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Das große 2×5-Interview: Noah Said, Vorsitzender Jugendparlament Wiesbaden, 20 Jahre

Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Arne Landwehr.

BERUF/UNG

Was ist und was macht das Wiesbadener Jugendparlament?

Das Jugendparlament ist die Repräsentation aller 20.000 Jugendlichen Wiesbadens. 31 gewählte Mitglieder von verschiedensten Schulen versuchen, Ideen umzusetzen, die Jugendliche betreffen und interessieren. Das kann der Ausbau von Radwegen sein, aber auch Partys oder Freizeitangebote, das Schaffen von Parcours-Möglichkeiten, mehr Sicherheit in Nightlinern oder das Erlauben von Containern. Umwelt und Nachtleben haben wir als wichtigste Themen festgelegt. Nachtleben fällt gerade raus, deshalb richten wir den vollen Fokus auf dem Thema Umwelt.

Du wurdest im Sommer nach einer Kampfkandidatur neu ins Amt gewählt. Was willst du anders machen, was ist deine Handschrift als Jupa-Vorsitzender?

Ich sage ungern „ich“. Wir haben als eine Handschrift die Kooperation mit dem Stadtschüler*innenrat wieder aufgenommen. Man kann vieles gemeinsam machen und zusammen nach Lösungen suchen, Protected Bike Lanes etwa, Mülltrennungspflicht oder Ausbau von Buskapazitäten. Als Vorsitzender habe ich von Anfang an klar gemacht, dass ich die Aufwandsentschädigung, die ich bekomme – 495 Euro im Monat – nicht komplett für mich haben will, sondern auch für gemeinsame Aktivitäten ausgeben will. Zum Beispiel waren wir schon in der Altstadtbar „Lenz“ und haben dort Cocktails getrunken. Im Amt geht es mir darum, dass ich nicht alles vorgeben will, was wir machen und was nicht.

Ist das Jugendparlament die Schule für die große Politik?

Das Jupa kann Jugendlichen schon einen ersten Einblick in die Politik geben. Sicher träumen einige davon, mal in den Landtag oder Bundestag gewählt zu werden, das ist auch mein Traum. Da kann man im Jugendparlament die ersten Erfahrungen sammeln. Man agiert dort aber, auch wenn man einen Partei-Hintergrund hat, parteilos, also nur im Interesse der Jugendlichen. Das ist manchmal ganz spannend, weil man auch Interessen vertreten muss, die nicht unbedingt der eigenen Parteizugehörigkeit entsprechen.

Was macht Corona mit der Wiesbadener Jugend, was macht die Wiesbadener Jugend mit Corona?

16 bis 25 ist das schlechteste Alter, das man gerade haben kann, als Jupa sind wir „zuständig“ für 14 bis 23-Jährige. Die große Einschränkung der Freizeitangebote führt dazu, dass Jugendliche verstärkt zuhause sind, erst recht, wenn auch der Vereinssport ausfällt. Es gibt einen großen Fokus auf das Gaming. Wir sind dabei, die Jugendlichen auch online abzuholen, zum Beispiel durch gemeinsame Spieleaktivitäten. Da gibt es ein interessantes Spiel, das heißt „Among Us“. Aber natürlich ist es nicht unser Ziel, dass wir Jugendliche nur für Videospiele begeistern. Wenn Jugendliche Ideen haben, sollen sie auf jeden Fall zu uns kommen. Wir suchen, diese umzusetzen.

Wie kommt es bei den Jugendlichen an, dass „die Jugend“ als der Sündenbock für die Corona-Ausbreitung gebrandmarkt wird?

Ich finde es schade, dass man die Jugend immer sofort als Sündenbock stigmatisiert. Wir haben zum Beispiel in einem offenen Brief klargemacht, dass wir es nicht gut finden, dass den Jugendlichen die Ausgehsituation genommen wird durch Alkoholverkaufsverbot. So nehmt ihr den Jugendlichen die Jugend, wortwörtlich. Man braucht Interaktion – das ist ja bekannt, dass man sonst psychische Probleme bekommen kann. Soziale Kontakte sind nie so wichtig wie in der Jugend. Wenn du jemandem alle legalen Ausgehmöglichkeiten nimmst, stehen nur noch die illegalen Möglichkeiten zur Verfügung. Es ist bekannt, dass Jugendliche sich privat treffen. Das können wir verstehen. Sie tun das nicht, um gegen das Infektionsschutzgesetz zu verstoßen, sondern weil sie einfach die sozialen Kontakte brauchen.

