestellte Software-Entwicklerin, betreibst private Web-Projekte, bist Mutter, nun auch Kommunalpolitikerin – hast du schon ein Best-Practice-Beispiel gefunden, wie man das alles unter einen Hut bringt?

Viel Liebe, viel Zeit und viel Geduld. Da gibt es tatsächlich kein Patentrezept. Es ist immer ein bisschen ein Jonglieren. Mein beruflicher Weg war wohl vorprogrammiert. Durch den Werdegang meines Vaters hatte ich schon einen Computer, da konnte ich noch nicht mal schreiben.  Mit 4, 5 Jahren habe ich meinen ersten Commodore bekommen und bin da eigentlich nie wieder von weggekommen. Für mich war immer klar, ich möchte irgendwas mit Computern machen. Die eigenen Projekte sind im letzten Jahr völlig außen vor gewesen. Kind und IT sind meine Schnittpunkte mit der Politik – gerade was Digitalisierung und Soziales betrifft. Meine Tochter findet´s, glaube ich, ganz gut. Zumindest liket sie alle VOLT-Posts. Das nehme ich mal als gutes Indiz. Es gab keine „Oh Gott, wie peinlich“-Reaktionen, das hätte ja auch sein können. Eine VOLT Youth-Gruppe oder so wollte sie jetzt aber auch nicht direkt gründen (schmunzelt).