MENSCH

Du hast mit 15 angefangen, dich für Politik zu interessieren. Wie kam es dazu?

Das hat angefangen mit der Flüchtlingskrise, vielleicht mit dem Merkel-Satz „Wir schaffen das“. Mich hat es interessiert, wieso kommen so viele flüchtende Personen nach Deutschland? Warum sagen die einen dies, die anderen das? Auch die Entwicklung der AfD fand ich interessant. Dann habe ich mich informiert und politisch eingefunden und angefangen, mich zu engagieren. 2016 kam ich zu den Jungen Liberalen (JuLis) und bin dort auch im Vorstand. Es hat also mit bundespolitischem Interesse angefangen und führte dann zur Kommunalpolitik.

Wie müsste Politik und wie müssten Politiker sein, um mehr Jugendliche zu begeistern?

Hessen macht einen großen Fehler: Kein Wahlalter von 16 Jahren. Man kann Jugendliche dadurch begeistern, ihnen das Wahlrecht zu geben. Auch am Lehrplan muss sich was ändern. Zwei Stunden Politik sind zu wenig. Es müssten in der Sekundarstufe 1 drei Stunden sein, weil es eines der essenziellen Themen ist. Schule als Institution sollte da mehr bieten. Ich studiere Politik, Geschichte, Sport auf Lehramt. Als Lehrer will ich später versuchen, die Jugendlichen mehr für Politik zu begeistern. Deshalb habe ich auch diesen Studiengang gewählt. Natürlich haben die Parteien auch die Aufgabe, junge Leute zu begeistern. Die Grünen haben das gut genutzt bei den Fridays for Future-Protesten. So kann man sicher die Politikverdrossenheit bekämpfen.

Du bist gebürtiger Wiesbadener. Was ist dein Weihnachtswunsch an Wiesbaden und für Wiesbaden?

Dass Wiesbaden sich mehr auf die jugendlichen Belange fokussiert und mehr auf Jugendparlament und Stadtschüler*innenrat eingeht. Weil wir viele Ideen haben, die wir umsetzen wollen. Bisher werden Jugendlichen viele Möglichkeiten verwehrt. Wenn man mehr auf uns hört, hat die Stadt auch die Chance, Jugendliche mehr für Wiesbaden zu begeistern. Und sie davon zu überzeugen, dass Wiesbaden eine gute Stadt für sie sein kann – anstatt sie direkt nach ihrem 18. Geburtstag in eine andere Stadt zu verscheuchen.

Was spricht aus jugendlicher Sicht heute schon für Wiesbaden?

Bisher noch gar nichts! (überlegt) Es fallen einem immer nur schlechte Sachen ein. (überlegt weiter) Okay: Wiesbaden bietet viele schöne Orte, wo man sich treffen kann. Das Café Klatsch ist ein beliebter Ort zum Ausgehen. Auch historisches Fünfeck, Picknicken im Kurpark, Biebricher Rheinufer sind Orte, wo sich auch Jugendliche wohlfühlen. Aber sonst? Wiesbaden hat in den letzten dreißig Jahren den Fehler gemacht, das Nachtleben immer mehr zu vernachlässigen. Auf Anliegerbeschwerden ist die Stadt immer sofort eingegangen. Dagegen kommen die Bars und Clubs nicht mit eigener Kraft an. Deshalb fordern wir auch schon seit langem einen Nachtbürgermeister. Bis heute ist aber noch nichts passiert. Wir haben unseren Antrag erneuert, weil Stadt und Oberbürgermeister sich noch dagegen sträuben. Es gibt immer die Ausrede, Corona, Corona. Ich glaube aber, es kann nicht so schwer sein, im Internet eine Bewerbungsplattform zu starten. Da sind wir sehr enttäuscht.

Du bist Student, Jupa-Vorsitzender, JuLi-Vorstandsmitglied, treibst intensiv Sport, bist Fußball-Schiedsrichter, DJ, Labelmacher. Wie viele Stunden hat dein Tag?

Es kommt immer darauf an, wie du es dir einteilst. Ich begeistere mich für vieles. Ich könnte nicht nur einen Sport jahrelang machen. Man muss alles mal ausprobieren und so auch verschiedene Sichtweisen erkennen. Das hilft mir auch in der Politik. Wenn man sich in verschiedene Bereiche und Denkweisen hineinversetzen kann, dann versteht man viel besser die andere Seite. Das Leben ist langweilig, wenn man nur eine Sache macht.